Nokia zieht aus Rumänien ab
Bogdan Colceriu lebt in einer Ein-Raum-Wohnung. Gleich neben seinem Bett steht die Herdplatte für warme Mahlzeiten. Ein großzügiges Leben kennt der junge Mann nicht, auch ein Auto kann er sich nicht leisten. Wenn er zur Arbeit fährt, wird er in der siebenbürgischen Stadt Cluj vom firmeneigenen Nokia-Bus aufgesammelt. Für den Hin- und Rückweg braucht er knapp zwei Stunden, hinzu kommt eine zwölfstündige Arbeitsschicht. Seit knapp drei Jahren verdient der 25-Jährige auf diese Weise sein Geld: rund 200 Euro netto monatlich. „Wir hatten uns ursprünglich das Doppelte erhofft, weil Nokia ein Weltkonzern ist“, sagt Colceriu, „aber immerhin kam das Gehalt regelmäßig“.
Ende Dezember ist es damit vorbei, dann will der finnische Handyhersteller einen Teil seiner Produktion weiter nach Asien verlagern. Wie „ein Schock“ traf Ende September die rund 2.200 rumänischen Beschäftigten die Entscheidung, „doch wird kaum jemanden darüber öffentlich darüber klagen, weil wir gewohnt sind, Enttäuschungen einfach zu schlucken“, sagt Colceriu.
Vor drei Jahren verlagerte Nokia seine Produktion nach Rumänien. Nun zieht der Konzern weiter.
Erst vor rund drei Jahren hatte der finnische Konzern seine Produktion von Bochum in die rumänische Gemeinde Jucu verlagert. Auf einer Ackerfläche entstand für 60 Millionen Euro die neue Niederlassung. Für Nokia-Gewerkschaftschef Cristian Copil war bei dieser Investitionssumme klar, „dass der Konzern mindestens ein Jahrzehnt bleiben wird“. Doch kam es anders als gedacht. Der 35-jährige Gewerkschaftsführer steht jetzt wie viele andere Beschäftigte vor denselben Dilemma: Die Produktionsverlagerung hatte für Goldgräberstimmung gesorgt. Viele nahmen Kredite auf, um sich eine Wohnung zu kaufen oder ein Auto. Nun geht Nokia, die Privatschulden bleiben.
Existenzangst - das Gefühl kennen die früheren Nokia-Beschäftigten aus Bochum nur zu gut. Den Weggang hatten die deutschen Angestellten mit monatelangen Protesten begleitet. In Jucu herrscht hingegen Betriebsamkeit, als stünde kein Ende bevor. Wie eine fleißige Ameisenschar strömt das rumänische Nokia-Team ins graue Werksgebäude - im Vier-Schicht-System. Viele hatten die Ansiedlung des Konzerns einst als ausgleichende Gerechtigkeit interpretiert, dass sie nun endlich für einen Weltmarktführer produzieren dürfen. „Nokia hat die Arbeitskräfte wie ein Magnet angesaugt“, sagt Ludger Thol vom Vorstand der deutsch-rumänischen Außenhandelskammer, „für die Leute zählte mehr, für eine Firma mit Weltruf zu arbeiten und als das Gehalt, das sie dabei verdienten“.
Die meisten Mitarbeiter schweigen
Umso bitterer ist für die Angestellten die Nokia-Entscheidung, die ihnen zeigt, dass auch sie nur austauschbar sind. Bei Frust sollten sie mit der Presse sprechen, empfahl ihnen die Unternehmensleitung bei der Bekanntgabe der Hiobsbotschaft. Interna zu erzählen, sei aber verboten, schränkte der Konzern zugleich ein. Um nichts falsch zu machen, schweigen die meisten lieber. „Nokia hat erst die Bochumer verhöhnt und jetzt sind wir an der Reihe“, sagt ein Zeitarbeiter, der mit Bogdan Colceriu auf den Schichtbus wartet. Seine Meinung will der 52-Jährige sagen, nicht aber seinen Namen. Protestieren wie einst die deutschen Beschäftigten? Der Mann schüttelt entschieden den Kopf: „Womöglich werden wir beim Protest gesehen und erhalten noch vor Jahresende die Entlassungspapiere von Noika?“
Als Trostpflaster bleibt den Beschäftigten lediglich, dass Nokia bis Ende März weiterhin Gehälter zahlt, auch wenn das Werk dann schon geschlossen ist. Zudem erhalten die Beschäftigten als Abfindung mindestens drei monatliche Bruttogehälter, hinzugerechnet werden Arbeitsjahre. Bogdan Colceriu kommt für seine dreijährige Nokia-Zeit damit auf eine Abfindung von rund 2.600 Euro. „Wenig“, findet junge Mann, doch muss er sagen „immerhin“. Im Tarifvertrag war von Abfindungen keine Rede, da der Gewerkschaft eine Abwanderung des Konzerns gar nicht erst in den Sinn gekommen war. Eine Arbeitnehmervertretung, „die versagt hat“, findet Colceriu. Gewerkschaftschef Copil gibt sich hingegen pragmatisch: Statt zum Klagen spornt er zu mehr Arbeit an, „denn wer jetzt noch einmal seine Leistung steigert, könnte sich durch Prämien weitere Zusatzhonorare bis Jahresende erarbeiten.“
Ums Geld geht es derzeit auch den Kreisrat von Cluj. Der hatte den Handyhersteller einst mit dem Versprechen geködert, in der Region einen großzügigen Industriepark anzulegen, dort wo einst schlammige Ackerflächen waren. Strom- und Wasserleitungen wurden gebaut, die Zugangsstraßen asphaltiert. Insgesamt investierte der Staat rund 24 Millionen Euro in die Infrastruktur. Ob Nokia jedoch Versprechen für die Millionen-Subventionen gegeben hat, bleibt vorerst ein Rätsel, denn der Vertrag ist unter Verschluss, bis Nokia das Werk schließt. Dass sich der Handyhersteller in Rumänien aber auf Auflagen eingelassen hat, kann sich Valentin Cuibus von der sozialdemokratischen Opposition im Kreisrat nicht vorstellen, „dazu sei der Konzern viel zu mächtig gewesen“.
"Gegen die Krise kommen wir nicht an"
Bogdan Colceriu diskutiert mit den Kollegen, während sie auf den Schichtbus warten, ob sie nicht doch lieber streiken sollten. „Unsinn“, winken die ab, „gegen die globale Wirtschaftskrise, die Nokia erfasst hat, kommen auch wir nicht an“. Colceriu will wieder als Installateur jobben, wie schon vor der Ansiedlung von Nokia. Der junge Mann fingert an seinem Handy. Ein Nokia-Modell, „Made in Romania“. Er hat vor Jahren im Fernsehen gesehen, wie in Deutschland Nokia-Handys aus Frust über den Weggang des Konzerns zerstört worden sind. Colceriu schmunzelt über die Frage, ob er das jetzt auch tun will? „Meines muss noch eine Weile halten“, antwortet er. Das Telefon hat ihn schließlich fast die Hälfte seines Monatslohnes gekostet.