Serbien

Chinatown auf Serbisch

Das einzige chinesische Gesicht, das sich Jahrzehnte lang in die Herzen von Millionen ehemaliger Jugoslawen einprägte, war das des Kung-Fu Leinwandhelden Bruce Lee. Dabei störte sich keiner an der Tatsache, dass dieser vermeintliche Chinese eigentlich ein waschechter Amerikaner war. Hätte jemand den Belgradern also vor ein paar Jahrzehnten gesagt, dass ihre Balkanmetropole ein eigenes chinesisches Viertel bekommt – sie hätten nur ungläubig gelacht.

Doch in den Neunzigern veränderte sich während der Balkan-Kriege das Erscheinungsbild der serbischen Hauptstadt: Unter den Save-Brücken hausen bis heute die aus Kosovo vertriebenen Roma. Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien bauten ohne Genehmigung ihre halbfertigen Häuser am Stadtrand. Und Chinesen prägen das Bild der serbischen Billigmärkte. Sie sind ein Beweis, dass auch Länder wie Serbien unter Milosevic, die jahrelang eine politische und wirtschaftliche Abschottung betrieben haben, dem Los der Globalisierung nicht entfliehen können.

Das Ganze begann Mitte der Neunziger, als die Gattin des damaligen autoritären Herrschers Milosevic, Mira Markovic, ihre persönliche und ideologische Liebe zu China entdeckte. Serbien war vom Westen wegen der aggressiven Politik des Belgrader Regimes geächtet, während das ferne Peking die alte Tito-Freundschaft direkt mit Milosevics Belgrad weiter pflegte. Mira Markovic versprach nach mehrmaligen Besuchen in China, in der serbischen Hauptstadt ein repräsentatives Chinatown bauen zu lassen. Im Oktober 2000 fegte eine demokratische Revolution die Hofelite Milosevics von den Schaltstellen der Politik hinweg – doch einige Tausend Chinesen blieben im Lande.

Ihr Fleiß lohnte sich schnell. Obwohl die zum Teil recht heruntergekommenen Betonsiedlungen im Stadtteil Neu-Belgrad nicht einmal im Entferntesten die Spuren des versprochenen repräsentativen Stadtteils aufweisen, sind die Chinesen mittlerweile aus dem wirtschaftlichen Leben des Stadt und der Region kaum mehr wegzudenken. Es riecht nach Plastik, Staub und vereinzelt auch nach asiatischem Essen in den meist drückend vollen Verkaufsbaracken. Chinesische Schriftzeichen sind auf Wandzetteln und Kartons zu sehen, aber für Unkundige nicht zu entziffern. In den kleinen, spärlich eingerichteten Imbissen trifft man fast nur Asiaten.

Der chinesische Markt hat eine wesentliche Funktion für die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens in einer tief gespaltenen Gesellschaft. Mirjana, eine Belgraderin, die in einer Kiste mit spottbilligen Socken wühlt, formuliert das lapidar: „Ohne Chinesen und mit dem Gehalt meines Mannes – 20.000 Dinar – nicht einmal 250 Euro monatlich, würden meine Kinder nackt und barfuß durch Belgrad laufen.“Die Billigwarenverkäufer bleiben meistens unter sich: familientreu, fleißig und schweigsam. Sie holen die Textilwaren, kleinere Elektrogeräte und alltägliche Haushaltsprodukte sowie Schmuck und Spielzeug „Made in China“ über den 7000 Kilometer langen Landweg meist selbst ab. „Zwei bis dreimal monatlich holen wir die Waren aus China. In Belgrad fehlt es an allem. Egal was du mitnimmst, Du kannst es verkaufen“, sagt die Frau eines Händlers, in gut fließendem Serbisch. A

uch bosnische, rumänische, mazedonische oder bulgarische Händler kaufen den Chinesen große Mengen ihrer importierten Billigwaren ab, um sie zu vielfach höheren Preisen selbst wieder in ihrer Heimat anzubieten. Die Geschäfte der Chinesen überstanden die Nato-Bombardierung im Jahre 1999 genauso wie die Flaute nach der Vogelgrippehysterie 2003. Die Aufenthaltserlaubnis der Chinesen auf dem Balkan wird alle drei bis sechs Monate erneuert. Im Wartezimmer der Ausländerabteilung des Hauptpolizeiamts in der Savska-Straße sind sie daher die ewig wartende Mehrheit. Ein paar Bosnier, ein paar wenige Westler zwischen einer Menge asiatischer Mitbürger.

Letztere beschweren sich kaum über behördliche Willkür. Die einzige verlässliche und kontinuierliche Grundlage für Chinesen in den zerfallenen oder zerfallenden Balkan-Staaten ist das ungeschriebene Gesetz: Wenn der Staat, besser gesagt: ein Staatsdiener, die Hand aufhält, dann fülle man diese mit Geld. Egal wie, die Papiere müssen sauber sein. Der Schmuckhändler Li (Name geändert) formuliert das allgemeine Schweigegesetz so: „Über Zoll, Steuer und Profit reden wir nicht. Sonst klingelt bei uns die Polizei und dann sind wir weg vom Fenster.“


Warten auf den Kunden / Vladimir Gogic, n-ost

Die chinesischen Händler sind lange genug in Serbien, um ihr Alltagsleben, von der Geburt bis hin zum Tod, geregelt zu wissen. Stirbt ein chinesischer Staatsbürger, so wird seine Asche in die Heimat überführt. Die kleinen chinesischen Belgrader besuchen serbische Kindergärten. Eingeschult werden sie allerdings überwiegend in China, denn ihre chinesischen Eltern meinen, ausschließlich eine chinesische Schule garantiere einen chinesisch formatierten Menschen. Wenn die Belgrader Chinesen bei Krankheit überhaupt eine Praxis von innen sehen, dann gehen sie zum Privatarzt. Zeit ist bekanntlich Geld, und die chinesische Kosten-Nutzen Analyse kommt zu dem Ergebnis: Es gibt keine Zeit zu verlieren in den maroden und überfüllten öffentlichen Gesundheitseinrichtungen Serbiens. Wie bei den Behörden, bei der Wohnungssuche, aber auch bei ihren eigenen Geschäften gilt für sie das universelle Erfolgsprinzip „Cash gegen Dienstleistung“. Angeschrieben wird nicht. Selbst in ihrer Beziehung zum Absoluten sind die Chinesen längst im Westen angekommen.

So zählt die junge chinesische Community nicht nur Taoisten. Seit dem vergangenen Jahr gibt es in einem Belgrader Außenbezirk sogar eine gut besuchte baptistische chinesische Kirche. Jesus auf Chinesisch – auch das ist Resultat einer Globalisierung, die bereits viel früher stattfand.Für die neureiche serbische Elite, die ihren Urlaub zwischen der Schweiz und Dubai verbringt, sind die Chinesen servile Besitzer einiger gut gehenden chinesischen Restaurants. Die serbische Bevölkerung ist politisch tief gespalten: eine Hälfte besteht aus pro-russischen EU-Skeptikern, die andere Hälfte sieht ihre Zukunft in der EU. Ungefähr gleich sind die Anteile der Befürworter des friedlichen Miteinanders und der xenophoben Skeptiker. In einem im Internet veröffentlichten Lied eines serbischen Hip-Hoppers ist vom „chinesischen Ungeziefer“ und von „Gestank im Block 70“ die Rede.Organisierte Aktionen einheimischer Skinheads blieben auf dem Chinesenmarkt bisher aus. Im Web sind die gewaltbereiten serbischen Nationalisten jedoch seit langem unterwegs: Die Chinesen seien an der Zersetzung der serbischen Wirtschaft interessiert und sie setzten gar die „demographische Bombe“ ein, um die serbische Tradition zu unterminieren, heißt es da. Ihre Angaben, wie viele Chinesen sich in Serbien aufhalten, schießen ins Kraut. Von 40.000 Einwanderern ist in einschlägigen Hetztexten die Rede. Die Behörden gehen von rund 1.500 Chinesen aus.

Die tatsächliche Zahl liegt schätzungsweise zwischen 4.000 und 7.000 Menschen. Andere, weniger radikale Serben fragen sich, aus welchem Elend diese Menschen gekommen sind, wenn denen das heutige Serbien als gelobtes Land erscheint. „Was uns als Armut vorkommt, ist für die schon das Paradies im Westen“, sagt der 23 Jahre alte Sportstudent Marko, der sich auf dem Markt mit günstigen Nike-Turnschuhen aus China eindeckt. Die ersten chinesischen Einwanderer in den 90er Jahren glaubten tatsächlich, sie kämen in ein erfolgreiches sozialistisches Land. Viele von ihnen kannten das heutige Serbien aus  in China immer noch populären Kriegsfilmen über heldenhafte jugoslawische Partisanen. Für andere ist Belgrad eine Zwischenstation auf dem Weg nach Westen. Eine kleinere Gruppe der Einwanderer gibt ihren Kindern sogar serbischen Namen wie Jovana Chiang oder Milos Wu und hofft auf eine bessere Zukunft in einer neuen Heimat. Immer noch eine Seltenheit sind dagegen chinesisch-serbische Ehen.

Einige Boulevardzeitungen spekulierten bereits über teuer bezahlte Scheinehen, was sich aber letztlich als journalistische Ente entpuppte. Für sparsame Chinesen ist es viel billiger, eine Firma in Serbien zu gründen, als angebliche Abertausende von Euro in eine Scheinehe zu investieren. Lian, der in Belgrad aufgewachsene Sohn eines erfolgreichen chinesischen Restaurantbesitzers, geht gern Händchen haltend mit seiner serbischen Freundin durch die Fußgängerzone, die Knez Mihailova. „Die Menschen sind nicht aggressiv, aber sie starren uns an, als ob sie noch nicht mitbekommen hätten, dass Pärchen wie wir mittlerweile überall in der Welt ganz normal sind“, sagt der 20-jährige Student in gepflegtem Serbisch.


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