Serbien

Milosevic ist zurück

Ohne ihre Erzfeinde, die Sozialisten des ehemaligen jugoslawischen Machthabers Slobodan Milosevic, hätten die proeuropäischen Kräfte um den serbischen Staatspräsidenten Boris Tadic keine neue Regierung zusammengebracht. Kann das gutgehen?

Slobodan Milosevic – oder zumindest seine sozialistische Partei – ist zurück auf der Politbühne Serbiens: selbstbewusst und so stark wie nie zuvor, seitdem „Sloba“, ihr großer Anführer, im Oktober 2000 mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt worden war. Der bisherige Alleinherrscher hatte damals die Wahlen gefälscht, doch das Volk stand auf, die Massen demonstrierten. Zuvorderst marschierten die Reformer der Demokratischen Partei (DS) um Zoran Djindjic, sie übernahmen schließlich die Macht im Land. Nur wenige Monate später wagte es Djindjic gar, Milosevic festzunehmen und an das Haager Kriegsverbrecher-Tribunal auszuliefern. Das war Hochverrat in den Augen der Sozialisten.

Im März 2003 wurde Regierungschef Djindjic vor dem Regierungsgebäude erschossen – seine Mörder werden dem Umfeld von Milosevic und der Mafia zugeordnet. Genau drei Jahre später war auch Milosevic tot – im UN-Untersuchungsgefängnis in Den Haag hatte sein Herz aufgehört zu schlagen, noch bevor das Urteil gegen den wegen schwerster Kriegsverbrechen angeklagten Ex-Staatspräsidenten verkündet werden konnte.

Milosevics treuer Weggefährte und hohe Sozialisten-Funktionär Ivica Dacic rief damals aus: „Milosevic starb nicht in Den Haag, er wurde getötet in Den Haag!“ Und verlangte für ihn ein Heldenbegräbnis. Ein paar Monate danach, im Dezember 2006, stieg Dacic zum Präsidenten der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) auf – als Nachfolger Milosevics. Dieser ist bis heute sein Idol. Auch Boris Tadic, serbischer Staatspräsident und Vorsitzender der DS hat ein Idol – Zoran Djindjic, dessen Nachfolge an der Parteispitze er 2004 antrat.

Djindjic und Milosevic waren Erzfeinde – ihre Nachfolger Tadic und Dacic sind es auch. Oder waren es, besser gesagt. Doch während der letzten Tage konnten sie kaum mehr aufhören, sich vor laufenden Kameras die Hände zu schütteln und zufriedene Gesichter zu machen. Denn ab jetzt sind sie Partner – Koalitionspartner der neuen serbischen Regierung, die noch in dieser Woche vom Parlament bestätigt werden könnte. Aber weder die neue Liebe unter dem Banner der sozialen Gerechtigkeit, für die beide Parteien kämpfen wollen, noch die Läuterung der SPS haben dieses Wunder vollbracht. Denn Dacic hat sich bis heute nie von der nationalistischen Kriegspolitik seines einstigen Chefs in den 90er Jahren distanziert. Und auch Tadic kann es nicht wirklich ernst sein, wenn er nun plötzlich salbungsvoll von nationaler Versöhnung und Vergessen der Vergangenheit faselt. Vielmehr geht es um reinen politischen Pragmatismus – und um Macht.

Denn Tadic braucht die Stimmen der 20 Sozialisten, um mit den 102 Abgeordneten seines Wahlbündnisses „Für ein europäisches Serbien“ und den sieben Minderheitenvertretern eine knappe Mehrheit von 129 Stimmen im 250-köpfigen Parlament hinzubekommen. Ansonsten hätte er das Feld den Nationalisten und Anti-Europäern des bisherigen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica und der Serbischen Radikalen Partei (SRS) des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Vojislav Seselj überlassen müssen. Für Sozialistenchef Dacic wiederum, der den Nationalisten ideologisch viel näher steht als den Demokraten, bietet diese Konstellation die Möglichkeit, die Milosevic-Vergangenheit in den Hintergrund zu rücken, ohne damit wirklich brechen zu müssen. Die schon lange angestrebte Aufnahme in die Sozialistische Internationale scheint nun greifbar zu sein, was einer Art Gratis-Rehabilitierung gleichkäme.

Mit einem Pro-Europa-Kurs bekommt die SPS zudem die Chance, ohne Verleugnung ihres großen Helden Sloba auch neue, junge Wählerschichten anzusprechen – und damit für die Zukunft vorzusorgen. Denn die Rentner, die einen entscheidenden Teil der Stammwähler der Sozialisten ausmachen, werden jedes Jahr weniger. In einer nationalistischen Koalition wäre die SPS wohl früher oder später zerrieben worden.

Doch die Milosevic-Sozialisten lassen sich ihre Unterstützung für die Pro-Europäer um Tadic ordentlich vergolden. Parlamentspräsidentin wird Slavica Djukic-Dejanovic – eine der ihren, die schon unter Milosevic kräftig mitmischte. Die SPS bekommt außerdem vier Ministerien, darunter das für Inneres und Polizei – geleitet vom künftigen Vizepremier Ivica Dacic. Eine der größten Herausforderungen für die neue Regierung wird die Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal sein.

Nicht nur das UN-Gericht, sondern vor allem die EU erwartet die rasche Verhaftung und Auslieferung der drei seit Jahren flüchtigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic, Radovan Karadzic und Goran Hadzic. Insbesondere die Niederlande hatten angekündigt, das im Mai mit Serbien geschlossene Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) nur dann zu ratifizieren, wenn Serbien vollständig mit dem Haager Tribunal kooperiert.

Ausgerechnet Milosevics Ziehsohn, der dem Gerichtshof bislang nur Verachtung entgegengebracht hat, soll nun für einen Neuanfang stehen und Ratko Mladic endlich verhaften lassen? Es ist ein offenes Geheimnis, dass gerade in Polizei und Geheimdiensten noch immer zahlreiche einflussreiche Personen aus der Ära Milosevic mitmischen, die kaum ein Interesse an der Aufklärung von Kriegsverbrechen haben. Doch vielleicht ist es auch genau der 1966 in der kosovarischen Stadt Prizren geborene Dacic, der aufgrund seiner Nähe zu Milosevics Umfeld gewissen Leuten nun gefährlich werden könnte. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Macht zuliebe einstige Kampfgenossen geopfert würden. Welcher Weg für die SPS und für ihn selbst der richtige ist, muss Dacic entscheiden. Übervater Sloba jedenfalls kann er nicht mehr fragen. Der liegt begraben im Garten seines Hauses in Pozarevac – und nicht in der „Allee der Grossen“ in Belgrad wie Zoran Djindjic.


Weitere Artikel