DAS GEHEIMNIS VON TUNGUSKA
Die Katastrophe von Tunguska bleibt heute noch eines der ungelösten Rätsel des 20. Jahrhunderts.(n-ost) – Mit der 1000-fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe wird Zentralsibirien an diesem frühen Morgen erschüttert. Es ist der 30. Juni 1908. Die Explosion in der Nähe des Flusses Steinige Tunguska, einem Nebenfluss des Jenissejs, gibt der Wissenschaft auch 100 Jahre später Rätsel auf. Das Epizentrum dieser Explosion, deren Stärke auf 10 bis 15 Megatonnen TNT geschätzt wird, lag in einer Höhe von 5 bis 14 Kilometern über dem Fluss. Dies entsprach etwa der 1000-fachen Sprengkraft der Atombombe, welche die USA 1945 über Hiroshima abgeworfen haben. Der Feuerball entzündete unter sich die Taiga. Seine Druckwelle fällte die Bäume fächerförmig auf einer Fläche von 2150 Quadratkilometern. Die Explosion war in einem Umkreis von 1000 Kilometern zu hören. Die Erschütterungen wurden rund um den ganzen Globus registriert. Noch in über 500 Kilometern Entfernung nahmen Menschen einen hellen Feuerschein, eine starke Erschütterung und eine Druckwelle sowie ein Donnergeräusch wahr. Der verwüstete Landstrich befand sich in einem dünn besiedelten Gebiet etwa 700 Kilometer nordwestlich des Baikal-Sees und forderte dadurch keine Menschenopfer. In noch etwa 700 Kilometern Entfernung brachten die erdbebenähnlichen Erschütterungen beinahe die Transsibirische Eisenbahn zum Entgleisen: Das Donnern der Explosion war so stark, dass der Lokführer dachte, sein Zug wäre explodiert. Er zog die Notbremse. In vielen umliegenden Dörfern verursachte diese Explosion eine Massenpanik.Die Augenzeugen berichten von einer Grabesstille, die nach der Explosion eingetreten war. Außerdem änderte die Umgebung ihre Farben: alles wurde zunächst gelb, dann orange, rot und später weinrot. Diese Erscheinungen hielten etwa acht Stunden an. Nicht nur in Russland, sondern auch in Europa waren mehrere Nächte danach ungewöhnlich hell – mühelos konnte man in der Nacht eine Zeitung lesen. Dieses Phänomen wurde vom 30. Juni bis zum 2. Juli 1908 beobachtet. Die späteren Untersuchungen haben außerdem etwas besonders Merkwürdiges ergeben: Ein unbekanntes zylindrisches Objekt trat in die Erdatmosphäre unter einem Winkel von 10 bis 15 Grad ein und bog dann unter 40 Grad nach unten ab, bevor es explodierte. Wäre das unbekannte Objekt vier Stunden später in die Erdatmosphäre eingetreten, hätte sich die Explosion über St. Petersburg ereignet. In diesem Fall hätte die Anzahl der Menschenopfer bei mehreren hundert Tausend gelegen. Über die Ursache dieses Ereignisses rätseln die Wissenschaftler auch heute noch. Um den Tunguska-Zwischenfall zu erklären, wurden im Laufe der Jahre beinahe hundert Hypothesen aufgestellt. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Explosion durch den Eintritt eines Steinasteroiden, Kometen oder Meteoroiden von geringer Dichte verursacht wurde. Er soll einen Durchmesser von ungefähr 80 Metern gehabt haben, etwa fünf bis vierzehn Kilometer über dem Boden zerfallen und explodiert sein. Ob der Tunguska-Körper natürlicher oder künstlicher Herkunft war, bleibt jedoch bis heute ungeklärt. Die Astrophysik hat bisher keinen kosmischen Körper entdeckt, der die durch die Explosion hervorgerufenen Effekte verursachen oder duplizieren könnte. Der Ingeneuer und Schriftsteller Alexander Kasanzew stellte 1946 die Vermutung auf, dass es sich bei dem Objekt um ein havariertes außerirdisches Raumschiff mit Nuklearantrieb handeln könnte. Dessen Besatzung soll das Raumschiff bewusst über eine menschenleere Gegend gelenkt und zur Explosion gebracht haben.Der Erste Weltkrieg und die russische Revolution 1917 drängten die Untersuchung dieses Rätsels in den Hintergrund. Die erste wissenschaftliche Expedition erreichte erst 1927 das Gebiet der Verwüstung. Geleitet wurde sie von dem Mineralogen Leonid Kulik. Kulik suchte bis 1939 noch in fünf weiteren Expeditionen nach dem vermuteten Meteoriten, doch weder seine noch andere Forschergruppen konnten bis heute einen Einschlagkrater oder Trümmerstücke eines Himmelskörpers in der Tunguska-Region entdecken. Die meisten dieser Forschungsreisen wurden von sowjetischen Gruppen unternommen.Seitdem um 1990 die ehemalige Sowjetunion ihre Abschottung gegen den Westen aufgegeben hat, versuchen auch westliche Forscher vor Ort das Rätsel der Tunguska-Explosion zu lösen. Ein Wissenschaftlerteam von der Universität Bologna hat vom 14. bis zum 30. Juli 1999 die bisher aufwendigste Expedition in dieTunguska-Region in Sibirien unternommen. Dabei haben die Forscher die Überreste dieser gewaltigen Explosion unter die Lupe genommen. Während der strapaziösen Exkursion konnten sie übers Internet via Satellitenverbindung ständig Kontakt zur restlichen Welt halten und Berichte sowie Fotos schicken.Das Tunguska-Ereignis inspirierte viele Schriftsteller und Drehbuchautoren: Stanislaw Lem verarbeitete das Tunguska-Ereignis in seinem Roman „Die Astronauten” 1951. Er schildert die Explosion eines Raumschiffs, das von einer auf der Venus beheimateten Zivilisation stammt. In dem Roman „Rückkehr der Zauberer” von Wolfgang Hohlbein (erschienen 1996) dient das Ereignis als Aufhänger für die Handlung. Der Roman „Ljod” (russisch „Das Eis”) ist ein Buch von Wladimir Sorokin, der das Ereignis ebenfalls behandelt. In dem Roman „Ghost Dancer” von John Case (Pseudonym), wird das Ereignis als Folge eines missglückten Experimentes von Nikola Tesla dargestellt. Tunguska ist auch der Titel einer Doppelepisode der Fernsehserie Akte X. Im Internet wird das Spiel „Geheimakte Tunguska” angeboten.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0