Russland

RUSSLANDS FUSSBALLER AUF ERFOLGSKURS

Warum Europa sich an erstklassigen Fußball aus Russland gewöhnen muss(n-ost) – Die drei Männer stecken in roten Trikots, mit dem gekrönten Adler auf der Brust, Bier in Dosen auf dem Tisch, dazu eine durchsichtige Plastikflasche. Von wegen Mineralwasser. Wodka. Na dann, Prost! Die drei, Igor, Andrej und Aliaksandr, sind auf dem Frankfurter Flughafen gestrandet. Auf dem Weg von Österreich nach St. Petersburg. Und ausgerechnet das Spiel ihrer Mannschaft gegen Holland müssen sie sich vor dem Dönerladen am Terminal 2 anschauen. Neben dem Metallcontainer steht ein Großbildfernseher – und eine Handvoll Taxifahrer, die genauso erstaunt über den Sieg der Russen in diesem Spiel ist, wie die restliche europäische Öffentlichkeit. Dabei war der Aufstieg des russischen Fußballs vorhersehbar. So deutlich, wie die Antwort auf die Frage, warum der russische Stürmerstar Andrej Arshavin auch in der zweiten Hälfte der Verlängerung frischer wirkte als die Verteidiger in Oranje. Natürlich: In den ersten beiden Vorrundenspielen musste Arshavin wegen einer Sperre aus den Qualifikationsspielen pausieren. Aber was ist mit den Zhirkovs, Semaks und Zyryanovs, die wie Arshavin in der russischen Premjer Liga beschäftigt sind? Warum laufen die alle schneller als ihre holländischen Gegenüber, die in den besten Mannschaften Westeuropas spielen?Neben den Fähigkeiten des holländischen Trainers Guus Hiddink, der es versteht, das Maximale aus jeder Mannschaft rauszuholen, sind es die strukturellen Voraussetzung dieser Liga: Da ist zunächst der UEFA-Cup-Sieger Zenit St.Petersburg, dem der Verband fünf Spieltage frei gegeben hat, um erfolgreich im Uefa-Cup zu bestehen. Außerdem bildet der aktuelle russische Meister die Korsettstange für die Nationalmannschaft. Und so ähnelte die Verlängerung gegen Holland dem UEFA-Cup-Halbfinalspiel in St. Petersburg (4:0) gegen Bayern München, bei dem die ausgeruhten Russen einer müden Bayern-Mannschaft ihre physischen Grenzen aufzeigten. Fünf Spiele Rückstand hat der russische Meister  – und Tabellenvierzehnte – inzwischen, und das in einer Saison, die erst elf Spieltage alt ist. Die russische Liga richtet sich nach dem Kalenderjahr, und nach nationalen Erfordernissen. Da passt es gut, dass Sportminister Witali Mutko gleichzeitig Vorsitzender des Fußballverbandes ist. Zum Vergleich: Der italienische Stürmerstar Luca Toni hat in diesem Jahr mehr als doppelt so viele Spiele absolviert wie Andrej Arshavin. Zur Europameisterschaft war er überspielt. Wenn es dagegen um den Erfolg des russischen Fußballs geht, werden daheim sämtliche Marktgesetze und Wettbewerbsregeln außer Kraft gesetzt, weil er das Lieblingskind der russischen Oligarchie ist. Auch Igor, Andrej und Aliaksandr konnten sich die Reise zur Europameisterschaft gut leisten. Während des Spiel schließt Andrej auf seinem Taschencomputer schnell noch ein paar Internetwetten ab und lacht: „Ich setze auf ein Endspiel Deutschland gegen Russland.“Russische Fans, die noch ein bisschen mehr Geld haben als diese drei, mehren das Kapital der Stiftung „Nationale Fußballakademie“. Zu deren Sponsoren gehört der staatliche Erdgasmonopolist Gazprom, der gleichzeitig Hauptfinanzier des Uefa-Cup-Gewinners St.Petersburg ist. Auch Roman Abramowitsch, der milliardenschwere Eigentümer des Championsleague-Finalisten FC Chelsea steckt sein Geld in die Stiftung; er ist Aufsichtsratschef. Von einer halben Milliarde Euro Stiftungskapital ist die Rede.Daraus wird auch das Jahresgehalt von Guss Hiddink bezahlt, angeblich zwei Millionen Euro. Netto. 80 Fußballleistungszentren entstehen unter der Ägide der Stiftung in Russland. Außerdem ein luxuriöses Trainingszentrum für die Mannschaft auf 30 Hektar Fläche außerhalb Moskaus. Genau so eines, wie es Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Nationalmannschaft, gerne hätte. Der DFB verweigert es – aus Kostengründen. In Russland steht das Projekt unter der Protektion der Regierung. Schließlich war Staatspräsident Dimitri Medwedew bis vor seinem Amtsantritt noch Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom. Und so ließ sich ZDF-Kommentator Thomas Wark im Spiel der Russen gegen die Schweden zu der Äußerung hinreißen, dass „deutsche Gaskunden bald unter der Eitelkeit russischer Manager zu leiden hätten“. Schließlich muss der russische Traum vom großen Fußball auch bezahlt werden; und das zu einer Zeit, in der Gazprom die Preise anzieht. ARD-Kommentator Tom Bartels sprach unterdessen von der „russischen Nettoliga“. „Was ist eigentlich brutto?“, antwortete ein osteuropäischer Nationalspieler, der in einem Oligarchen-Club sein Geld verdient, dieser Tage auf die Nachfrage, in welchem Land er eigentlich seine Steuern zahle. Vor allem für die technisch starken Spieler aus Kroatien, Tschechien, Serbien und Rumänien, ist die russische Premjer Liga längst die erste Adresse fürs Geldverdienen. Sie haben keine Berührungsängste. Diese Spieler stopfen allerdings nur die Lücken, die der eigene Nachwuchs noch nicht füllen kann. Außerdem sollen sie das allgemeine Niveau der Premjer Liga anheben, die in der Uefa-Fünf-Jahreswertung inzwischen auf Platz fünf steht – hinter der Bundesliga. Grundsätzlich aber gehen russische Spieler vor. Auch das ist ein Grundsatz der „Nationalen Fußballakademie“. In der Liga selbst gilt seit drei Jahren eine restriktive Ausländerregel: Nur sieben Nicht-Russen dürfen bei dem Club eingesetzt werden, ab 2010 nur noch sechs. Im Vergleich: Bei Arsenal London kann es passieren, dass eine Elf gänzlich ohne Engländer aufläuft. Die englische Nationalmannschaft scheiterte bei der Qualifikation zu dieser Europameisterschaft hinter den Russen. Und noch ein Grund für den russischen Erfolg: Der nationale Verband hört auf den Rat von Guus Hiddink. Anders beispielsweise in Polen, wo mit Leo Beenhakker auch ein holländischer Trainer wirkt. Noch dazu einer, der zu den Vätern der Ausbildung bei Ajax Amsterdam zählt, die inzwischen der Maßstab für sämtliche große Clubs ist. Während die Zukunft der russischen „Sbornaja“, der jüngsten Mannschaft bei der Europameisterschaft, schon begonnen hat, treten Engländer oder Polen – aus eben diesem Grund – auf der Stelle. Deutschland wird es mit diesen Russen in der WM-Qualifikationsgruppe zu tun haben. Vielleicht sogar schon früher. Beim Finale am Sonntag in Wien. „Germania-Rossija“, darauf trinken Igor, Andrej und Aliaksandr vor dem Weiterflug: „Prost!“ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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