Moldawien

Brücke zwischen Ost und West

 Es erscheint ungewöhnlich, dem nach offiziellen Angaben internationaler Institutionen ärmsten Staat Europas innerhalb der nächsten zehn Jahre eine bedeutende positive wirtschaftliche und politische Entwicklung vorherzusagen. Doch es gibt bereits heute genügend Anzeichen, um diese Ansicht zu stützen.Wie in allen Staaten mit verzögerter demokratischer Entwicklung ist auch in der Republik Moldau die Wirtschaft häufig noch hausgemachten Schwierigkeiten ausgesetzt. Die kommunistische Regierung hätte über ihre inzwischen mehr als siebenjährige Amtszeit wesentlich mehr erreichen können, wenn sie den politischen Willen dazu gehabt hätte. Sie hat jedoch die Diversifizierung ausländischer Handelspartner nur halbherzig betrieben, sodass die Wirtschaft des Landes bis heute zu stark vom russischen Markt abhängt. Obwohl auch die Europäische Union den Handel mit Nicht-EU-Staaten behindert und obwohl es aufgrund der Konkurrenz schwer ist, moldauische Weinmarken auf dem europäischen Markt zu platzieren, hat die Regierung Moldaus doch viel zu spät neue Absatzmärkte für nationale Produkte gesucht.

Europaplatz im Zentrum der moldauischen Hauptstadt Chisinau / Michael Wiersing, n-ost

Seit Beginn der 90er Jahre hat die Wirtschaft in der Republik Moldau eine Eigendynamik entwickelt, auf die die Politik nur begrenzt Einfluss ausüben kann und die ungeordnet verläuft. Wie im Falle vieler osteuropäischer Staaten,  insbesondere ehemaliger Sowjetrepubliken, dauert in Moldau das Zeitalter des Brutalkapitalismus an, der ohne jede Rücksicht auf die sozial Schwächeren oder das Gemeinwohl nur den eigenen wirtschaftlichen Vorteil sucht. Fast ausgestorbene Dörfer, eine nach wie vor sehr hohe Migration ins Ausland, am Existenzminimum lebende Familien und das häufige Fehlen einer Grundversorgung mit fließend Wasser und Heizung stehen Luxusvillen und auffallend zur Schau getragener Reichtum gegenüber. Die kommunistische Regierung hat sich das Ziel, möglichst viel Geld in die eigene Tasche zu wirtschaften, dabei zu eigen gemacht. Wenig überrascht es da, wenn der reichste Mann im Lande Oleg Voronin ist, der Sohn des Staatspräsidenten, dem Dutzende Firmen, Fabriken und Immobilien gehören. Der Grad der Korruption in Moldau ist dementsprechend hoch, auch wenn er weder ukrainische noch russische Ausmaße erreicht.


Der neue Business Center „Sky Tower“ im Zentrum von Chisinau / Michael Wiersing, n-ost

Fehlendem staatlichen Engagement und dubiosen Wirtschaftspraktiken zum Trotz wird der Anteil des Kapitals, der aus respektablen europäischen und internationalen Quellen stammt, immer bedeutender. Die einseitige Abhängigkeit von russischen Wirtschaftspartnern nimmt dadurch Jahr für Jahr ab. Das zeitweise Einfuhrverbot von moldauischen Agrarprodukten nach Russland in den Jahren 2006 und 2007 hat zu zweierlei geführt: Einerseits wurde die moldauische Volkswirtschaft durch die Umsatzeinbußen erheblich geschädigt, Betriebe mussten ihre Arbeit einstellen.

Obwohl die Regierung abwartend reagierte und wiederholt den Anschein vermittelte, die alte Abhängigkeit von Russland einfach wieder herstellen zu wollen, konnte sie den betroffenen Firmen die Suche nach Kunden in neuen Ländern jedoch kaum verbieten. Der Erfolg unternehmerischer Eigeninitiative hat andererseits also dazu geführt, dass das Spektrum der Handelspartner inzwischen deutlich größer ist. Europäischen Staaten kommt dabei eine immer größere Bedeutung zu.

Nur konsequent ist es da, wenn moldauische Produzenten zunehmend engere Beziehungen zu EU-Mitgliedern entwickeln und dies unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftszweig. Vorzugsabkommen mit den meisten europäischen Ländern und den ehemaligen Republiken der Sowjetunion hat Moldau inzwischen unterzeichnet, seit Jahren ist das Land Mitglied der Welthandelsorganisation.

Mit der Vollmitgliedschaft Rumäniens in der EU seit Januar 2007 ist ein zusätzlicher positiver Wirtschaftsfaktor aufgetaucht. Durch den Anstieg der Löhne in dem westlichen Nachbarland wird es für Investoren inzwischen immer attraktiver, Großmärkte für Baumaterialien und Möbel, die sich an eine rumänische Kundschaft richten, in Moldau aufzubauen. Die weiterverarbeitende Textilindustrie – unter anderem werden in der moldauische Hauptstadt Chisinau im Auftrag von Dolce-und-Gabbana-Taschen hergestellt – ist rasant auf dem Vormarsch und wird in diesem Jahr voraussichtlich erstmals die Einkünfte aus dem Weinhandel übertrumpfen. Beide Wirtschaftszweige machen zusammen gut 50 Prozent des moldauischen Bruttosozialprodukts aus.

Dass regelmäßig neue internationale Verkehrsverbindungen und ausländische Botschaften, Banken und Firmenniederlassungen eröffnet werden, demonstriert das wirtschaftliche Interesse an Moldau immer deutlicher. EU-Delegation und Europarat unterhalten seit einigen Jahren ihre eigenen permanenten Büros im Land, eine Fortsetzung des Aktionsprogramms zwischen EU und Moldau steht zur Unterzeichnung an. Europäische Investoren in Bereichen der Stromversorgung (die spanische Union Fenosa) und der Mobilkommunikation (die französische Orange) dominieren bereits den Markt, während einzelne moldauer Landkreise Industriegebiete einrichten und dafür die Verbesserung der Infrastruktur vorantreiben.


Das wirtschaftliche Ungleichgewicht bestimmt das Alltagsleben in Moldau. / Michael Wiersing, n-ost

Der Trend der vergangenen Jahre – wirtschaftliche und politische Öffnung gegenüber Europa – wird sich in Zukunft aller Voraussicht nach fortsetzen. Ebenso wahrscheinlich ist allerdings, dass die kommunistische Partei die Parlamentswahlen im März 2009 gewinnt und für weitere vier Jahre die Regierung stellt. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass die positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre weiterhin vom Staat und den ihm nahe stehenden Wirtschaftsvertretern gebremst werden.Grundsätzlich ändern dürfte sich dies jedoch, wenn – wie abzusehen – 2013 eine neue, demokratische Kraft an die Regierung kommt.

Eine eindeutige europäische Positionierung der Republik Moldau in allen Bereichen ist dann zu erwarten. Bereits jetzt ist es in Moldau unmöglich, als eine ernst zu nehmende politische Kraft aufzutreten, ohne die europäische Integration im Rahmen der EU anzustreben. Dies trifft selbst auf die Kommunisten zu. Der rein deklarative Charakter der kommunistischen Position von heute könnte allerdings nach 2013 durch den authentischen Wunsch nach einer EU-Mitgliedschaft ersetzt werden, die zum vorrangigen Ziel der moldauischer Außenpolitik werden dürfte.

Sowohl die Tatsache, dass die Größe des Landes – Moldau ist etwas größer als Belgien – und seine Bevölkerungszahl (3 Millionen) überschaubar sind, als auch die Erkenntnis, dass Moldau einfacher als die ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken integriert werden kann, dürften den Beitrittsprozess beschleunigen. Es ist mit einem deutlichen Investitionsschub zu rechnen, der durch die Förderung mit EU-Mitteln begünstigt werden könnte.

Der bis heute ungelöste Konflikt um die von einer russischsprachigen Verwaltung dominierte abtrünnige Republik Transnistrien im Osten des Landes wird auf diese Entwicklung kaum Einfluss haben. Ein Anschluss des Territoriums an Russland ist unwahrscheinlich, da Moskau wenig Interesse zeigt, sich neben Kaliningrad einen weiteren Klotz ans Bein zu binden. Die staatliche Unabhängigkeit Transnistriens ist praktisch ausgeschlossen, würde aber die europäische Integration Moldaus ebenso wenig behindern. Die Bevölkerung Moldaus ist bereits jetzt klar pro-europäisch eingestellt.

Der Anteil der Moldauer, die in den letzten 15 Jahren nach Westeuropa ausgewandert sind, überwiegt inzwischen die Zahl der moldauischen Gastarbeiter in Russland. Und obwohl nur wenige von ihnen endgültig nach Moldau zurückkehren und dort investieren werden, sind ihre Werte doch stark von ihren Erfahrungen in Europa geprägt. Die erfolgreiche Vermittlung moldauischen Studenten als billige Arbeitskräfte in die USA und nach Westeuropa während der Sommermonate führen zusätzlich dazu, dass sich die junge Bevölkerung ganz klar an den westlichen Modellen von Politik und Wirtschaft orientiert. Das Ausbildungsniveau und die Leistungsstandards der Bevölkerung werden nach Jahren des Rückgangs wieder ansteigen, die staatliche Wirtschaft wird vielfältiger werden. 

Eine nachhaltige positive Entwicklung Moldaus wird dennoch nur dann stattfinden, wenn das Land seine wirtschaftlichen Vorteile zu bewahren und zu nutzen weiß. Dazu zählt der Fakt, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung zweisprachig aufgewachsen ist und sowohl Russisch als auch Rumänisch spricht. Die vollkommene Abkehr von russischen Handelspartnern und ein Verlernen der russischen Sprache wären fatal, wenn der Staat seine natürliche Position als Verbindungsbrücke zwischen West und Ost behalten und ausbauen will. Die Chancen dafür stehen gut, zumal Moldau von zwei großen Ländern – Rumänien und der Ukraine – flankiert wird, deren Bevölkerung die Sprache des jeweils anderen nicht beherrscht und sich wenig dafür begeistert.


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