Rumänien

GEFÄHRLICHER KAUFRAUSCH

Viele rumänische Haushalte verschulden sich über beide Ohren – für Fernseher, Autos und teure Kleidung(n-ost) – Rumänien befindet sich seit einiger Zeit im kollektiven Kaufrausch. Die Leute konsumieren, als würde morgen die Welt untergehen. Teure Autos füllen die Straßen – in Bukarest nahm die Anzahl der Autos in den vergangenen drei Jahren von 500.000 auf 1,1 Millionen zu. In den Vorstädten schießt eine Mega-Mall nach der anderen aus dem Boden. Große Modehäuser wie Benetton oder Zara sind nicht mehr nur zur Produktion in Rumänien, sondern um zu verkaufen.Ziel der rumänischen Spendierlaune sind meist Markenprodukte aus dem Westen, deren Preise hier mindestens genau so hoch sind, wie in ihren Herkunftsländern. Für ein Paar Adidas-Schuhe zahlt man problemlos 100 Euro, Elektrogeräte sind auch im Discount-Handel extrem teuer. Das treibt absurde Blüten. So ist gelegentlich zu hören, wie sich rumänische Touristen aufs Billig-Shoppen in London freuen – offiziell eine der teuersten Städte der Welt. Oder der Gebrauchtwagenmarkt: Schon seit längerem ist es ein ganzer Industriezweig, Autos aus zweiter Hand in Westeuropa zu kaufen, um sie auf dem rumänischen Markt mit einem fetten Gewinn wieder loszuwerden. Für einen VW Golf, Baujahr 2000, bekommt man in Rumänien leicht 1.000 Euro mehr als in Deutschland.
Casino und Kreditbüro im selben Aufgang
FOTO: Hannelore BaierDie hohen Preise haben der Konsumlust jedoch bislang keinen Abbruch getan. Das Paradoxe daran ist: Der Durchschnittsnettolohn Rumäniens betrug 2007 gerade einmal 313 Euro monatlich. Nur in Bukarest durchbrach er die 400-Euro-Marke, in den ärmeren Regionen im Nordosten lag er gar bei unter 250 Euro. Da drängt sich die Frage auf: Wie können die Rumänen sich das leisten? Die Antwort ist einfach: Sie können es nicht. Zwar ist der niedrige Durchschnittsnettolohn allein aus mehreren Gründen ein etwas irreführender Indikator. Erstens verdienen nur die wenigsten Berufstätigen tatsächlich nur das, was in die offiziellen Statistiken gelangt. Unangemeldete Zweit-Jobs und verdeckte Zahlungen sind ganz normaler Teil des Arbeitsalltags. Zweitens zahlen sehr viele nichts oder nur wenig für ihre Wohnung, da nach 1989 einst staatlich regulierter Wohnraum für Schleuderpreise und in Massen an die Bevölkerung verkauft wurde. Deshalb lebt ein sehr hoher Anteil in Eigentumswohnungen, der Mietmarkt ist fast tot. Drittens schicken Exil-Rumänen jedes Jahr beträchtliche Summen an ihre Familien zurück. Vergangenes Jahr waren das sieben Milliarden Dollar.  Doch auch all diese Faktoren zusammengenommen können das Phänomen nicht erklären. Der wichtigste Aspekt ist ein anderer: Die konsumfreudigen Rumänen verschulden sich bis über beide Ohren.Das Aufnehmen von Konsumkrediten hat sich zu einer Art Volkssport entwickelt. Als sich die Landeswährung, der Leu, vor vier Jahren halbwegs zu stabilisieren begann, fingen die Banken erstmals damit an, persönliche Kredite im größeren Stil zu vergeben. Angetrieben durch ein stetiges Wirtschaftswachstum von etwa sechs Prozent jährlich hat sich die Situation seitdem gefährlich verselbstständigt. Die Kreditinstitute – befreit von den bis dato strengen Restriktionen der rumänischen Nationalbank – überbieten sich mit Spezialofferten, die Konditionen werden immer waghalsiger. Mittlerweile sind Kredite ohne jegliche Vorleistung und mit einer monatlichen Rückzahlung von 70 Prozent des Monatsgehalts keine Seltenheit mehr. Man kann Kredite bis zu 20.000 Euro mit einer Laufzeit von 40 Jahren bekommen, ohne nennenswerte Garantien bieten zu müssen. Das Ergebnis: Im Jahr 2007 haben insgesamt 5,9 Millionen Rumänen einen Kredit aufgenommen, das ist weit mehr als ein Drittel der volljährigen Gesamtbevölkerung. Im März 2008 hatte sich das monatliche Kreditvolumen im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent erhöht, auf 165 Milliarden Lei (46 Milliarden Euro). Diese Zahlen sind vor allem deshalb alarmierend, da nur lächerliche 20 Prozent aller Kredite an Privatpersonen für Immobilien verwendet werden, 80 Prozent finanzieren Produkte mit extrem kurzer Wertkonsistenz wie Autos, Kleider und Elektrogeräte. Zum Vergleich: In der Slowakei gehen 70 Prozent aller Kredite in die eigenen vier Wände, in der Tschechischen Republik sind es 66 Prozent. Da die Löhne niemals so schnell wachsen können, wie es nötig wäre, um diese riesenhaften Summen zu decken, könnte sich die rumänische Volkswirtschaft bald einem Berg völlig überschuldeter Privathaushalte gegenüber sehen. Hinzu kommt, dass 55 Prozent aller Kredite nicht in Leu, sondern in anderen Währungen aufgenommen wurden. So ließ der Kurseinbruch des Leu im zweiten Halbjahr 2007 die Rückzahlungsraten in die Höhe schießen. Die Konsequenz: Die Ausfallrate für Konsumkredite wird für das laufende Jahr auf bis zu 6 Prozent geschätzt, was im Vergleich zum Vorjahr einer dramatischen Steigerung um das Sechsfache entspricht. „Es wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis wir für diesen Wahnsinn die Rechnung präsentiert bekommen“, kommentierte Ionut Dumitru von der Raiffeisen Bank im Business Magazin.Warum missachten die Rumänen alle Regeln der wirtschaftlichen Vernunft? Dass die Nachfrage nach Luxusgütern so hoch ist, wird oft damit erklärt, dass sich die Bevölkerung nach Jahrzehnten der Enthaltsamkeit, erzwungen durch den Kommunismus und wirtschaftliche Unterentwicklung, auch mal etwas gönnen will – koste es, was es wolle. Verstärkt wird dieser Hyperkompensationseffekt durch eine gewisse Sorg- und Ahnungslosigkeit vieler Rumänen was die Rahmenbedingungen moderner Bankgeschäfte angeht. Es herrschen Zweifel, ob alle Kunden wirklich wissen, was sie bei den Banken unterschreiben. „Die große Mehrheit der Bevölkerung versteht die Terminologie eines Kreditvertrags, ganz egal welchen Typs, nicht“, meint Adriana Ahciarliu, Generalsekretärin des Vereins für Leasing und Finanzdienstleistungen (ALB). Zudem hat das starke Wachstum der vergangenen Jahre wohl bei vielen Rumänen den Anschein eines ewigen wirtschaftlichen Frühlings erweckt. Man kann nur hoffen, dass es für viele nicht zu spät ist, wenn die Löhne einmal aufhören zu steigen.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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