„ZUSAMMENARBEIT AUF ALLEN EBENEN“
Die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland hängen nicht von den führenden Köpfen im Staat ab, meint Politologe Wladislaw Below(n-ost) - Kanzlerin Angela Merkel war der erste ausländische Staatsgast, den Präsident Dmitri Medwedew unmittelbar nach seiner Wahl empfing. Außenminister Frank-Walter Steinmeier war der erste hochrangige Besucher nach Medwedews Amtseinführung im Mai. Am 5. Juni reist Medwedew nach Berlin – zu seiner ersten Europavisite als Präsident. Die häufigen Begegnungen belegen den hohen Stellenwert der deutsch-russischen Beziehungen. Wladislaw Below, Direktor des Zentrums für Deutschlandforschungen am Europainstitut der Akademie der Wissenschaften, erklärt im Interview das besondere Verhältnis der beiden Länder und sagt, wo beide Seiten voneinander lernen können.
Wladislaw Below, Direktor des Zentrums für Deutschlandforschungen
FOTO: privatFrage: Herr Below, wie steht es zurzeit um die deutsch-russischen Beziehungen?Below: Die Beziehungen sind sehr gut. Sie sind europäisch, so wie es Außenminister Steinmeier im Jahr 2006 forderte: Die deutsch-russischen Beziehungen sollten europäisch-russische Beziehungen heißen. Sie sind nachhaltig, sie sind fundiert und unabhängig von den führenden Köpfen im Staat.Frage: Dabei ist immer wieder die Rede vom unterschiedlichen Kurs der Russlandpolitik zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder, dem Altkanzler und Putin-Freund.
Below: Die Beziehungen sind unabhängig vom Stand der persönlichen Beziehungen, egal ob Schröder, Merkel, Putin oder Medwedew. Sie können den fundamentalen Charakter der Beziehungen in vielen Bereichen nicht ändern. Der Kultur- und Jugendaustausch funktioniert unabhängig. Das gilt auch für die Wirtschaftsbeziehungen, welche die Hauptrolle im deutsch-russischen Verhältnis spielen. Es geht nicht um Personen, sondern um Nachhaltigkeit. Egal wie die Chemie zwischen den Führungspersonen ist, das Fundament ist so solide, dass es nicht mehr eingerissen werden kann. Denn es gibt ein großes gegenseitiges Vertrauen. Allerdings sind die Beziehungen seit längerem auf demselben Stand. Nun ist es die Aufgabe von Dmitri Medwedew, etwas Neues beizusteuern.Frage: Was kann Deutschland künftig von Medwedew erwarten?Below: Deutschland kann erwarten, dass das Tandem Medwedew/Putin den Reformweg weiter beschreiten und eine Demokratisierung nach europäischen Werten vorantreiben wird. Es wird zudem erwartet, dass Medwedew ein offenes Ohr für kritische Worte aus dem Westen hat. Ich denke, diese Erwartungen werden erfüllt, denn Medwedew legt großen Wert auf Rechtsstaatlichkeit. Ich würde es begrüßen, wenn Deutschland auf diesem Reformweg mit Russland kooperieren würde. Etwa bei der Bekämpfung von Korruption oder der Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmer. Dafür braucht Russland unter anderem eine weitgehende Reform des Gerichtssystems – deutsche Erfahrung ist hierbei gefragt.Frage: Und was erwartet Russland umgekehrt von Deutschland?Below: Russland erwartet, dass deutsche Politiker etwas unternehmen, um das Russlandbild in den deutschen Medien objektiver zu machen. Das ist wichtig für kleine Unternehmer, die nach Russland kommen wollen, aber von den Berichten abgeschreckt werden. Umgekehrt sollte auch Deutschland kleine und mittlere russische Unternehmer willkommen heißen. Deutschland wie auch Russland brauchen eine aktivere Standortpolitik. Wir erwarten, dass sich Deutschland künftig auch die Regionen bis in den Fernen Osten erschließen wird. Russland erwartet ebenso eine weitere Förderung des Schüler- und Studentenaustausches und der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit. Russland hofft, dass Deutschland eine Vermittlerrolle für seine europäischen Nachbarn bei den Verhandlungen über das Partnerschaftsabkommen spielt, denn nicht alle Staaten in Europa verstehen Russland richtig. Kurz: Zusammenarbeit auf allen Ebenen.Frage: Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat Präsident Medwedew ein „Modernisierungsabkommen“ mit Deutschland und Europa vorgeschlagen. Darin soll es etwa um die Energiewirtschaft oder den Aufbau eines modernen Gesundheitswesens und eine funktionierende Verwaltung gehen. Wo kann Russland von Deutschland lernen?
Below: Überall! Deutschland hat viele Erfahrungen gemacht, positive und negative. Davon können wir profitieren, etwa bei Fragen zu Wirtschaftsordnungspolitik, Föderalismus und regionaler Entwicklung. Deutschland ist in vielen Bereichen ein Vorbild, das der russischen Mentalität sehr nahe steht. Übrigens kann Deutschland auch von Russland lernen, gerade im Geschäftsbereich. Dort sind Herangehensweisen an Probleme oft anders, beispielsweise in Sachen Risikobereitschaft. Deutschland kann vom multi-ethnischen Russland außerdem lernen, wie man multinationale Probleme löst. Auch die russische Hightech- und Physik-Forschung ist interessant für Deutschland. Es ist ein gegenseitiges Lernen.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0