Mit Wein, Weib und Elefanten
Der Kommunalwahlkampf in Rumänien offenbart ein seltsames Demokratieverständnis(n-ost) – Was ist denn da los? In der blau-gelben Menschenmasse auf einer der Hauptstraßen Konstanzas (Constantas) am Schwarzen Meer herrscht kräftiges Gedränge. Leute mit Schals und Mützen der Nationalliberalen Partei Rumäniens (PNL) recken ihre Hälse in die Luft und treten sich gegenseitig auf die Füße. Viel Aufregung in einem sonst eher gemütlichen Kommunalwahlkampf. Der Grund dafür kommt schwerfällig um die Ecke gewankt: An einer langen Leine führt Victor Manea, Bürgermeisterkandidat der PNL in Konstanza, einen leibhaftigen Elefanten spazieren.Fast 20 Jahren nach dem Ende des Kommunismus und mehr als ein Jahr nach dem EU-Beitritt leidet Rumänien noch immer unter einer fehlenden demokratischen Kultur. Das zeigt sich einerseits daran, dass nur wenige Bürger Lust haben, an der politischen Willensbildung teilzuhaben. Die Europaparlamentswahlen brachten noch nicht einmal 30 Prozent der Wähler an die Urnen und selbst bei den letzten Präsidentschaftswahlen in 2004 wollte nur gut jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgeben. Bei den Kommunalwahlen am 1. Juni und möglichen Stichwahlen am 15. Juni wird das kaum anders sein. Die demokratische Unerfahrenheit merkt man auch an den seltsamen Methoden, die große Teile der politischen Klasse im aktuellen Wahlkampf anwenden. „Auffallen um jeden Preis“ scheint die goldene Regel zu lauten. Wein, Weib und Elefanten – die Kandidaten greifen zu den absurdesten Mitteln, um sich von der Konkurrenz abzuheben.
Frei nach Da Vinci - Wahlplakat von Dorel Caprar
FOTO: Partei PSDSeinen Elefanten hat sich Victor Manea von einem Zirkus in Budapest ausgeliehen. Die Botschaft lautet, dass Manea den amtierenden Bürgermeister Konstanzas, Radu Mazare, genau so verspeisen wird, wie das Zirkustier die Erbsen (rumänisch „Mazare“) im Futtertrog. Immerhin: Die Kinder haben ihren Spaß an dem Dickhäuter. Weniger kinderfreundlich agiert ein anderes PNL-Mitglied, Cristian Banu, der für das Bürgermeisteramt des Bukarester Sektors 5 kandidiert. Er hielt es für angebracht, auf seinen Wahlplakaten appetitliche Männer und Frauen nackt abzubilden, die ihre Weichteile mit unschönen Fotos aus eben jenem fünften Sektor verdecken. „Die nackte Wahrheit“, so der Slogan. Noch weiter unten im geschmacklichen Keller tummelt sich PNL-Mitglied Andrei Mladin, der um das Bürgermeisteramt der Stadt Jilava kämpft. Er bat in einer Wahlkampfveranstaltung die Berufs-Blondine Simona Sensual, ein Society-Girl mit einem Brustumfang epischen Ausmaßes, auf die Bühne. Dort präsentierte diese zunächst einen Auftritt der Band „Sexxy“ und moderierte dann den „Schönheitswettbewerb Jilava 2008“, bei dem die Dorfschönheiten zeigen dürfen, was Mutter Natur ihnen mit auf den Weg gegeben hat. Für das freizügige Spektakel hatte sich Mladin einen ganz besonders passenden Ort ausgesucht: einen Schulhof.Geilheit ist aber nicht der einzige niedere Instinkt, an den in diesem Wahlkampf appelliert wird. Politiker der dem Namen nach Sozialdemokratischen Partei (PSD) bedienten zum Beispiel auch die Gier. In Arad, einer Stadt nahe der Grenze zu Ungarn, organisierte die Partei wöchentlich Gratis-Transporte zu ungarischen Supermärkten, um damit gegen die hohen Preise für Lebensmittel in Rumänien zu protestieren. Überhaupt zeigt sich die PSD in Arad sehr innovationsfreudig. Ihr Kandidat für das Bürgermeisteramt, Dorel Caprar, sorgt derzeit mit einem Wahlplakat für Aufruhr, das ihn als Jesus im Kreise seiner Jünger zeigt, in einer Nachstellung der Konstellation des berühmten Gemäldes von Leonardo da Vinci. Auch der Platz des Judas ist besetzt, von Caprars ehemaligen Parteigenossen Dorel Popa, der kürzlich zur Konservativen Partei (PC) übergelaufen ist.Immer noch beliebt ist natürlich und parteiübergreifend das Ausgeben von Geschenktüten an Wähler. Anders als in Deutschland befinden sich darin aber nicht nur Kugelschreiber und T-Shirts, sondern Zucker, Mehl, Reis und, passend zur orthodoxen Osterzeit, Lammfleisch. Und Schnaps. Zum Ärger aller Parteien sind derartige Wahlgeschenke, einschließlich Bargeld, vom zentralen Wahlbüro aber inzwischen verboten worden.Wer vergessen haben sollte, warum die Rumänen nie Vertrauen in ihre politische Klasse gewonnen haben, der wird beim derzeitigen Wahlkampf schnell daran erinnert. Bei viel zu vielen rumänischen Politikern ist Opportunismus Trumpf. Insbesondere auf lokaler Ebene wechseln Loyalitäten schneller als man gucken kann. Dem Eindruck, dass „die Politiker“ vor allem auf eigene Rechnung handeln, kann man sich schwer erwehren. Dan Pirnoiu, Chef der rumänischen Gewerkschaft für Gesundheitsfürsorger „Sanitas“ in Hermannstadt/Sibiu und Kandidat für den dortigen Kreisrat. Pirnoiu hat es zum Beispiel geschafft, sich innerhalb eines Jahres bei drei verschiedenen Parteien einzuschreiben. Bis vor einem Jahr noch bei der PSD, ließ er sich nun auf die Liste der PNL setzen. Da fühlte er sich dann aber auf Platz neun nicht so recht wohl, so dass er schnell zur Konservativen Partei (PC) wechselte, die ihm Listenplatz zwei versprach. „Ob man jetzt bei der PSD oder der PC oder der PNL ist, Politik macht man überall. Ich bleibe doch nicht da, wo man mich auf einen aussichtslosen Platz setzt. Ich war auf Platz neun, jetzt bin ich auf Platz zwei!“, freut sich Pirnoiu in einem Interview mit dem Sibiu Standard. Dass dem einen oder anderen Rumänen da die Lust am Wählen vergeht, ist kaum zu verübeln.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0