SEHNSUCHT NACH DER VERLASSENEN HEIMAT
Noch arbeitet ein Zehntel aller Rumänen im Ausland – doch vieles spricht für einen Trend zur Rückkehr(n-ost) – Jedes Jahr im Sommer herrscht Tumult vor der spanischen Botschaft in Bukarest. Um die Absperrgitter drängeln sich Dutzende Rumänen, die ein Arbeitsvisum beantragen wollen. Dass manche schon etwas länger auf Einlass warten, zeigen zahlreiche Zelte, die auf der nahe gelegenen Verkehrsinsel aufgeschlagen wurden. Dort sitzen sie und warten auf ihre Chance: die so genannten Capsunari, eine Wortschöpfung abgeleitet vom rumänischen „capsun“, Erdbeere. Jedes Jahr rücken ganze Legionen von Rumänien nach Spanien zur Erdbeerernte aus. Und das lohnt sich. Eine junge Frau sagt: „In Spanien verdiene ich in wenigen Wochen so viel, wie hier in drei Monaten. Die Arbeit ist hart, aber ich kann meiner Mutter 600 Euro pro Monat zurückschicken.“Obwohl „Capsunar“ im Rumänischen zum Synonym für Gastarbeiter geworden ist, ist dies nur ein Teil eines rumänischen Massenphänomens, das sich beileibe nicht nur auf unqualifizierte Arbeitskräfte beschränkt. Zurzeit verdienen zwischen 1,5 und 3,4 Millionen Rumänen aus allen Schichten ihr Geld im Ausland. Genaue Ziffern gibt es nicht, die hohe Anzahl an Saisonarbeitern und die vielen unregistrierten Gastarbeiter machen präzise Schätzungen unmöglich. Im Schnitt arbeitet etwa ein Zehntel der rumänischen Gesamtbevölkerung fern der Heimat. Die meisten sind in den frühen 90ern gegangen, als die Jahresinflationsrate zeitweise jenseits von 250 Prozent lag. Italien und Spanien, wo die kulturelle und sprachliche Integration relativ leicht fällt, sind die beliebtesten Zielländer. Auch Deutschland, wo viele noch familiäre Verbindungen durch ausgewanderte Rumäniendeutsche haben, und Kanada sind klassische Ziele. In der Schweiz dagegen leben momentan nur ungefähr 4.000 Rumänen, viele arbeiten im IT-Bereich und im Gesundheitswesen. Trotzdem haben sich die Eidgenossen das Recht ausgehandelt, Plätze für Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien bis 2019 zu kontingentieren.Der Großteil der Exil-Rumänen ist jünger als 40 Jahre und sollte eigentlich das Rückgrat der heimischen Wirtschaft bilden. Obwohl sich diese in den vergangenen fünf, sechs Jahren einigermaßen stabilisiert hat, sind bislang nur wenige zurückgekommen.
Grund dafür ist vor allem die unerhört hohe Differenz zwischen Durchschnittslöhnen und Preisen in Rumänien. Der landesweite Durchschnitts-Nettolohn betrug 2007 gerade einmal 313 Euro monatlich, dabei sind die Mieten in den Städten und die Preise in den Supermärkten nicht geringer als in Westeuropa: Ein Liter Milch kostet einen Euro, ein Cappuccino im Café zwei, und wer ein Paar Marken-Jeans haben will, muss um die 100 Euro hinlegen. Dass sich der Konsum dennoch im Dauerhoch befindet, liegt an Kleinkrediten, die aufzunehmen eine Art Volksmode geworden ist – und natürlich am Geld aus dem Ausland. Im vergangenen Jahr schickten rumänische Exil-Arbeiter sieben Milliarden Dollar zurück in die Heimat, fünf Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts.Auch akademisch bietet Westeuropa jungen Rumänen mehr als das Heimatland. Zwar ist es nicht schwer, einen Studienplatz zu bekommen. In den rumänischen Vorlesungssälen aber sind Frontalunterricht und erkaufte Noten an der Tagesordnung, die Aufstiegschancen für junge Akademiker dank einer verknöcherten Administration schlecht. „An den rumänischen Unis gibt es nicht einmal Anwesenheitspflicht. In Deutschland ist alles viel seriöser“, sagt Julia Repold, eine 19-jährige Rumänin aus Hermannstadt/Sibiu, die in Stuttgart Sozialwissenschaften studiert. Mehr als die Hälfte ihrer ehemaligen Klassenkameraden ist inzwischen ins Ausland gegangen, allein 20 leben in Wien.Für die rumänische Binnenwirtschaft hat das die unschöne Folge, dass es nicht mehr genug Arbeits- und schon gar keine Fachkräfte gibt. Das hält zwar die Arbeitslosenquote niedrig (landesweit unter fünf, in Wirtschaftszentren wie Bukarest oder Temeswar unter zwei Prozent), lässt Unternehmer aber immer wieder klagen, wie schwer es sei, qualifiziertes Personal zu finden. Darum umwirbt der rumänische Staat seine Exil-Arbeiter in Westeuropa jetzt gezielt. In Spanien und Italien finden regelmäßig Jobbörsen für rumänische Staatsbürger statt, auf denen ihnen Tausende von Jobs in der Heimat angeboten werden. Immerhin lockt Rumänien mit einem stabilen Wirtschaftswachstum und ist schon längst kein Billigstlohnland mehr. „Insgesamt steigt die Qualität der Investoren. Wo früher die Textilindustrie war, ist jetzt die KfZ-Industrie, und auch die überlegt schon weiterzuziehen“, meint Malte Kessler, dpa-Wirtschaftskorrespondent für Rumänien. Mit der Qualität der Investoren steigen die Löhne und das Lebensniveau. Zusammen mit der ungebrochenen Heimatliebe der Rumänen (in einer Umfrage der Deutschen Welle unter Exil-Rumänen in Italien gaben sich 78 Prozent der Befragten stolz oder sehr stolz auf ihre Nationalität) könnte das den Rückkehrer-Effekt stärken.Im Moment wird die Entscheidung, die Heimat gar nicht erst zu verlassen, dadurch erleichtert, dass der EU-Beitritt 2007 zwar die Reisefreiheit, aber noch lange keine freie Wahl des Arbeitsplatzes gebracht hat. Viele Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben Schutzklauseln zur Sicherung des Arbeitsmarkts bis 2014 installiert. Dabei ist unwahrscheinlich, dass eine völlige Liberalisierung des europäischen Arbeitsmarktes eine neue Emigrationswelle auslösen wird. „Wer weg wollte, ist schon weg, dazu gehört ja auch ein gewisser Pioniergeist, den nicht jeder hat“, meint Kessler. Hinzu kommt, dass es in den Lieblingsländern rumänischer Exilarbeiter – Spanien und Italien –, immer schwieriger wird, überhaupt Arbeit zu finden. Die spanische Baukrise wird die Branche dieses Jahr 200.000 Jobs kosten und die Gastarbeiter sind meist die ersten, die ihre Sachen packen müssen. „Angst vor Rezession nährt Heimwehgefühle“, titelte die rumänische Nachrichtenagentur Mediafax diesbezüglich kürzlich. Die Chancen stehen gut, dass diese Schlagzeile noch eine Weile Bestand hat.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87