Russland

Virtueller Pranger gegen Korruption

Der Gang zu einem Amt oder der Besuch eines Krankenhauses bedeutet für viele Russen immer noch einen tiefen Griff ins Portemonnaie. Und fast alle machen gezwungenermaßen mit, denn ohne das Bakschisch werden Vorgänge verschleppt oder Behandlungen verweigert. Die Geschmierten sitzen am längeren Hebel. Im Januar 2008 veröffentlichte das Moskauer Wirtschaftsblatt „Business & Financial Markets“ die Ergebnisse einer Untersuchung der Heritage Foundation und des „Wall Street Journal“. Demnach sieht es düster aus: In Russland wuchere die Korruption geradezu. Bezüglich der Wirtschaftsfreiheit steht Russland im Rating unter 162 Ländern an 134. Stelle. „Die Korruption durchdringt bereits nicht nur staatliche Strukturen, sondern auch private Firmen“, zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti Anton Danilow-Daniljan, Vorsitzenden des Expertenrats von „Delowaja Rossija“ (Business-Russland). Nach Einschätzung der Organisation Transparency International, die sich für die Einhaltung der international gültigen Grundsätze gegen Korruption einsetzt, werden 90 bis 95 Prozent der Bestechungsdelikte in Russland nicht geahndet.

Dass es durchaus effektive Mittel gibt, gegen Korruption vorzugehen, zeigt das Beispiel der russischen Nichtregierungsorganisation „Nein zu Schmiergeld“. Die NGO hat das Internet als Waffe entdeckt: Seit genau zwei Jahren können alle russischen Bürger korrupte Beamte anonym auf der Webseite vzjatkam.net („Nein zu Schmiergeld“) melden. Insgesamt 1235 Hinweise gingen in den vergangenen zwei Jahren ein. „Das Erscheinen Ihrer Personalien auf der Webseite ist noch kein Grund, Sie festzunehmen. Es gibt Ihnen jedoch Anlass, sich Gedanken darüber zu machen, und den Rechtsschutzorganen den Anstoß, Sie und Ihre Tätigkeit unter die Lupe zu nehmen“, teilen die Gründer der Web-Seite den Gemeldeten online mit.Im Durchschnitt loggen sich rund 30.000 Besucher pro Monat auf der Webseite ein. Eingetragen wurden dort auch einige Beamte, die eigentlich für die Bekämpfung der Korruption zuständig wären. Die Web-Seite führt auch eine Rangliste: Je nach Häufigkeit der Erwähnung kann ein Beamter auf- oder absteigen.

Es wurde bereits eine Top-100-Liste der korruptesten Verwaltungsmitarbeiter erstellt.Die russische Justiz nimmt die Internet-Seite inzwischen sehr ernst: Insgesamt wurden von der Staatsanwaltschaft seit Start der Seite 119 Eingetragene überprüft. Als Ergebnis wurden 64 Beamte ihres Amtes enthoben, gegen 11 weitere laufen Strafverfahren. Diese Zahlen sind für das große Russland natürlich bescheiden: Insgesamt sind nach Angaben des Komitees für Statistik aus dem Jahr 2005 1,4 Millionen Staatsdiener für 142,5 Millionen russische Bürger zuständig. Dennoch ist die Online-Plattform ein Meilenstein im Kampf der einfachen Bürger gegen die Korruption. „Wir sind uns dessen bewusst, dass die Antikorruptionsmaßnahmen des Staates per se ineffizient sind, denn die Beamten würden kaum sich selbst geißeln. Deshalb bitten wir die Öffentlichkeit um Hilfe. Schließlich hat ein korrupter Beamter am meisten Angst davor, dass seine Tat öffentlich wird”, heißt es auf der Webseite vzajtkam.net.

Obwohl Wladimir Putin während seiner Präsidentschaft immer wieder einen scharfen Kampf gegen Korruption ankündigte, wurden in seiner achtjährigen Amtszeit kaum Fortschritte erzielt. Ende Oktober 2006 meldeten in Russland gleich zwei Organisationen gleichzeitig ein riesiges Ausmaß an Geldwäsche und Korruption: Der föderale Dienst für Finanzmonitoring sprach von der Unsumme von einer Billion Rubel (umgerechnet 33 Milliarden Euro), die 2006 in Russland „gewaschen“ worden seien. Die Moskauer Stiftung gegen Korruption „Indem“ nannte eine Zahl von 39 Millionen Geschäften im Jahr 2005, bei denen Schmiergeld im Spiel gewesen sei. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 leitete die Generalstaatsanwaltschaft nach eigenen Angaben landesweit gerade einmal 23.000 Ermittlungsverfahren wegen Korruption ein.  Immerhin zeigt die Staatsanwaltschaft guten Willen, von der erfolgreichen Kampagne der NGO „Nein zu Schmiergeld“ zu lernen: Der Leiter der Aufsichtsverwaltung zur Bekämpfung der Korruption bei der Generalstaatsanwaltschaft, Alexander Anikin, eröffnete auf der Webseite der Staatsanwaltschaft unter http://genproc.gov.ru/ru/corrupt/ ein virtuelles Sprechzimmer, in dem die Bürger wie bei der vzjatkam.net Fälle von Korruption melden können. Anikin hat versprochen, dass die Staatsanwaltschaft jeden Fall unter die Lupe nehmen wird. Doch ob die Fälle vor Gericht zu entsprechenden Urteilen führen, ist keineswegs sicher.

Denn die russischen Justizbehörden, die eigentlich die Korruption bekämpfen sollten, sind selbst nicht weniger bestechlich:  2006 wurden 3600 Urteile in russischen Korruptionsverfahren gesprochen, jedoch endeten nur 507 mit einer Freiheitsstrafe. Die Wahrscheinlichkeit, wegen Korruption hinter Gittern zu landen, schätzen die Soziologen der Indem-Stiftung auf gerade einmal 0,0013 Prozent. Nicht erstaunlich ist daher, dass laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Romir-Monitoring“ aus dem Oktober 2003 99 Prozent der Russen überzeugt sind, die meisten Richter seien korrupt.


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