Ein vollständig versautes Viertel
Planungschaos à la bonheur: Die Wiederherstellung des historischen Zentrums Bukarests gerät zum Desaster(n-ost) - Als „Paris des Ostens“ beschreiben die allermeisten Reiseführer die rumänische Hauptstadt Bukarest – immer noch. Doch von urbaner Eleganz ist längst nur noch wenig zu spüren. Statt verwinkelter Gässchen und Prachtboulevards gibt es zum Flanieren die vierspurige Hauptschlagader, die sich in Nord-Süd-Richtung durch die ganze Stadt zieht. Touristen, die auf ein konventionelles Stadtbild vertrauen (Altstadtkern – erweitertes Zentrum – Peripherie), schlängeln sich orientierungslos vorbei an abenteuerlich geparkten Autos, immer auf der Suche nach so etwas wie einer Stadtmitte.Die gab es einmal, bevor Nicolae Ceausescu in den Achtzigern seine architektonischen Phantasien in die Tat umsetzte und für das gigantomanische „Haus des Volkes“, dem heutigen Parlamentsgebäude, fast das gesamte historische Zentrum platt machen ließ. Die dort seit dem Mittelalter gewachsene Altstadt wurde mit einem Schlag beinahe ausgelöscht – und damit auch das „Paris des Ostens“, das durch den zweiten Weltkrieg und mehrere Erdbeben ohnehin schon arg angeschlagen war.Geblieben ist von der ehemaligen Pracht ein Viertel, rund um die Straße „Lipscani“ herum, benannt nach den Händlern aus Leipzig, die hier früher ihre Waren loswurden. Auf den knapp 50 Hektar stehen noch ungefähr 520 Gebäude. Nur hier bekommt man einen Eindruck, wie Bukarest zu seinen Glanzzeiten ausgesehen haben muss. Villen, Handelshäuser und Hotels aus allen erdenklichen Epochen stehen an den kopfsteingepflasterten Straßen neben rumänisch-orthodoxen Kirchen und anderen kulturellen Wegmarken. Während des Kommunismus` verfielen die meisten Gebäude. Viele hatten weder Strom- noch Wasseranschlüsse, standen leer oder waren von Roma-Familien besetzt worden. Nach der Wende war das Viertel in einem abrissreifen Zustand.Desaströses ManagementGeändert hat sich daran bis heute nicht viel. Die Bemühungen um die Wiederherstellung Lipscanis kamen, landestypisch, sehr langsam in die Gänge und sind bis heute ein ziemliches Desaster. Mit Geldern der Stadt Bukarest, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und der Regierung der Niederlande wurde 2005 ein Revitalisierungsprojekt mit einem relativ kleinen Budget von gut 20 Millionen Euro gestartet. Das zuständige Bürgermeisteramt des Sektors 3 hatte zwar bereits im Februar 2005 das Viertel für den Autoverkehr komplett gesperrt. Es dauerte aber noch mehr als eineinhalb Jahre bis die Ausführung des Projekts im September 2006 der spanischen Firma Sedesa zugesprochen wurde. Weitere sieben Monate vergingen, bis im Frühsommer 2007 die Bauarbeiten tatsächlich begannen. Ursprünglich sollten die Arbeiten an den Straßen jetzt, im April 2008, abgeschlossen sein. Im März jedoch trat der Chefarchitekt des Bürgermeisteramtes 3, Catalin Cazacu, vor die Presse und verkündete, was alle lange wussten: Die Arbeiten verzögern sich. Ein neuer Fertigstellungstermin wurde gar nicht erst genannt. Bislang steht nur eine einziger der sechs großen Boulevards, die Strada Smardan, vor der Vollendung. Eine andere Straße ist gerade in Arbeit, der Rest ist noch völlig unangetastet. Hausgemachtes PlanungschaosZivilgesellschaftliche Initiativen, die verzweifelt versuchen, an der Gestaltung teilhaben zu dürfen, beklagen sich bitterlich über die Unfähigkeit des Projektmanagements. „Es ist schon bemerkenswert zu sehen, wie die Renovierung vollständig versaut wird“, sagt zum Beispiel Christopher Troxler, Geschäftsführer der Organisation Romania Think Tank (RTT). „Die Ineffizienz und die mangelnde Kommunikation sind einfach unglaublich. Keiner der Akteure arbeitet mit dem anderen zusammen“. Die Akteure, das sind die Stadt Bukarest, die Firma Sedesa, die ansässigen Geschäfte und Anwohner, die Investoren wie die EBRD und die niederländische Botschaft sowie die Archäologen des Kultusministeriums. Trotz der Größe und Bedeutung des Projekts gibt es weder ein zentrales Koordinationsbüro noch regelmäßige Treffen zwischen den Parteien – das Planungschaos ist vorprogrammiert. Alina Buzea, Vertreterin von AICI (Asociatia Investitorilor din Centru Istoric), einem Zusammenschluss von gut 30 in Lipscani ansässigen Unternehmen, hat kein Verständnis mehr: „Wenn ich jemandem die Schuld geben müsste, würde ich mit dem Bürgermeisteramt anfangen“, sagt sie. „Erst brauchten sie so lange, um anzufangen, und jetzt passiert nichts.“ Exzentrische AlleingängeUndurchdachte Alleingänge der Stadtverwaltung sind an der Tagesordnung: Weil Bukarests Oberbürgermeister Adriean Videanu unbedingt Anfang September 2007 mit ausländischen Gästen in einem renovierten Lipscani spazierengehen wollte, zwang er Sedesa mit aller Macht zur Fertigstellung mindestens einer Straße. Die Firma beeilte sich so sehr, dass sich die Pflastersteine kurz nach den Festivitäten wieder lösten und die Straße neu aufgerissen werden musste. Oder: Um das Problem der vielen von Roma-Familien illegal besetzten Häuser zu lösen, führte das Bürgermeisteramt im Sommer 2006 eine Polizeiräumung durch. Die Hausbesetzer wurden mit all ihrem Hab und Gut auf die Straße gesetzt und bis an den Rand des Viertels eskortiert. Da aber keinerlei Vorkehrungen getroffen worden waren, was mit ihnen dann geschehen sollte und die Polizei ja nicht ewig auf sie aufpassen konnte, zogen sie am Abend einfach wieder ein.Das Ausmaß des Missmanagements im Fall Lipscani ist für rumänische Verhältnisse allerdings nicht außergewöhnlich. Ein ehemaliger Projektmanager von Sedesa, der von der Baustelle abgezogen wurde, formuliert das so: „Bukarest ist auch nicht schlimmer als der Rest des Landes. Das Lipscani-Projekt sticht nur wegen seiner zentralen Lage heraus.“ Wann die Renovierung von Lipscani tatsächlich abgeschlossen sein wird, da will sich keiner festlegen. Angesichts der bisherigen Fortschritte gehen die optimistischsten Schätzungen von weiteren fünf Jahren aus. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87