„ES IST ZEIT FÜR EINE NEUE GENERATION“
Die demokratische Opposition in Russland braucht eine gewählte Führungsfigur und ein klares Programm – fordert Maria Gaidar(n-ost) - Die zersplitterte russische Opposition versucht sich zu vereinigen. Am Wochenende beschlossen in St. Petersburg und Moskau Regierungskritiker verschiedener Bewegungen und Parteien, bis Jahresende ein breites Bündnis zu organisieren. Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow hat zudem alle demokratischen Kräfte zur Bildung eines „Alternativen Parlaments“ aufgerufen. Schon im Mai soll dieses mit rund 500 Teilnehmern ein erstes Mal tagen. Die junge Oppositionspolitikerin Maria Gaidar zweifelt jedoch am Erfolg dieser Vorhaben. Die demokratische Opposition in Russland brauche stattdessen eine gewählte Führungsfigur und ein klares Programm, fordert die 25-Jährige. Maria Gaidar ist die Tochter von Jegor Gaidar, dem Architekten von Boris Jelzins Reformpolitik in den 90er Jahren. Mit ihr sprach unser Mitarbeiter Oliver Bilger.
Die junge Oppositionspolitikerin Maria Gaidar
privatFRAGE: Frau Gaidar, nur wenige Menschen in Russland beachten die außerparlamentarische Opposition. Warum ist das Interesse so gering?MARIA GAIDAR: Das hat verschiedene Gründe. Viele in der Bevölkerung unterstützen Wladimir Putin, weil sie ihn für das kleinste Übel halten. Die Behörden marginalisieren zudem die Opposition mit ihrer Propaganda: Wer sich engagiert, gilt als verrückt – und das möchte niemand sein. Gerade für junge Menschen ist es schwierig, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Sie machen sich Gedanken, wie sie in den Augen von Freunden oder Arbeitskollegen dastehen, wenn sie von Polizisten geschlagen werden. Die Opposition ist nicht attraktiv für junge Leute. Vor allem, weil sie keine anderen jungen Menschen in der Opposition sehen. Außerdem erkennen die Bürger keine Führungsperson in der Opposition. Es gibt niemanden, der gewählt wurde, niemanden, der klare Ziele verfolgt und für eine klare Ideologie steht.FRAGE: Was muss sich ändern?MARIA GAIDAR: Wir brauchen demokratische Prozesse innerhalb der Opposition. Es ist an der Zeit, den Menschen zu zeigen, dass wir in der Lage sind, die Probleme innerhalb der Opposition zu lösen. Vorwahlen wären ein erster Schritt dazu. Niemand in Russland weiß, wer die Opposition eigentlich repräsentiert. Es gab in den vergangenen Jahren keine klaren Prozeduren, viele Vorgänge waren sehr undurchsichtig. Die Opposition muss sich vereinigen und eine Führungskraft finden. Russland hat sich in den vergangenen vier Jahren verändert. Die Opposition ist jedoch in der gleichen Situation wie vor vier Jahren; unsere Führungspersonen sind dieselben. Es ist Zeit für eine neue Generation.FRAGE: Bedeutet das, die bisherigen Führungspersönlichkeiten der Opposition wie Garri Kasparow müssen ersetzt werden?MARIA GAIDAR: Nein, nicht unbedingt. Es kann auch einer der aktuellen Köpfe sein, wie Garri Kasparow. Aber der Oppositionsführer muss gewählt sein. Mit einer neuen Generation meine ich neue Leute mit neuen Ideen.FRAGE: Am Wochenende vereinbarten Oppositionelle ein breites Bündnis bis Jahresende. Kasparow ruft zudem zur Gründung eines so genannten Alternativen Parlaments auf. Was halten Sie davon?MARIA GAIDAR: Diese Versammlung ist keine Lösung. Das „Alternative Parlament“ könnte die Bewegung „Anderes Russland“ ersetzen, die in einer tiefen Krise steckt. Das ist sicher positiv, doch ich glaube nicht, dass es die Probleme der Opposition beseitigt.FRAGE: Warum nicht?MARIA GAIDAR: Die Menschen haben bereits Dutzende solcher Treffen in den vergangenen Jahren gesehen; immer mit denselben Personen und nichts hat sich seither verändert, weil die Opposition nicht transparent sein will und keine demokratischen Prozesse einführt.FRAGE: Was muss die Opposition stattdessen tun?MARIA GAIDAR: Außer einer demokratisch gewählten Führungsperson braucht die Opposition ein eigenes Programm. Es gibt keine klare Strategie, keinen Aktionsplan. Bisher reagieren wir nur: Die Opposition erwidert immer nur, dass es falsch ist, was Präsident Putin sagt. Doch wir brauchen eine eigene ideologische Vorstellung darüber, wie sich Russland entwickeln könnte. Denn wenn die Opposition die Behörden kritisiert, dann macht sie das bisher nur sehr allgemein. Aber junge berufstätige Menschen suchen nach einem Weg, der ihren Ansprüchen entspricht. Deshalb muss die fachliche Kompetenz in der Opposition wachsen. Programme und Ideen müssen interessant sein, nicht banal und sich auf Tatsachen berufen, die schon jeder kennt. Für die Opposition ist es wichtig, sich intellektuell zu verändern. Ich denke auch, dass es einen steigenden Bedarf für regionale Initiativen gibt. Wir brauchen ein starkes regionales Netz, das sich mit gezielten Problemen vor Ort beschäftigt. Bisher hat sich die Opposition vor allem auf Moskau und St. Petersburg konzentriert.FRAGE: Kurz vor der Duma-Wahl im vergangenen Dezember erklärten Sie, in fünf bis zehn Jahren werde Russland ein demokratisch regiertes Land sein. Bleiben Sie auch nach der Wahl von Dmitri Medwedew weiter bei Ihrer Aussage?MARIA GAIDAR: Ich glaube nach wie vor daran. Fünf Jahre sind eine lange Periode, zehn Jahre sind gewaltig. Die ganze Welt verändert sich sehr schnell und Russland ist nun mal ein Teil davon. Dafür braucht das Land ein konkurrenzfähiges politisches System, um auch wirtschaftlich konkurrenzfähig zu sein. Dafür gibt es keinen anderen Weg als die Demokratie.Zur Person:
Maria Gaidar gilt als das hübsche Gesicht der demokratischen Opposition in Russland. Die 25-Jährige ist Mitglied im Politischen Rat der Partei „Union der rechten Kräfte“ (SPS), Gründerin und Leiterin der Jugendbewegung „Da!“ und eine der Führungspersonen des Oppositionsbündnisses „Anderes Russland“. Im vergangenen Dezember wollte die Tochter von Jegor Gaidar, dem Architekten von Boris Jelzins Reformpolitik in den 90er Jahren, als Moskauer Spitzenkandidatin der SPS in die Staatsduma einziehen, scheiterte jedoch an der Sieben-Prozent-Hürde. Auf ihren Wahlplakaten stand geschrieben: „Mascha Gaidar – eine neue Generation der Demokraten“.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87