Kasachstan

Endlich heimisch in Kasachstan

Oleg Schumacher ist einer, den seine kasachischen Nachbarn als „typischen“ Deutschen bezeichnen. Der hochgewachsene 42-Jährige ist im Dorf angesehen, einer der erfolgreichsten Fischer in Kuigan, das vom Fischfang am Balchaschsee lebt. Olegs Vater ist in den 90er Jahren nach Deutschland gegangen. Doch Oleg selbst hat nie daran gezweifelt, wo seine Heimat ist. „Was soll ich in Deutschland“, sagt der selbstbewusste Mann mit dem wettergegerbten Gesicht. „Hier verdiene ich mehr als dort.“

Seit Kasachstan zur stärksten Wirtschaftsmacht Zentralasiens aufstieg, profitiert auch er als Fischer von der stärkeren Kaufkraft im Land. „Im Frühjahr, wenn es den meisten Fisch gibt, verdiene ich bis zu 10.000 Euro im Monat“, verrät Oleg – unvorstellbar viel Geld im Vergleich zum kasachischen Durchschnittslohn von 360 Euro pro Monat.

Ihr Ruf eilte den Wolgadeutschen schon immer voraus. Doch er war nicht nur positiv. Einst von Katharina der Großen nach Russland geholt, warf ihnen Stalin später in der Sowjetunion die Kollaboration mit Hitler vor und ließ sie deshalb 1941 ins weit abgelegene Sibirien und nach Kasachstan deportieren. Ihre Sprache durften sie nicht sprechen, ihre Bräuche nicht pflegen – sie waren die „Faschisten“. In Deutschland, wohin nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion insgesamt rund zwei Millionen von ihnen auswanderten, voller Hoffnung, endlich in ihr Mutterland zu gelangen, wurden viele erneut enttäuscht. Hier beschimpfte man sie als „Russen“ oder „Kasachen“, nahm sie als Deutsche zweiter Klasse wahr.

In Kasachstan aber hat sich das Stigma von einst in einen schon fast legendär guten Ruf verwandelt. Denn den Entbehrungen nach der Deportation von der Wolga stellten sich die Wolgadeutschen mit Tatkraft entgegen. Ausgesetzt in den Weiten der kasachischen Steppe bauten sie sich eine neue Existenz und ganze Städte auf. Heute gelten die „hiesigen Deutschen“, wie sie in Kasachstan genannt werden, als besonders fleißig, arbeitsam und zuverlässig.

Gerade hat sich Oleg ein neues Haus gebaut. Die beiden Töchter studieren, seine Frau betreibt den Garten von der Größe einer Plantage. Es läuft gut für die Schumachers in Kasachstan. Deutsch sprechen sie nicht mehr. „Ich hab das in der Schule gelernt, aber schnell wieder vergessen“, sagt Oleg. Als Deutscher fühlt er sich trotzdem. Die Nationalität steht noch immer im Pass – eine Besonderheit in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Denn die Nationalität gilt als die Zugehörigkeit zu einem Volk, nicht zu einem Staat. Für die Identität des Einzelnen hier in Kasachstan ist sie meist wichtiger als die Staatsbürgerschaft.

Ladenbesitzerin Olga Lunevski ist aus Münster nach Kasachstan zurückgekehrt. „Nach Hause“, sagt sie, obwohl sie acht Jahre lang in Deutschland gelebt hat. Ihr kasachischer Mann wollte wieder bei seinen alten Eltern leben. „In Kasachstan gibt man die Eltern nicht ins Altenheim, das ist hier unvorstellbar“, sagt Olga.

Als eine Art Entschädigung hat der Schwiegervater ihr einen kleinen Lebensmittelladen gekauft. Sie hat eine Angestellte, bald kommt noch ein zweiter Laden dazu. Olga hat in Deutschland Hartz IV bekommen und in den acht Jahren nie richtig Deutsch gelernt, „weil rundherum nur Ausländer wohnten“. Sie empfindet die Rückkehr nach Kasachstan und ihren Neustart als einen sozialen Aufstieg.

Von den 1,2 Millionen ethnischen Deutschen, die einst in Kasachstan lebten, sind heute noch etwa 200.000 geblieben – sie erhielten keine Erlaubnis zur Ausreise, da sie ihre deutsche Herkunft nicht gut genug nachweisen konnten. Oder sie wollen schlichtweg nicht fort. Von denen, die gegangen sind, zieht es immer mehr wieder zurück nach Kasachstan. Eine offizielle Statistik, wie viele Spätaussiedler nach Kasachstan zurückkehren, gibt es nicht. Etwa 200, so schätzt die deutsche Botschaft in Kasachstan, kommen pro Jahr wieder in ihr Geburtsland. Vermutlich sind es einige mehr, denn nicht alle melden sich bei den deutschen Behörden ab. Kasachstan, das Land, das bei ihren Eltern und Großeltern noch für Verbannung und Elend stand, hat für die neue Generation von Deutschen, den Schrecken verloren. Es ist zur Heimat geworden.


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