NATO-Gipfel in Bukarest
Mit Wladimir Putin wird in Bukarest erstmals ein russischer Präsident an einem Nato-Gipfel teilnehmen, obwohl es weiterhin heftige Differenzen zwischen Russland und dem westlichen Verteidigungsbündnis gibt. Umstritten sind etwa die Kosovo-Frage, die Stationierung amerikanischer Verteidigungssysteme in Tschechien und Polen und eine mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens.Doch es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass in Bukarest ein neues Kapitel der Zusammenarbeit aufgeschlagen wird: Die Situation in Afghanistan macht beide Seiten zunehmend nervös. Lange Zeit bot sich Moskau aus Sorge über die Instabilität am Hindukusch offensiv für eine Partnerschaft an, doch westliche Länder ignorierten die russischen Avancen. Nun sieht es am Ende von Putins Amtszeit so aus, als könne die Zusammenarbeit doch noch gelingen. Diplomaten verhandeln fieberhaft.
Afghanistan 2001 bis 2006Russland unterstützte die Streitkräfte der westlichen Koalition in Afghanistan bereits zwischen 2001 und 2003 mit Nachdruck. Es lieferte Geheimdiensterkenntnisse und ermunterte zentralasiatische Staaten, westlichen Truppen Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland waren in diesen Jahren von einer entspannten Kooperationsbereitschaft geprägt. Wenig später aber gefielen sich beide Seiten bereits darin, einander an den Haaren zu ziehen: 2004 verlangte zum Beispiel Tadschikistan zur Überraschung Moskaus, die Grenzsicherung zu Afghanistan selbst zu übernehmen, die zuvor unter dem Kommando russischer Offiziere stand. Die Anregung dafür kam aus Washington. Russische Soldaten sind seitdem nicht mehr für die Sicherung der langen Grenze des Landes zu Afghanistan verantwortlich. Über 90 Prozent des weltweit produzierten Opiums, aus dem Heroin hergestellt wird, kommen über Tadschikistan – und die Menge der beschlagnahmten Drogen ist nach dem russischen Abzug um die Hälfte zurückgegangen.Russland revanchierte sich nach Kräften. So bezeichnete Präsident Putin die US-geführte Nato-Mission 2005 höhnisch als „sehr ineffektiv“.
Russland beobachtete mit verschränkten Armen schadenfroh die wachsenden Probleme des Westens in Afghanistan. Doch seit etwa zwei Jahren ist der russischen Seite das Lachen vergangen. Denn Afghanistan wird zunehmend instabil und Russland fühlt sich zunehmend von einem Aufschwung der radikal-islamistischen Kräfte bedroht. Die Extremisten würden, wie bereits geschehen, weiter nach Norden ausgreifen. Die dort gelegenen zentralasiatischen Länder sind eng mit Russland verflochten. Russland muss fürchten, zum Ziel unzähliger Flüchtlinge zu werden, falls es in der Region zu erheblichen Turbulenzen kommen sollte. Eine Radikalisierung des Islam in Zentralasien könnte zudem Rückwirkungen auf die Muslime in Russland haben, die über zehn Prozent der Bevölkerung stellen. Und der Austausch zwischen Zentralasien und Russland ist eng: Millionen Bürger zentralasiatischer Staaten leben als Arbeitsmigranten in Russland. Der Kreml ist an Zentralasien zudem als Energielieferant und generell als Einflussgebiet interessiert, denn es ist die Heimat von über sechs Millionen Russen. Russland bietet sich anIm Sommer 2007 erklärte Russlands Außenminister Sergej Lawrow: „Es ist von zentraler Bedeutung, den nationalen Konsens in Afghanistan zu unterstützen und die Führer der Taliban davon abzuhalten, an die Macht zu gelangen.“ Kurz darauf bot Nikolai Bordjuscha, Generalsekretär des Militärbündnisses OVKS zwischen Russland und einigen zentralasiatischen Staaten, der Nato-Antiterror-Koalition an, bei der Stabilisierung Afghanistans zusammenzuarbeiten. Er schloss die Entsendung von Truppen aus, bot aber Hilfe in Form von Waffen und Investitionsprojekten an.
Aber erst, nachdem der russische Nato-Botschafter Dmitri Rogosin Ende Januar die Bereitschaft seines Landes zur Kooperation – in Bezug auf Afghanistan und darüber hinaus – erneuerte, kamen über den Umweg Usbekistan Verhandlungen in Gang.Admiral William Fallon, Kommandeur des „United States Central Command“, stattete Usbekistan, das mit Russland verbündet ist, im Frühjahr 2008 einen Aufsehen erregenden Besuch ab. Wenig später begannen die Nato und Russland an einem Plan zu arbeiten, der den Transport nicht-militärischen Materials wie Kleidung, Lebensmittel und Treibstoff über russisches Territorium gestatten würde. Es finden Gespräche über konkrete Routen statt – die auch über usbekisches Territorium verlaufen. Bislang kommen drei Viertel des Nachschubs für Afghanistan über das instabile Pakistan.Deutschland gehört zu den Ländern, die nachdrücklich ein Abkommen der Nato mit Russland und seinen Verbündeten wünschen. Deutschland besitzt bereits eine Transitvereinbarung mit Russland und Usbekistan zur Versorgung der Bundeswehr in der Region. Sie funktioniert seit Jahren und umfasst auch den Waffentransport.Mitte März schließlich flogen die US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice und Verteidigungsminister Robert Gates nach Moskau. Präsident Bush hatte seinem russischen Amtskollegen einen Brief mit Vorschlägen für ein „strategisches Rahmenwerk“ übergeben lassen.
Putin erklärte befriedigt, dass es sich um „ein ernst zu nehmendes Dokument“ handle.Wenn Wladimir Putin diese Woche nun als erster russischer Präsident zu einem Nato-Gipfel nach Bukarest fliegt, so wird er dies nicht tun, um von dort mit leeren Händen wieder abzureisen. Es ist in Insiderkreisen von fieberhaften Verhandlungen in Brüssel zwischen Russland und der Nato die Rede. Man strebt an, sich in Bukarest auf einen neuen Versorgungskorridor für Afghanistan zu einigen. Und dabei wird es nicht bleiben.Der Preis RusslandsDer Kreml hat aber deutlich gemacht, dass eine Zusammenarbeit, anders als im Jahre 2001, nicht zum Nulltarif zu haben ist. Und der Preis steigt stetig, denn die NATO demonstriert Schwäche. Präsident Putin sagte während des Treffens mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau am 9. März: „Die Nato überschreitet bereits heutzutage ihre Grenzen. Wir haben kein Problem damit, Afghanistan zu helfen, aber es ist etwas anderes, wenn die Nato diese Hilfe zur Verfügung stellt. Dies ist eine Angelegenheit jenseits der Grenzen des Nordatlantik, wie Sie gut wissen.“Russland fordert, dass die Nato mit dem Militärbündnis OVKS zusammenarbeitet und energisch gegen den Drogenanbau und -schmuggel in Afghanistan vorgeht. Es erwartet eine konziliantere Haltung in der Frage der Stationierung amerikanischer Raketen in Ost-Mitteleuropa. Und es ist klar, dass der Ukraine und Georgien auf dem Nato-Gipfel signalisiert werden soll, dass in den kommenden Jahren an keine Aufnahme in das Militärbündnis zu denken ist.Deutschland hat mit den meisten dieser russischen Wünsche und Forderungen keine Probleme. Für die USA sind es jedoch Kröten. Anscheinend ist Washington jedoch inzwischen dazu bereit, zumindest einige von ihnen zu schlucken.