Gipfel-Fieber in der Walachei
Bukarest bereitet sich mit Hochdruck auf den Nato-Gipfel vor – und schießt übers Ziel hinaus(n-ost) Der Star ist der Gipfel. Rumänien fiebert dem Nato-Gipfel, der vom 2. bis 4. April in Bukarest stattfindet, entgegen wie selten einem Ereignis zuvor. Radio und Zeitungen sind voll davon, die Fernsehsender überbieten sich gegenseitig mit Sonderberichten. Für sich genommen wäre das eigentlich keine Meldung wert, immerhin stehen bei der dreitägigen Konferenz allerhand brisante Themen auf der Tagesordnung, bei denen es für Rumänien um viel geht: die Afghanistan-Mission, an der Rumänien mit über 600 Mann beteiligt ist und bei der kürzlich der erste rumänische Soldat getötet wurde; die Kosovo-Frage, in der sich Rumänien als einer der wenigen Gegner kosovarischer Unabhängigkeit hervorgetan hat; und der Nato-Beitritt des Nachbarn Ukraine und Georgiens. Anlass für ein bisschen Aufregung wäre also vorhanden.Kurios ist, dass von alldem kaum die Rede ist. Was die Rumänen derzeit interessiert, sind nicht die Inhalte des Gipfeltreffens, sondern dessen Organisation. Noch nie war das Land Austragungsort einer so hochkarätig besetzten Konferenz, und so berauscht man sich bis in die Haarspitzen an der Rolle des Gastgebers. Erstmals sieht sich Rumänien als „Teil der Welt jener, die die Welt führen“, wie ein rumänischer Fernsehsender in einem Spot posaunte.Zugegeben, die Zahlen rund um die Organisation sind beeindruckend: 3.000 Delegierte werden in 2.951 Hotelzimmern beherbergt, darunter 24 Staatschefs, 26 Premiers und 87 Minister. Und das sind nur die offiziellen Teilnehmer. Aus der US-Botschaft drang die Nachricht, allein das Gipfel-Team der Bush-Administration werde knapp 1.000 Mitglieder zählen. Gut 3.500 Journalisten werden erwartet, die weitere 1.800 Hotelzimmer besetzen werden. Die USA verlegten 18 Kampfjets zur Überwachung des Flugraums über Bukarest nach Bulgarien. Um all die hohen Gäste zu schützen, werden während des Gipfels im ganzen Land 23.000 Polizisten im Einsatz sein. Über 3.000 Mann wurden extra nach Bukarest verlegt. 2.000 Männer der Marine schippern zu Sicherheitszwecken auf der Donau und an der Schwarzmeerküste entlang, 150 Polizeiautos sind allein für die Eskorten der Delegationen abgestellt. Die Angaben zu den Kosten für die Organisation schwanken zwischen insgesamt 26,5 und 30 Millionen Euro.Angesichts der gehobenen Ansprüche der Nato-Mitglieder ist das bestimmt nicht zu viel. Ein besonders skurriles Beispiel für diese Ansprüche sind die Toiletten des Parlamentspalasts, in dem die Konferenzen stattfinden werden. Nach Nato-Standards gibt es in dem Prunkgebäude offenbar zu wenige stille Örtchen. BBC meldete, die Nato hätte um die Aufstellung von nicht weniger als 1.000 mobilen WCs gebeten, die pro Stück und Woche 9.500 US-Dollar kosteten. Ein Sekretär der rumänischen Abgeordnetenkammer, Mihai Unghianu, konterte etwas irritiert, mehrere Millionen Euro für zusätzliche Toilettenhäuschen seien eigentlich nicht im Budget vorgesehen gewesen.Die rumänischen Organisatoren haben indes sichergestellt, dass man ihnen abgesehen von fehlenden Toiletten keine Schlamperei vorwerfen kann. Der oberste Verteidigungsrat Rumäniens beschloss, die Terror-Alarmstufe prophylaktisch von blau auf gelb zu erhöhen. Nach langem Hin und Her wurde der Flughafen Baneasa für den zivilen Luftverkehr geschlossen und steht jetzt allein den Delegations-Flugzeugen zur Verfügung. Um nicht Opfer des zu erwartenden Chaos am weiterhin geöffneten Flughafen Otopeni zu werden, verzichten deshalb gleich drei Billigfluglinien während des Gipfels auf ihren Service nach Bukarest. Aus Angst vor einem Verkehrskollaps in der weitläufig abgesperrten Innenstadt Bukarests haben die Kinder schulfrei bekommen, in den Universitäten wird nicht gelehrt und die meisten öffentlichen Bediensteten dürfen zu Hause bleiben. Außerdem fand ein Großputz statt: Hundefänger haben die berühmten Bukarester Straßenköter aus dem Sperrgebiet entfernt, etliche Damen des horizontalen Gewerbes müssen vorübergehend ihren Arbeitsplatz verlegen und sogar die Plastiktüten wurden aus der durch Bukarest fließenden Dimbovita gefischt. Vor lauter Eifer schossen die Organisatoren aber manchmal über das Ziel hinaus. Verteidigungsminister Teodor Melescanu musste in einer Talk-Show zugeben, dass einige Maßnahmen schlicht übertrieben waren, allen voran die mehrmalige und menschenrechtlich fragwürdige Festnahme einer Gruppe von Nato-kritischen Demonstranten, die versuchte, von Bulgarien aus nach Rumänien einzureisen. Auch die angebliche Versiegelung aller Gullideckel auf den gesamten 173 Kilometern zwischen Bukarest und Konstanza, wo Staatspräsident Traian Basescu und US-Präsident George W. Bush am Rande des Gipfels zu bilateralen Gesprächen zusammentreffen werden, wurde von vielen als unnötig empfunden. Bloß Hohn und Spott erntete auch folgende so genannte anti-terroristische Maßnahme: Registrierte Waffenhalter wurden gebeten, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie ihre Waffe während des Gipfels nicht benutzen würden.Die Bevölkerung hat nicht für jede dieser Aktionen Verständnis. „Kann mir jemand erklären, warum alle Kindergärten geschlossen werden, obwohl es auch Eltern gibt, die zwischen dem 2. und dem 4. April ganz normal zur Arbeit müssen?“, fragt entrüstet eine Kommentatorin auf der Nachrichtenwebsite ziare.com. Viele Straßen wurden bereits mehr als eine Woche vor Beginn des Gipfels dicht gemacht, Polizeidienststellen und andere Bürgerdienste sind für den normalen Gebrauch geschlossen. Dass im gesamten Sektor 1 des Bukarester Stadtzentrums kein Alkohol mehr verkauft werden darf, hebt die Stimmung im Volk auch nicht sonderlich. All das Trara weckt Erinnerungen. In einer Radioshow wurden die Zuhörer aufgefordert, zu berichten, wie die Vorbereitung auf den Nato-Gipfel denen eines Besuchs des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescus zu kommunistischen Zeiten gleiche. Auch damals, so die belustigten Anrufer, wurden ganze Viertel abgesperrt, Autos weggeparkt und Zäune neu gestrichen.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87