HEKTISCHE AKTIVITÄT VOR DEM NATO-GIPFEL
Russland und der Westen aus Sorge um Afghanistan kooperationsbereit(n-ost) – Die Situation in Afghanistan macht den Westen nervös. Und Russland ebenso. Lange Zeit bot sich Moskau aus Sorge über die Instabilität am Hindukusch offensiv für eine Partnerschaft an, doch westliche Länder ignorierten die russischen Avancen. Nun sieht es so aus, als könne die Zusammenarbeit doch noch gelingen. Diplomaten verhandeln fieberhaft. Wladimir Putin wird als erster russischer Präsident am bevorstehenden Nato-Gipfel in Bukarest teilnehmen. Der Preis für die russische Kooperationsbereitschaft allerdings ist inzwischen gestiegen, denn – im selben Maß, wie die Stärke der Nato geschwunden ist. Afghanistan 2001 bis 2006Russland unterstützte die Streitkräfte der westlichen Koalition in Afghanistan zwischen 2001 und 2003 mit Nachdruck. Es lieferte Geheimdiensterkenntnisse und ermunterte zentralasiatische Staaten, westlichen Truppen Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland waren in diesen Jahren von einer entspannten Kooperationsbereitschaft geprägt. Wenig später aber gefielen sich beide Seiten bereits darin, einander an den Haaren zu ziehen: 2004 verlangte zum Beispiel Tadschikistan zur Überraschung Moskaus, die Grenzsicherung zu Afghanistan selbst zu übernehmen, die zuvor unter dem Kommando russischer Offiziere stand. Die Anregung dafür kam aus Washington. Russische Soldaten sind seitdem nicht mehr für die Sicherung der langen Grenze des Landes zu Afghanistan verantwortlich. Über 90 Prozent des weltweit produzierten Opiums, aus dem Heroin hergestellt wird, kommen aus Tadschikistan – und die Menge der beschlagnahmten Drogen ist nach dem russischen Abzug um die Hälfte zurückgegangen.Russland revanchierte sich nach Kräften. So bezeichnete Präsident Putin die US-geführte Nato-Mission 2005 höhnisch als „sehr ineffektiv“. Russland beobachtete mit verschränkten Armen schadenfroh die wachsenden Probleme des Westens in Afghanistan.Doch seit etwa zwei Jahren ist der russischen Seite das Lachen vergangen. Nicht einmal der lautstarke Krach innerhalb der Nato kann in Moskau mehr ein Lächeln hervorrufen. Denn Afghanistan wird zunehmend instabil, ohne dass Aussichten auf eine Beruhigung der Situation bestehen. Dies nötigt den Kreml zu handeln.Hintergründe der russischen KooperationsbereitschaftDenn Russland wäre von einem radikal-islamistischen Afghanistan weit stärker bedroht als die Nato-Mitgliedsländer. Die Extremisten würden, wie bereits geschehen, weiter nach Norden ausgreifen. Die dort gelegenen zentralasiatischen Länder sind eng mit Russland verflochten. Mit Kasachstan zum Beispiel verbindet Russland eine über 7.000 Kilometer lange Grenze – die längste der Welt. Russland muss fürchten, zum Ziel unzähliger Flüchtlinge zu werden, falls es in der Region zu erheblichen Turbulenzen kommen sollte. Eine Radikalisierung des Islam in Zentralasien könnte zudem Rückwirkungen auf die Muslime in Russland haben, die über 10 Prozent der Bevölkerung stellen. Und der Austausch zwischen Zentralasien und Russland ist eng: Millionen Bürger zentralasiatischer Staaten leben als Arbeitsmigranten in Russland. Der Kreml ist an Zentralasien zudem als Energielieferant und generell als Einflussgebiet interessiert, denn es ist die Heimat von über sechs Millionen Russen. Zu guter Letzt sind Russland und zentralasiatische Staaten im Verteidigungspakt „Organisation des Vertrages für Kollektive Sicherheit“ (OVKS) miteinander verbunden. Kurz und gut: Die Sicherheit und Stabilität Russlands und Zentralasiens sind nicht voneinander zu trennen.Russland bietet sich anDie Bereitschaft Russlands, in Kooperation mit dem Westen eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung Afghanistans zu übernehmen, kündigt sich bereits seit zwei Jahren an: Auf russischen Vorschlag hin beschloss der Nato-Russland-Rat, gemeinsam afghanische und zentralasiatische Anti-Drogenkräfte aus- und weiterzubilden. Seit Mitte 2006 haben etwa 500 Offiziere an diesen Maßnahmen teilgenommen. Seit Mitte vergangenen Jahres bekunden hochrangige Vertreter Russlands öffentlich die Bereitschaft ihres Landes, an der Stabilisierung Afghanistans mitzuwirken, beispielsweise Außenminister Sergej Lawrow. Er betonte im Sommer 2007: „Es ist von zentraler Bedeutung, den nationalen Konsens in Afghanistan zu unterstützen und die Führer der Taliban davon abzuhalten, an die Macht zu gelangen.“ Nikolai Bordjuscha, der Generalsekretär des Militärbündnisses OVKS erklärte wenig später: „Wenn wir die Situation in Afghanistan ignorieren, so werden wir auf lange Jahre Probleme in Zentralasien haben.“ Bordjuscha bot der Nato-Antiterror-Koalition an, bei der Stabilisierung Afghanistans zusammenzuarbeiten. Er schloss die Entsendung von Truppen aus, bot aber Hilfe in Form von Waffen und Investitionsprojekten an. Russland hat Kabul bereits die Rückzahlung von Schulden in Höhe von elf Milliarden US-Dollar erlassen.
Der Kreml ging aus wachsender Sorge mit seiner Kooperationsbereitschaft geradezu hausieren.Nervosität in KabulDie afghanische Führung spürt unterdessen, dass auf den Westen auf Dauer vielleicht kein Verlass ist. Sie ist frustriert darüber, dass die Nato nicht auf die russischen Signale reagiert und wendet sich zunehmend Moskau, Peking, aber auch Teheran zu. Kabul zeigt sich höchst interessiert an russischen Waffenlieferungen, Reparaturen von militärischem Gerät und der Ausbildung von Sicherheitskräften. Zudem finden Gespräche über künftige umfangreiche Stromlieferungen nach Afghanistan statt. Unter russischer Führung werden derzeit riesige Wasserkraftwerke in Tadschikistan errichtet, einem der zentralasiatischen Nachbarn Afghanistans.Die kalte Schulter des WestensDer Westen jedoch reagierte zunächst nicht auf die deutlichen Signale Russlands. Im Herbst 2007 trafen sich die Nato-Verteidigungsminister – nicht zuletzt, um über die schwierige Lage in Afghanistan zu sprechen. An Russland ging dabei kein Signal zur Zusammenarbeit. Die deutsche Parlamentarierin Marie-Luise Beck sprach zur selben Zeit davon, dass sich Russland doch der Nato-geführten Mission am Hindukusch anschließen könnte. Russland unter Nato-Oberbefehl? Das klang nicht nach ernsthaftem Interesse.Hektische AktivitätenSeit einigen Wochen allerdings überschlagen sich die Ereignisse geradezu: Ende Januar diesen Jahres erneuerte der russische Nato-Botschafter Dmitri Rogosin die Bereitschaft seines Landes zur Kooperation – in Bezug auf Afghanistan und darüber hinaus. Eigentlich ein Routinevorgang, aber dieses Mal reagierte der Westen. Admiral William Fallon, Kommandeur des „United States Central Command“, stattete Usbekistan einen Aufsehen erregenden Besuch ab. Usbekistan ist ein Verbündeter Russlands, Nachbar Afghanistans und die usbekisch-US-amerikanischen Beziehungen sind – bzw. waren – seit Mitte 2005 ausgesprochen schlecht.Unmittelbar nach Fallons Besuch rief Putin den usbekischen Präsidenten Karimow an. Kurze Zeit darauf gab das russische Präsidialamt bekannt, Karimow werde nach Moskau kommen. Der Besuch fand nur eine Woche später statt – nach diplomatischen Gepflogenheiten gerade einmal eine Nanosekunde.Wenig später begannen die Nato und Russland an einem Plan zu arbeiten, der den Transport nicht-militärischen Materials wie Kleidung, Lebensmittel und Treibstoff über russisches Territorium gestatten würde. Es finden Gespräche über konkrete Routen statt – die auch über usbekisches Territorium verlaufen. Bislang kommen drei Viertel des Nachschubs für Afghanistan über das instabile Pakistan.Der russische Außenminister Lawrow befürwortete kurz darauf öffentlich ein Abkommen zwischen der Nato und der russisch geführten OVKS über den Transit nach Afghanistan. Er erklärte in Paris, dass „die meisten NATO-Mitglieder, einschließlich Frankreichs“ eine Vereinbarung zwischen der Nato und der OVKS befürworten, Washington dies jedoch blockiere.Deutschland gehört zu den Ländern, die nachdrücklich ein Abkommen der Nato mit Russland und seinen Verbündeten wünschen. Deutschland besitzt bereits eine Transitvereinbarung mit Russland und Usbekistan zur Versorgung der Bundeswehr in der Region. Sie funktioniert seit Jahren und umfasst auch den Waffentransport.Die USA kommen Russland entgegenMitte März schließlich flogen die US-amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice und Verteidigungsminister Robert Gates nach Moskau. Von Seiten Washingtons war dies zweifellos ein Eingeständnis der Schwäche, immerhin hatte Putin die US-Delegation bei ihrem letzten Aufenthalt in Moskau einfach 40 Minuten warten lassen und recht brüsk abgefertigt. Diesmal jedoch war die Stimmung gut. Condoleezza Rice erklärte, es sei wahrscheinlich, dass die beiden Präsidenten ihre „historische Vision realisieren“ könnten. Präsident Bush hatte seinem russischen Amtskollegen einen Brief mit Vorschlägen für ein „strategisches Rahmenwerk“ übergeben lassen. Putin erklärte befriedigt, dass es sich um „ein ernst zu nehmendes Dokument“ handle.In wenigen Tagen treffen sich die Nato-Mitglieder zum Gipfeltreffen in Bukarest, mit Wladimir Putin wird erstmals ein russischer Präsident daran teilnehmen. Es ist von fieberhaften Verhandlungen in Brüssel zwischen Russland und der Nato die Rede. Man strebt an, sich in Bukarest auf einen Versorgungskorridor für Afghanistan zu einigen. Und dabei wird es nicht bleiben.Der Preis RusslandsDer Kreml hat deutlich gemacht, dass eine Zusammenarbeit, anders als im Jahre 2001, nicht zum Nulltarif zu haben ist. Und der Preis im Frühjahr 2008 ist höher, als er im Herbst 2007 gewesen wäre, denn die NATO demonstriert Schwäche.Russland gibt sich kratzbürstig, um zu zeigen, wer auf wen angewiesen ist und um den Preis für eine Kooperation zu erhöhen. Präsident Putin sagte während des Treffens mit der Bundeskanzlerin in Moskau am 9. März: „Die Nato überschreitet bereits heutzutage ihre Grenzen. Wir haben kein Problem damit, Afghanistan zu helfen, aber es ist etwas anderes, wenn die Nato diese Hilfe zur Verfügung stellt. Dies ist eine Angelegenheit jenseits der Grenzen des Nordatlantik, wie Sie gut wissen.“Russland fordert, dass die Nato offizielle Kontakte mit der OVKS aufnimmt und energisch gegen den Drogenabbau und -schmuggel in Afghanistan vorgeht. Es erwartet eine konziliantere Haltung in der Raketenfrage. Und es ist klar, dass der Ukraine und Georgien auf dem Nato-Gipfel signalisiert werden wird, dass in den kommenden Jahren an keine Aufnahme in das Militärbündnis zu denken ist.Deutschland hat mit den meisten dieser russischen Wünsche und Forderungen keine Probleme, im Gegenteil. Für die USA sind es jedoch Kröten. Die absehbare Kooperation der Nato mit Russland schwächt die Position der USA in Europa und im postsowjetischen Raum. Washington ist gezwungen zuzugeben, dass es ohne und gegen Moskau nicht geht.
Das ist eine tragfähige Basis für eine umfassende Kooperation, die über Afghanistan hinausgeht. Aufgaben gibt es genug.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87