Serbien

Serbien muss Kosovo anerkennen

Wer in Serbien die Unabhängigkeit Kosovos offen befürwortet, lebt gefährlich. Dennoch tun es einige. Neben Menschenrechtlern gehört auch der Reformpolitiker Cedomir Jovanovic dazu. An ihm und seinen Liberaldemokraten führt kaum ein Weg vorbei, sollte Serbien im Mai eine wirklich europafreundliche Regierung bekommen.

Die Zentrale der Liberaldemokratischen Partei (LDP) macht den Eindruck, als sei sie gerade erst eröffnet worden. Die Wände leuchten in frischen Farben, noch sind nicht alle Bilder aufgehängt. Vor wenigen Wochen sah es hier ganz anders aus: Am Rande der serbischen Massenproteste gegen die Unabhängigkeitserklärung Kosovos zerstörten wütende Randalierer die Parteizentrale im Herzen Belgrads und verwüsteten 14 weitere LDP-Büros in ganz Serbien. Vielleicht ist es diese Erfahrung – doch ganz sicher ist es der in diesen Tagen angelaufene Wahlkampf für die vorgezogenen Parlamentswahlen am 11. Mai, der Cedomir Jovanovic (37) so unmissverständlich wie nie zuvor Position beziehen lässt in der Kosovo-Frage: „Ja, Serbien muss Kosovo anerkennen“, redet Jovanovic Klartext. Sollte er Mitglied der neuen serbischen Regierung werden, werde er auch dort für die Anerkennung Kosovos als unabhängiger Staat kämpfen. „Wir können davor nicht fliehen“, sagt Jovanovic. Wenn eine neue Regierung proeuropäisch sein und Reformen vorantreiben wolle, dann brauche sie „den Mut zu dieser Art von Wahrheit“.

Jovanovic, einer der engsten Weggefährten des 2003 ermordeten Reformpremiers Zoran Djindjic, geht sogar noch einen Schritt weiter und setzt sich für eine offizielle Entschuldigung Serbiens für die Unterdrückung und die Verbrechen in Kosovo ein: „Unsere Regierung muss Serbiens Verantwortung für die Vergangenheit anerkennen – eine Entschuldigung ist das Minimum.“ Zudem will der LDP-Chef einen Dialog mit den Kosovo-Albanern anstoßen, „und darüber reden, wo es Platz gibt für einen serbischen Beitrag für den Staat Kosovo. Wir sollten über die Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten und Gesellschaften, zwischen Albanern und Serben sprechen“. Eine Teilung Kosovos oder die Änderung der Grenzen lehnt Jovanovic entschieden ab.

Mit diesen Ansichten erntet Jovanovic aber nicht nur den Widerspruch der Nationalisten und ihrer Schlägertrupps, die die LDP-Leute als Verräter sehen und ihre Büros demolieren. Auch Staatspräsident Boris Tadic beharrt darauf, dass Kosovo ein Teil Serbiens sei und für immer bleiben müsse. Ein Wort der Entschuldigung an die Kosovo-Albaner kam ihm bislang nicht über die Lippen. „Leider ist Kosovo eine der großen Differenzen zwischen Präsident Tadic und uns“, bedauert Jovanovic. Tadics Demokratische Partei (DS) war mit 22,7 Prozent hinter den ultranationalistischen Radikalen zweitstärkste Kraft im aufgelösten Parlament. Will die DS eine neue, klar proeuropäische Regierung anführen, ist sie höchstwahrscheinlich auf die LDP als Koalitionspartner angewiesen. Die oppositionelle LDP besetzte mit 5,3 Prozent Wähleranteil bislang 16 der insgesamt 250 Parlamentsitze.

Gemäß jüngsten Umfragen können sowohl die LDP als auch die DS mit Zugewinnen rechnen. Jovanovic, der die Wahlen vom Mai als „die wichtigsten Wahlen“ seit dem Sturz Milosevics im Jahr 2000 bezeichnet, ist grundsätzlich zu einer Zusammenarbeit mit der DS bereit. Doch die Kosovo-Frage dürfte zum großen Zankapfel zwischen den Parteien werden, die sich beide einen schnellen EU-Beitritt Serbiens auf die Fahnen geschrieben haben. Der LDP-Chef verlangt einen „realistischen Ansatz“ beim Thema Kosovo. Es könne nicht sein, dass „nur Kosovo wichtig und deswegen alles andere sekundär“ sei. Um nach Europa zu gelangen, „müssen wir uns unserer Gesellschaft stellen und zugeben, dass Kosovo eine historische Niederlage war. Wir können nicht auf zwei Stühlen sitzen.

“Wie riskant es ist, von der verbreiteten Meinung „Kosovo ist Serbien“ abzuweichen, die die serbische Staatsspitze, fast alle politischen Parteien und die orthodoxe Kirche vereint, hat auch die Menschenrechtlerin Natasa Kandic (62) erfahren. Die in Westeuropa hoch angesehene und für die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen auf dem Balkan kämpfende Direktorin des „Humanitarian Law Centers“ (HLC) saß auf der Besuchertribüne des kosovarischen Parlaments in Prishtina, als am 17. Februar die Unabhängigkeit ausgerufen wurde. Als sie nach Belgrad zurückkehrte, wurde sie dort sowohl von Teilen der Boulevard-Presse als auch von Leuten auf der Straße als Verräterin beschimpft und bedroht. Infrastrukturminister Velimir Ilic rief zur Verhaftung Kandics auf und sagte, niemand könne für die Sicherheit jener Menschen garantieren, die Kosovo anerkennen. Natasa Kandic wertet diese Aussage geradezu als eine Einladung an die Bürger, „sich in beliebiger Form rächen zu können“. Kurz nach den Äußerungen Ilics wurde denn auch prompt ein Brandanschlag auf das HLC-Büro verübt. Seitdem geht Natasa Kandic in Belgrad nicht mehr allein auf die Straße. „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich so vorsichtig bin und verstanden habe, dass alles möglich ist“, bedauert die Menschenrechtsaktivistin.

Nach Ansicht von Natasa Kandic hat Serbien Kosovo schon im Juni 1999 verloren, als Milosevic nach dem Nato-Bombardement gezwungen wurde, Armee und Polizei zurückzuziehen und die Verwaltung der damaligen südserbischen Provinz an die Vereinten Nationen zu übergeben. „Die Unabhängigkeitserklärung Kosovos ist nur die formale Anerkennung einer Realität“, so Kandic. Aber das Problem sei, „dass es in Serbien kaum Politiker gibt, die versuchen zu erklären, warum Kosovo seit Juni 1999 verloren ist“. Die jungen Menschenrechtler der „Youth Initiative for Human Rights“ (YIHR) nennen die Gründe dafür deutlich beim Namen: „10.000 Kosovo-Albaner starben während der serbischen Besatzung und des Krieges in Kosovo“, erklärt YIHR-Gründer Andrej Nosov (24) und verweist auch auf die „serbische nationalistische und rassistische Politik gegenüber den anderen“ seit Mitte der 1980er Jahre. Die YIHR forderte Serbien Ende Februar in einer öffentlichen Erklärung auf, Kosovo als Staat anzuerkennen. Dies sei vor allem eine „Anerkennung des Leidens“, sagt Nosov. Doch auch für Serbien selbst wäre ein solcher Schritt von großer Wichtigkeit: „Eine moderne Gesellschaft kann nicht existieren ohne grundlegende Moral – bei uns fehlt diese aber, sowohl im politischen als auch im öffentlichen und akademischen Leben“.

YIHR hat den Weg an die Öffentlichkeit gewählt, um zu zeigen, dass es auch Serben gibt, die mit der von der Regierung und dem Präsidenten propagierten „nationalen Einheit“ in der Kosovo-Frage nicht einverstanden sind. Die Zahl der Menschen, die unsere Meinung teilen, ist groß“, so Nosov. „Aber viele haben Angst, es laut auszusprechen.“ Nach der Veröffentlichung der Erklärung hätten unzählige Leute bei YIHR angerufen und gratuliert. Doch auch – bislang nur verbale – Angriffe gegen die Jugendaktivisten haben zugenommen. Am Telefon oder auf rechtsextremen Webseiten würden sie häufig mit dem Tod bedroht, sagt Nosov. Das Problem seien nicht „diese verrückten Leute“, sondern dass es keine Reaktion seitens der staatlichen Institutionen gebe. Der Druck, der derzeit auf die Menschenrechtler ausgeübt werde, sei „staatlich kontrolliert“, ist Nosov überzeugt. Er beklagt, dass die Sicherheitslage für Menschenrechtler heute noch schlechter sei als in den letzten Jahren unter Milosevic. „Es gibt Leute innerhalb der Polizei, den Sicherheitsdiensten und von politischen Parteien, die die Aktivisten zum Schweigen bringen wollen.“ In deren Augen verstoße es offenbar „gegen die serbischen Interessen“, über das Leiden anderer zu sprechen. Doch für Nosov ist es unmöglich, „Demokratie aufzubauen ohne verschiedene Meinungen in der Gesellschaft“. Deswegen werden er und die YIHR, der rund 1.000 Aktivisten in Serbien und den Nachbarländern angehören, auch in Zukunft nicht schweigen und sich weiter offen für die Unabhängigkeit Kosovos stark machen.


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