Polen

Einmal Polen und zurück

Ein Überlandbus verbindet seit dem polnischen Schengenbeitritt die Partnerstädte Cottbus und Zielona Gora(n-ost) – Um 6.48 Uhr wischt Henry Zimmermann den Deckel seiner Thermoskanne aus und streckt den Rücken durch. Der Busfahrer wirft einen prüfenden Blick in den Rückspiegel und die Anzeigentafel über ihm schnalzt auf das neue Fahrziel. Während Zimmermann von seiner Parkbucht aus die Haltestelle am Cottbuser Busbahnhof ansteuert, formieren sich die Berufspendler schläfrig zur täglichen Warteschlange für die Reise in Richtung Grenze. Doch für acht Passagiere wird die Fahrt an der Grenze noch nicht zu Ende sein. Mit wachem Blick und Rucksack wartet Sighelm Janott aus Cottbus mit Lebensgefährtin Liudmila Maltseva darauf, dass sich die Tür des Busses öffnet. Zielona Gora heißt ihr Ziel, die Hauptstadt der polnischen Wojewodschaft Lebuser Land. Seit dem Schengenbeitritt Polens drei Tage vor Weihnachten verbindet die Partnerstädte wieder eine Buslinie, einmal täglich in jede Richtung. „Das gab es schon einmal in den 70er Jahren“, erinnert sich Janott. Und jetzt eben wieder.
Auf dem Heimweg: Am Busbahnhof in Zielona Gora.
Melanie LongerichVom länderübergreifenden Nahverkehr ist die Grenzregion allerdings noch weit entfernt. Die Linie Cottbus – Zielona Gora könnte da zum Testballon werden, ob eine solche Verbindung in der Bevölkerung überhaupt angenommen wird. So sieht es jedenfalls Bürgermeister Bartlomiej Bartczak aus dem polnischen Gubin. Nur die Neiße trennt die Stadt vom brandenburgischen Guben. Bartczak und sein Gubener Kollege haben sich mit viel Engagement für die Wiederbelebung der Busverbindung eingesetzt. Doch noch sieht es so aus, als könnte das Ganze zum Flop werden. Bis jetzt nutzen kaum Reisende das verlockende Angebot, bei einem Tagesausflug von montags bis freitags per Linienbus das Nachbarland zu erkunden. Lediglich die üblichen Pendler füllen die Sitzreihen. Und am einkaufsträchtigen Samstag fällt die Linie sogar ganz aus.Die Reise zum Nachbarn beginnt um 6.49 Uhr. Da blickt Henry Zimmermann auf die Uhr, drückt das Gaspedal und steuert den Bus aus der Stadt. „Mal sehen, was sich drüben so verändert hat“, sagt Janott und verstaut sorgfältig Mütze und Jacke in der Hutablage. Er war das letzte Mal vor 20 Jahren in der polnischen Partnerstadt. Falls den 66-Jährigen die Abenteuerlust schon gepackt hat, kann er sie gut verbergen. Hinter ihm schiebt Manuela Pöthe derweil die Reiseprospekte über die polnische Partnerstadt in ihre Handtasche zurück. „Mit dem Bus können wir das Auto Zuhause stehen lassen“, sagt ihr Mann Gunter und klingt leicht betreten: „Man hört ja so viel.“Als er die Stadt verlassen hat, nimmt der Bus an Fahrt auf. „Wenn ich die Minuten  nicht einhalte, habe ich ein Problem“, sagt der 50-jährige Zimmermann, der seit 34 Jahren Busse über Lausitzer Straßen lenkt. „Das Problem“, wie er es nennt, taucht immer dann auf, wenn er nicht punktgenau um 7.55 Uhr sein Fahrziel in der Berliner Straße in Guben erreicht. Bei anderen Busverbindungen in Richtung polnische Grenze mache etwas Verspätung nicht viel aus, sagt Zimmermann. In diesem Fall ist das anders. Denn in Guben werden die Busse getauscht, auf halber Strecke an der letzten deutschen Haltestelle kurz vor der Grenze. Kaum dass die Reisegäste aus dem deutschen ausgestiegen sind, fährt zwei Minuten später der polnische Bus vor. „Das ist heute viel komfortabler“, sagt Henry Zimmermann und blickt erneut aus dem Augenwinkel auf die Uhr. In den 70er Jahren hatten die deutschen Passagiere aus Cottbus noch zu Fuß die Stadtbrücke zwischen Deutschland und Polen überqueren müssen, um vom Gubiner Busbahnhof aus die Weiterfahrt anzutreten.  „Wir können kein Polnisch und die polnischen Kollegen kein Deutsch. Ich kann also nicht mal eben anrufen, dass ich mich um fünf Minuten verspäte“, erklärt er den Druck, der sich im Laufe der Fahrt auf der schnurgeraden Strecke zwischen Wiesen und Dörfer hindurch bei ihm aufbaut. Zimmermanns größter Unsicherheitsfaktor: trödelnde Schüler.In Guben geht mit Stanislaw Mikszta die Sonne auf. „Dzien dobry, guten Tag“ wirft der polnische Busfahrer mit breitem Grinsen seinen deutschen Fahrgästen entgegen. Die sind müde, und er ist sichtlich nervös. Während er die Fahrkarten verkauft, sitzt ihm sein Gubiner Bereichsleiter im Nacken. Täglich kontrolliert Bronislaw Kulewicz derzeit, wie viele Reisende aus Deutschland die Busverbindung nutzen. Während Mikszta seinen Bus durch die still gelegte Grenzabfertigung nach Gubin steuert, ist Kulewicz für heute zufrieden: „Zu Beginn der Woche hatten wir keine Deutschen im Bus, da war das Wetter zu schlecht“, sagt er. Weniger gefällt ihm die Entwicklung in Polen, wo nur wenige Reisende in Richtung Cottbus reisen: „Kaum Werbung“, sagt Kulewicz kurz, zuckt die Achseln und steigt am Gubiner Busbahnhof aus.
Der Busfahrer Stanislaw Mikszta bei der Ankunft in Zielona Gora.
Melanie LongerichEin kurzes Winken zum Abschied, und der Bus nimmt die knappe Anhöhe aus der Stadt. Auf der Bundesstraße drückt Stanislaw Mikszta aufs Gaspedal. Während er beschwingt eine alte Frau auf dem Fahrrad überholt, dreht er das Radio lauter. Über seinem Kopf schaukeln Souvenirs: Auf einer Postkarte wiegt der polnische Papst ein Baby im Arm, darüber klemmen Mäuse und Hasen aus Plüsch zwischen Duftbäumchen und einer Plakette mit dem Heiligen
Christophorus. „Das ist der Schutzheilige der Busfahrer“, sagt der 46-Jährige, der seit 28 Jahren dieselbe Strecke fährt. Auch er hat die Uhr fest im Blick – in Form eines kleinen silbernen Schiffssteuerrads direkt über dem Rückspiegel. 61 Minuten braucht er von Gubin nach Zielona Gora, mehr ist auf keinen Fall drin.Auf schnurgerader Strecke fährt der Bus vorbei an leer stehenden Kasernen, mintfarben Lebensmittellädchen und Straßenmasten mit Storchennestern bis ein Meer aus Fichten die Landschaft bestimmt. Dann wechseln sich Birkenwäldchen mit umgepflügten Feldern ab, von weitem leuchten die bunten Plastikblumen kleiner Friedhöfe. Gelegentlich unterbricht ein kleines Dorf die vorbeirauschende Landschaft. Neben sorgfältig geweißten Kirchen ducken sich Häuschen hinter Gartenzäunen aus Beton. Die meisten Bushaltestellen ignoriert Busfahrer Mikszta einfach, hier will ohnehin niemand aussteigen. Stanislaw Mikszta mag seinen Beruf. Kein Tag sei gleich, sagt er, so wie der Himmel über den Feldern sich jeden Tag verändere. Und mit den neuen deutschen Fahrgästen komme jetzt die Hoffnung, dass Europa wirklich zusammenwachse: „Schließlich kämpfen wir hier an der Grenze alle mit denselben Problemen. Nur leider können wir uns kaum austauschen“, findet der Busfahrer. Die gemeinsame Sprache fehlt. Genau wie sein deutscher Kollege Zimmermann kein Polnisch spricht, kann auch Mikszta kein Deutsch.Für seine Kinder erhofft er sich andere Perspektiven. Seine beiden Töchter studieren Fremdsprachen, der Sohn ist beim Militär. Für deren Ausbildung fährt der Busfahrer auch für andere Unternehmen ins Ausland: Leipzig, Paris, Rom – er tippt auf die Postkarten über dem Seitenfenster. Aber in Gubin sei er geboren. „Und sterben will ich dort auch“, sagt er, lacht und deutet wie zum Beweis bei Dychow aus dem Fenster auf den Fluss Bober. Auf den kleinen Wellen blitzen Sonnenstrahlen, und trockenes Schilf wiegt sich im leichten Wind.Kurz vor Zielona Gora werden die Häuser wieder höher. Startsignal für Passagier Janott, den Mantel anzuziehen. Lebensgefährtin Liudmila Maltseva blickt erwartungsvoll aus dem Fenster. Die Weißrussin benötigte bis zum Schengenbeitritt Polens ein Visum für das Land. Jetzt ist das nicht mehr nötig: „Ich freue mich sehr, dass die Welt wieder ein Stück größer geworden ist“, sagt sie.  Um 9.05 Ankunft am Busbahnhof von Zielona Gora – Endstation für alle Reisenden. Während es die Cottbuser erwartungsvoll in die nahe gelegene Altstadt zieht, wartet auf Busfahrer Mikszta viel freie Zeit. Erst um 15.15 Uhr muss er zurück nach Cottbus. Während er es sich mit einer Zeitung im Bus gemütlich macht, rührt derweil schräg gegenüber im Verwaltungsgebäude des Busunternehmens PKS Zielona Gora Zbigniew Zaborowicz in seinem Kaffee. „Eine große Chance für die Region“, nennt der Unternehmenschef die neue Buslinie. Ein Jahr lang soll nun erst einmal geschaut werden, ob das gemeinsame Projekt  auch von der Bevölkerung angenommen werde. „Natürlich geht es darum, Geld zu verdienen“, sagt Zaborowicz. Bald will er sich mit den deutschen Partnern zusammen setzen und eine erste Bilanz ziehen. Wie oft er selbst nach Cottbus reise? „Regelmäßig“, sagt Zaborowicz und hebt den Daumen: „Zu jedem Heimspiel des FC Energie“. Allerdings fahre er mit dem Auto, schiebt er nach, dann sei er unabhängiger.Kurz vor der Rückfahrt treffen sich die Cottbuser Reisenden in der Wartehalle zum Erfahrungsaustausch. Die Meinungen sind geteilt. Wohltuend lebendig sei die Stadt mit den vielen jungen Menschen und Cafés, meinen die einen. „Cottbus wie vor zehn Jahren nur mit viel höheren Preisen“, mäkelt andere. „Am Ende wird sich jeder selbst überzeugen müssen“, fasst Sighelm Janott zusammen. Allerdings, empfiehlt er, sollte man eher im Sommer kommen, wenn die zahlreichen Biergärten wieder geöffnet sind und einem die Kälte nicht so zu schaffen mache. An der Bushaltestelle Nummer sechs fährt Stanislaw Mikszta mit seinem Bus vor und hupt zur Begrüßung. Bis das Gepäck aller Reisenden verstaut ist, dauert es eine Weile. Während Mikszta in der Stadt die polnischen Pendler in Richtung Grenze einsammelt und dann den Bus zurück nach Gubin steuert, haben sich die meisten längst müde in ihren Stühlen zurückgelegt.  Nach erneutem Buswechsel in Guben endet die Fahrt um 18.12 Uhr wieder am Ausgangspunkt. Da haben Stanislaw Mikszta in Gubin und Henry Zimmermann in Spremberg fast schon die Nachtruhe eingeläutet.Beide müssen am nächsten Tag wieder früh raus für den ersten Bus in Richtung Zielona Gora. Für Zimmermann beginnt der Morgen um 2.30 Uhr mit einem kräftigen Kaffee. Satt hatte er seinen Beruf dennoch nie. Selbst im Urlaub lässt sich Zimmermann gerne von Kollegen chauffieren: auf Busreisen nach Italien und Spanien. Polen steht da bis jetzt noch nicht auf seiner Liste. Das könnte sich aber bald ändern: Zimmermann will jetzt auch einmal nach Zielona Gora fahren. Mit dem Bus – um die ganze Tour kennen zu lernen.weitere Infos:Der Bus startet von Montag bis Freitag um 6.49 Uhr vom Cottbuser Busbahnhof, Ankunft in Zielona Gora um 9.05 Uhr. Die Rückreise beginnt um 15.15 Uhr vom Busbahnhof in Zielona Gora und endet um 18.12 wieder in Cottbus. Hin-und Rückfahrt kosten 22,20 Euro und können pro Teilstück direkt beim Fahrer in Euro gezahlt werden.
Weitere Informationen beim Neißeverkehr unter der Nummer (03561) 2341 oder im Internet unter www.neisseverkehr.de. Informationen über Sehenswürdigkeiten, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten in Zielona Gora stehen auf der Homepage der Stadt auch in deutscher Sprache: http://eagle.um.zielona-gora.pl/UMDE/.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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