"Kartoffelschnaps ist verpönt" / Interview mit einem Wodka-Experten
Herr Bathon, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über Wodka zu schreiben?
Bathon: Ich habe früher als DJ in einem Club gearbeitet und hatte immer Cocktails und Wodka um mich herum. Seit fünf Jahren betreibe ich eine Internetseite über Wodka. Außerdem interessiere ich mich seit meiner Schulzeit für Osteuropa. Russland - das war damals in den achtziger Jahren die große Unbekannte, die sich langsam öffnet. Das alles zusammen hat dazu geführt, das Buch zu schreiben. Ich bin kein Fachmann, sondern habe mich einfach jahrelang hobbymäßig mit dem Thema beschäftigt. Zumal das bisher eine Lücke auf dem deutschen Buchmarkt war.
Wen wollen Sie mit dem Buch ansprechen?
Bathon: Jeden, der sich näher mit Russland, Wodka und der damit verbundenen Kultur beschäftigen möchte. Es gibt so viele Horrormeldungen über Alkoholmissbrauch und Alkoholtote in Russland - ich möchte auch Aufklärungsarbeit leisten. Natürlich will ich auch unterhalten. Wodka ist schließlich das Thema, das jeder mit Russland in Verbindung bringt.Frage: Russen und Polen streiten darüber, wer den Wodka erfunden hat. Kennen Sie die Antwort?Bathon: Ich schließe mich eindeutig der russischen These an, weil ich diese stichhaltiger finde. Der Überlieferung nach soll im 15. Jahrhundert ein griechischer Geistlicher in Russland mit der Destillation von Getreide experimentiert haben. Im Großfürstentum Moskau gab es Roggen im Überfluss. In Polen war Getreide zu dieser Zeit Mangelware. Es ist für mich nicht logisch, dass in dieser Situation ein Pole auf die Idee gekommen sein soll, Alkohol aus Getreide zu brennen, solange es komplett für Brot gebraucht wurde. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Russen den ersten Wodka gebrannt haben. Aber vielleicht findet doch einmal jemand heraus, dass der erste Wodka in Polen gebrannt wurde. Echte schriftliche Belege haben weder Polen noch Russen.
Wodka ist in der russischen Gesellschaft und Kultur tief verwurzelt. Woher kommt das?
Bathon: Über weite Epochen haben die Menschen in Russland ihren Wodka selbst hergestellt. Außerdem versuchte die Obrigkeit mehrfach, die Produktion einzuschränken. Das hat sich in das Bewusstsein der Menschen eingebrannt. Das ist auch in anderen Wodka-Nationen so, zum Beispiel bei den Finnen. Durch das jahrhundertelange Wodkabrennen ist das Getränk Teil der eigenen Identität geworden und hat die gesamte Gesellschaft durchdrungen. Auch heute ist es noch so: Jeder kennt jemanden, der selbst etwas brennt, wenn es auch nicht immer zwingend Wodka sein muss.
Was ist bei selbst gebranntem Wodka zu beachten?
Bathon: Ich bin damit sehr vorsichtig! Samogon, den Selbstgebrannten, trinke ich nur von Leuten, die ich schon lange kenne und denen ich vertraue - und die ihren Alkohol auch selbst konsumieren. Kaufen würde ich selbst gebrannten Alkohol niemals. Genauso sollte man auf Fälschungen achten und lieber nicht zur billigsten Flasche im Regal greifen. Da sollte jeder wissen: Da kann etwas nicht stimmen. Hundertprozentigen Schutz gibt es nie, aber das ist auch in Deutschland nicht anders. Das hat der Skandal mit umetikettiertem Fleisch gezeigt. Unerfahrene Russlandbesucher meinen manchmal, von 100 Flaschen russischem Wodka seien 80 gefälscht. Aber so extrem ist es nicht, sonst wäre doch ein Großteil der russischen Bevölkerung längst tot. Wer unsicher bei der Auswahl ist, sollte in einen großen Supermarkt gehen.
Was ist das Problem bei selbst gebranntem oder gefälschtem Wodka?
Bathon: Niemand weiß, welcher Alkohol benutzt wurde - der kann schädlich sein. Wenn bei der Destillation des Alkohols nicht aufgepasst wird, kommen leicht Fremdstoffe hinzu. Diese sind gefährlich, wenn sie nicht korrekt gefiltert werden. So wird sogar Methylalkohol verwendet und mit Wasser gepanscht. Daran sind schon viele gestorben. In Deutschland herrscht allerdings ein sehr düsteres Bild, bedingt durch Sensationsmeldungen aus den Medien. Ich möchte in meinem Buch solche Darstellungen korrigieren, ohne die Situation zu verharmlosen.
Ein hartnäckiges Gerücht lautet, Wodka werde aus Kartoffeln hergestellt.
Bathon: Dabei ist Kartoffelschnaps in Russland absolut verpönt. Wer dort etwas auf sich hält, produziert keinen Wodka aus Kartoffeln. Wodka wird aus Getreide gemacht. In Polen und der Ukraine hingegen wird viel Kartoffel-Wodka getrunken. Vielleicht ist dort der Ruf ein anderer, aber das kann ich nicht sicher sagen. Der Glaube, Wodka werde zwangsläufig aus Kartoffeln hergestellt, muss in Deutschland entstanden sein, weil dort russische Produkte oft als minderwertig angesehen werden.
Welchen Unterschied gibt es bei der Wodkaproduktion zwischen Ost und West?
Bathon: Jeder Wodka hat seine eigene Note - trotz seines eigentlich neutralen Geschmacks: Er ist mal schärfer, mal milder, mal würziger. Wodka im Westen schmeckt sehr neutral. Zwischen einem "Smirnoff" und einem "Gorbatschow" ist kaum eine Differenz zu schmecken. Der russische Wodka hingegen hat mehr Charakter. Da merkt man feine Unterschiede im Abgang, besonders wenn er unrussisch getrunken wird, also genippt, statt auf einmal heruntergeschüttet. So lassen sich feine Nuancen unterscheiden. Doch ein Laie wird kaum einen Unterschied merken.
Haben Sie recherchiert, wie viele Wodkamarken es in Russland gibt?
Bathon: Das weiß niemand. Ich habe keine konkrete Zahl gefunden. In jeder größeren Stadt gibt es Destillen, da ließe sich eine Zahl nur schätzen. Es gibt garantiert tausende Sorten.Frage: Welchen Status hat ausländischer Wodka in Russland?Bathon: Die Russen zeigen eine gewisse Anerkennung für Produkte aus Ländern mit einer eigenen Wodka-Tradition. "Absolut" aus Schweden ist bis in den hintersten Winkel Sibiriens zu finden und wird als Edeltropfen geschätzt. Die Menschen sind bereit, dafür mehr zu zahlen. Gar nicht akzeptiert sind hingegen Marken aus Ländern ohne Wodka-Geschichte.
Sie haben herausgefunden, dass der Wodkaverkauf in Russland zwischen 2001 und 2007 um 15 Prozent gesunken ist. Woran liegt das?
Das beliebteste Getränk ist heute Bier und nicht mehr Wodka. Gerade bei Jüngeren gibt es da einen Wandel. In Deutschland ist es umgekehrt: Dort gilt Bier als Traditionsgetränk und die Jüngeren greifen statt zum Bier eher zu Wodka. Ich denke, dies liegt besonders an der Globalisierung, die in beiden Ländern spürbar ist. Ein weiterer Grund: Die Russen haben heute mehr Geld. Sie können sich auch einen teureren Whisky oder einen Wein aus Deutschland leisten. Hochwertige Wodkasorten werden allerdings wieder stärker nachgefragt, während viele kleine Marken verschwinden. Das ist einfach Kapitalismus. Für Edelmarken wird es weiter aufwärts gehen. Ohnehin werden die Russen nicht aufhören, Wodka zu trinken.
Verraten Sie doch mal einen Trick, wie jemand, der nicht ganz so trinkfest ist, Wodka am besten verträgt.
Bathon: Es sollte unbedingt mehr als nur Wodka auf dem Tisch stehen. Beilagen sind wichtig: Gurken, Oliven, Tomaten, Käse und Wurst. Auch Säfte sind erlaubt, aber Finger weg von anderem Alkohol. Wichtig ist natürlich eine feste Basis im Magen. Wenn ich merke, dass ich an mein Limit komme, leere ich das Glas nicht ganz, sondern lasse einen kleinen Rest übrig, der bei der nächsten Runde einfach wieder aufgefüllt wird. Und falls ich genug habe, kann ich auch sagen: "Es reicht", ohne dass der Gastgeber beleidigt ist. Das machen Russen ganz genau so. Auch sie sind nicht alle gleich trinkfest.
Mal ehrlich: Wie viel Wodka haben Sie für die Recherche getrunken?
Bathon: Wie weit fasse ich nun die Recherche? Mit Freunden und zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen habe ich natürlich nur des Buches wegen getrunken, nicht weil es Spaß macht. Nein, im Ernst: Da lässt sich keine klare Grenze ziehen. Ich war seit dem Jahr 2000 zehn Mal in Russland, zum Beispiel bei der Verwandtschaft meiner Ehefrau. Da habe ich viele Informationen gesammelt - und praktische Erfahrungen.
Roland Bathon: "Russischer Wodka". Nach Russland-Reihe. Books on Demand GmbH. ISBN 9783837001730