Deutschland

HUMORVOLL, SPRITZIG, EINFALLSREICH

Auf der Leipziger Buchmesse suchen kroatische Literaten die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums(n-ost) - Alida Bremer ist als Kuratorin verantwortlich für den Länderschwerpunkt Kroatien auf der diesjährigen Buchmesse. Sie ist ein kultureller "Tausendsassa": Sie ist Autorin, übersetzt viele der kroatischen Titel, die jetzt auf Deutsch erscheinen, und gibt Anthologien heraus. Sie ist - zusammen mit ihrem ungarischen Schriftstellerkollegen György Dalos - verantwortlich für das Literaturportal www.crobuch.de und sie vernetzt die Leipziger Buchmesse mit dem Literaturfestival im kroatischen Pula. Im n-ost-Interview spricht sie über Kroatien als literarische Regionalmacht und seine spritzigen Autoren.
Kroatische Neuerscheinungen auf dem deutschen Büchermarkt.
Stephan OzsváthFrage: Sie sehen Kroatien gemeinsam mit ihrem ungarischen Kollegen György Dalos in einer "Mittlerrolle". Zwischen wem oder was kann das Land und als dessen Botschafter die Literatur vermitteln? Bremer: Das war so ein Schlagwort, als wir nach einem Konzept gesucht und bemerkt haben, dass es für die kroatischen Verlage ziemlich wichtig geworden ist, Autoren aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien zu veröffentlichen. Die jungen Montenegriner sind in Kroatien gerade "in". Die kroatischen Verlage gewinnen an Bedeutung in der Region. Es ist ziemlich wichtig für Slowenen, Bosnier, Serben oder Montenegriner,  in Kroatien veröffentlicht zu werden. Frage: Ihr Kollege György Dalos hat einmal über Ungarn gesagt, es sei eine literarische Mittelmacht. Was würden Sie über Kroatien sagen? Bremer: Wir sind definitiv keine literarische Macht. Vor allem nicht im Ausland, also in der übersetzten Literatur. Aber ich würde sagen, dass sich die kroatische Literaturszene in den letzten 20 Jahren in der Region zu einer kleinen Macht entwickelt hat. Frage: Sie haben die Szene sogar gezählt. In einem Artikel für die Literaturzeitschrift "Die Horen" haben sie 100 relevante kroatische Autoren ausgemacht. Also so ungefähr: Zu jeder Stadt gehören ein Supermarkt, ein Feuerwehrauto, ein Bürgermeister, ein Auto, ein Schriftsteller? Bremer: Es ist tatsächlich so, dass sehr viel geschrieben wird. Es wird nicht alles für die Ewigkeit bleiben. Aber es ist nicht das Schlechteste, wenn sich ältere Damen entscheiden, eine Biographie zu schreiben - und absolut phantastische Bücher dabei heraus kommen, obwohl man das überhaupt nicht vermutet hätte. Oder ein junges, flippiges Mädchen schreibt Kolumnen und veröffentlicht dann ein nettes Buch. Das gibt es überall in Europa und eben auch in Kroatien. Diese hundert Autoren, die Sie erwähnen, spielen eine kritische Rolle in der Gesellschaft. Der Austausch mit der Wirklichkeit ist ziemlich rege, es gibt Texte zu allen Themen. Die Autoren sind sehr aufmerksam. Sehr viele von ihnen leben vom Journalismus, sind Essay- oder Kolumnen-Schreiber. In ihren Kolumnen und Essays reagieren sie häufig auf Alltagsphänomene. Und unter den Autoren gibt es eine positive Konkurrenz. Es geht darum: Wer kann noch genauer hingucken? Frage: Edo Popovic wäre so ein Beispiel eines jungen Autoren. Er hat als Kriegsberichterstatter viel für Zeitungen und Zeitschriften in Kroatien geschrieben. Und jetzt schreibt er Vorstadt-Kurzgeschichten, die anmuten wie Rap. Bremer: Er ist auf jeden Fall jemand, der aus der "Rock'n'Roll-Kultur" kommt - Punk, wahrscheinlich auch Rap. Jemand, der mit den Erscheinungen der Massenkultur wie Film und moderner Musik vertraut ist. Und Edo Popovic ist einer, der Phänomene wie Korruption sehr wachsam wahrnimmt und beschreibt. Frage: Das Thema Krieg spielt ja durchaus noch eine Rolle, zum Beispiel bei Ivana Sajko, die Sie auch übersetzt haben. Wie ist das bei den Lesern? Interessieren die sich noch für dieses Thema oder sagen sie: Ich kann es nicht mehr hören? Bremer: Es gibt Autoren, die sagen: "Ich habe schon ein Buch über den Krieg geschrieben, das reicht." Aber es gibt auch andere, die das Thema immer wieder neu schreiben. Der Krieg und die Nachkriegszeit sind miteinander vermischt. Und vieles, was die Leute erleben, sind Folgen dieser Kriegserscheinungen. Von daher ist es unvermeidlich, darüber zu schreiben. Aber die Literatur ist nicht nur Abbild der Wirklichkeit. Viele Autoren schreiben überhaupt nicht über solche Themen. Der Krieg ist solange literarisch interessant, wie ein literarisches Werk entsteht. Ivana Sajko etwa ist eine sehr experimentierfreudige Autorin. Sie schreibt aus der Perspektive einer Frau, einer Alkoholikerin, einer Schriftstellerin. Sie findet eine Form, die durchaus für viele Leser interessant ist. Sie ist einfach eine sprachlich und stilistisch sehr starke Autorin. Hätte sie das Thema in einem langweiligen Text erzählt, hätte das keiner gelesen. Frage: Die Schriftstellerin Juljiana Matanovic hat einmal erzählt, als sie angefangen habe zu schreiben, seien die Leute in die Stadtbücherei gegangen und hätten gesagt: "Geben Sie mir ein Buch, aber bloß nicht von kroatischen Autoren". Wie steht es im eigenen Land um die Rezeption von kroatischer Literatur? Bremer: Es gab lange Zeit nur amerikanische und westliche Bücher, vielleicht ein paar russische Klassiker. Auf gar keinen Fall einheimische. Doch Ende der 90er Jahre, als die FAK-Bewegung aufkam, war das vorbei. FAK steht für "Festival der alternativen Literatur", später stand es für A-Klasse, also hochwertige Literatur. Das war ein Wortspiel mit dem englischen "Fuck". Diese Autoren waren die ersten,  die nach dem Krieg nach Serbien fuhren. Es gab eine Lesung in Novi Sad, die hieß "FAK YU", als Anspielung auf "Yugoslavija".  In Kneipen, in Pubs, in Konzertsälen - überall wurde gelesen. Entscheidend war, dass es eine lange Theke und genug Bier gab. Daraus wurden richtige Leseparties. Das Publikum war das nicht gewohnt. Aber es war sehr spontan. Wenn der Vorleser langweilig war, wurde er mit Tomaten beworfen. Wer gut war, dem wurde eine Runde Freibier spendiert. FAK verhalf der kroatischen Literatur zu Hause zum Durchbruch. Frage: Wenn man den Test macht und beim Online-Buchhändler Amazon das Stichwort "kroatische Literatur" eingibt, bekommt man nur eine Handvoll Treffer. Ist das symptomatisch für den Bekanntheitsgrad kroatischer Schriftsteller in Deutschland? Bremer: Ja. In bestimmten Kreisen hat man vielleicht von Slavenka Drakulic gehört, oder Dubravka Ugresic. Einige kennen vielleicht auch Zoran Feric oder Miljenko Jergovic. Aber das sind schon Kenner. Edo Popovic hat im letzten Jahr ein breiteres Publikum durch seine Lesungen erreicht, die sehr gut ankamen. Aber insgesamt ist kroatische Literatur in Deutschland nicht sehr bekannt. Ich hoffe, dass sich das durch die Buchmesse Leipzig ändert. Frage: Sie tragen durch Ihre Übersetzungen - etwa von Edo Popovic oder Ivana Sajko - dazu bei, kroatische Literatur bekannter zu machen. Wenn Sie die jungen Autoren anpreisen müssten, wie würden Sie Werbung für sie machen? Bremer: Sie sind humorvoll, spritzig, witzig, einfallsreich. Sie sind wenig grüblerisch und introspektiv. Sie sind auch nicht sprachbesessen wie manchmal deutsche Autoren, die nach dem perfekten Ausdruck suchen, ohne sich um die Wirkung zu kümmern. Die kroatische Literatur will interessant sein, auf das Publikum wirken - das ist vielleicht eine Folge der FAK-Bewegung. Ob das immer den ultimativen Tiefgang hat, sei dahingestellt. Kroatische Autoren sind amüsant, lesenswert und unterhaltsam - aber nicht oberflächlich.Frage: Welche Rolle spielt die Leipziger Buchmesse für diese Autoren? Bremer: Sie ist sehr wichtig. Wenn man ein grandioser Autor ist wie etwa Orhan Pamuk, der zwar einer eher unbekannten Literatur entstammt, der aber vernetzt ist, dann schafft man den Durchbruch. Aber so etwas passiert in 50 Jahren vielleicht einmal. Man kann Glück haben wie die Ungarn. Dort gibt  es eine ganze Generation starker Autoren, die noch dazu Deutsch sprechen und sehr mitteleuropäisch gebildet sind. Sie können aus dem Stand Lesungen hier organisieren. Oder man ist Umberto Eco, auch dann kann man es schaffen. Doch wenn man in einer relativ unbekannten Sprache schreibt und aus einem kleinen Land wie Kroatien kommt, ist es nicht leicht. Dann sind solche Foren wie die Buchmesse unumgänglich, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Frage: Es gibt eine Partnerschaft zwischen der Leipziger Buchmesse und dem Buchfestival im kroatischen Pula, in der Sie auch eine gewisse Rolle spielen. Wie befruchten sich diese beiden Veranstaltungen gegenseitig? Bremer: Das ist eine sehr gute Zusammenarbeit. Ich arbeite am Programm der Buchmesse von Pula mit. Und ich habe den Direktor der Leipziger Buchmesse nach Kroatien eingeladen. So entstand die Partnerschaft. Es gab einen jährlichen Autorenaustausch - je ein Autor kam nach Pula beziehungsweise Leipzig. So sind Freundschaften entstanden. Und die Zusammenarbeit hat auch Früchte getragen. Auf meine Anregung hin ist zum Beispiel Thomas Brussigs Roman "Helden wie wir" in Kroatien erschienen. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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