Serbische Regierung vor dem Aus
Die Regierung Serbiens steht vor dem Aus. Die Koalitionspartner sind sich uneins über den Europakurs des Landes. Ministerpräsident Kostunica hat sich offen auf die Seite der nationalistischen Europagegner der oppositionellen Radikalen gestellt.Grund für die schwerste Krise in der serbischen Regierung seit ihrer Konstituierung im Mai letzten Jahres ist eine Resolution, die die ultranationalistische Serbische Radikale Partei am Mittwoch ins Parlament eingebracht hat. Im Kern verlangt die Resolution, die EU müsse sich dazu bekennen, dass Kosovo ein integraler Bestandteil Serbiens sei. Falls dies nicht geschehe, könne Serbien mit Brüssel nicht weiter über eine Annäherung oder einen EU-Beitritt verhandeln. Im Falle einer Annahme wäre der europäische Integrationsprozess Serbiens faktisch auf Eis gelegt. Denn die EU hat als Institution gar nicht die Möglichkeit, über die Anerkennung Kosovos zu entscheiden. Dies liegt allein in der Kompetenz der einzelnen Mitgliedsländer.
Brisant ist, dass auch die Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Regierungschef Vojislav Kostunica hinter der Resolution der oppositionellen SRS steht. Die beiden anderen Koalitionspartner, die pro-europäische Demokratische Partei (DS) von Staatspräsident Boris Tadic und die kleine Reform-Partei G17plus von Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic, lehnen die Verknüpfung der europäischen Integration Serbiens und der Kosovo-Frage hingegen entschieden ab. Der tiefe Graben in der Regierung scheint kaum mehr überwindbar zu sein. Parlamentspräsident Oliver Dulic (DS) ließ gestern gar keine Parlamentsdebatte über die Resolution zu, sondern unterbrach die Sitzung nach 20 Minuten. Diese werde erst fortgesetzt, wenn die Regierung ihre Position zur Resolution bekannt gegeben habe, sagte er zur Begründung.
Die Serbische Radikale Partei (SRS) kündigte an, sie werde die Absetzung von Dulic verlangen, denn es gebe keinen Grund, warum die Regierung zuerst ihre Sichtweise darlegen müsse. Zuvor war die Resolution mit den Stimmen der SRS, der DSS sowie der Abgeordneten der von Slobodan Milosevic gegründeten Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) auf die Tagesordnung gesetzt worden. Die SRS bildet mit 81 Sitzen die größte Fraktion im serbischen Parlament. Mit den 47 Sitzen der DSS und den 16 Abgeordneten der SPS hätten die drei Parteien eine komfortable Mehrheit von 144 Sitzen im 250-köpfigen Parlament und könnten mit einem konstruktiven Misstrauensvotum eine neue nationalistische Regierung absegnen, ohne dass vorgezogene Neuwahlen notwendig wären.
Infokasten
Über Neuwahlen entscheidet der PräsidentEs liegt in der Kompetenz des serbischen Staatspräsidenten, das Parlament aufzulösen und damit den Weg für vorgezogene Neuwahlen freizumachen. Ähnlich wie in Deutschland geschieht dies auf Antrag des Premierministers, der dem Präsidenten begründen muss, warum seine Regierung nicht mehr auf die Unterstützung der Parlamentsmehrheit zählen kann.
Staatspräsident und DS-Chef Boris Tadic kritisierte die Resolution der Radikalen scharf. Sie habe "nicht das Ziel, die territoriale Integrität Serbiens zu schützen, sondern die Verhandlungen über eine EU-Mitgliedschaft zu stoppen", sagte Tadic der Belgrader Wochenzeitschrift "Vreme". Die EU könne die gestellten Bedingungen gar nicht erfüllen. Die DS werde eine solche Politik nicht mittragen. Falls die Abgeordneten die Außenpolitik der Regierung und damit auch den Weg der europäischen Integration nicht unterstützten, "dann können sie entweder eine neue parlamentarische Mehrheit bilden, oder wir werden Neuwahlen haben", sagte der Staatschef. Parlamentspräsident Dulic warnte gegenüber dem Sender B92, es sei unhaltbar, wenn im Parlament andere Mehrheitsverhältnisse herrschten als in der Regierung.
In dem von DSS-Chef Kostunica geführten 25-köpfigen Kabinett verfügen die pro-europäischen Minister von Tadics DS (12 Ressorts) und der G17plus (5) über eine klare Mehrheit. Der Ultranationalist und Radikalen-Fraktionschef Tomislav Nikolic, der bei der Präsidenten-Stichwahl vor einem Monat nach einem anti-europäischen Wahlkampf Amtsinhaber Tadic unterlegen war, wollte die Aufregung um die Resolution nicht verstehen. Sie sei doch überhaupt nicht gegen die EU gerichtet, sagte er. Es werde darin "nur eine kleine Bedingung" gestellt. Derweil regte Kostunicas DSS an, ein Referendum über die Frage abzuhalten, ob Serbien nur mit Kosovo als integralem Bestandteil der EU beitrete - oder auch ohne. Sowohl Nikolic wie auch Dulic signalisierten bereits Zustimmung für diese Idee. Dulic sprach sich aber gleichzeitig für vorgezogene Parlamentswahlen aus.
DSS-Fraktionsschef Milos Aligrudic will davon allerdings nichts wissen. Dazu hat er auch guten Grund. Denn gemäß der jüngsten Umfrage der Agentur Medium Gallup müsste die DSS mit massiven Verlusten rechnen, falls jetzt neu gewählt würde. Während sie bei den Parlamentswahlen im Januar 2007 noch 17 Prozent erreichte, wären es heute nur noch 10 Prozent. Am meisten von Neuwahlen profitieren würde die bereits jetzt stärkste Partei im Parlament, die europafeindliche SRS, die neu auf 39 Prozent käme (2007: 30 Prozent). Doch auch die Pro-Europäer dürften auf Zugewinne hoffen: Tadics DS und G17plus würden laut Gallup zusammen 38 Prozent erreichen. 2007 waren es noch 30 Prozent gewesen.