Russland

In Moskau wird der Dollar knapp

Viele Russen befürchten eine Finanzkrise - obwohl der Rubel so stark ist wie nie zuvor(n-ost) - In der Wechselstube an der Moskauer Metrostation Tagansakaja werden die Dollars knapp: "Da müssen Sie schon früher kommen", weist die Dame hinter der Scheibe die zur Mittagszeit kommenden Kunden zurecht. Erstmals seit Monaten tauschen Russen wieder Rubel gegen Dollar und Euro ein. Die Medien berichten von Schlangen vor der Sberbank, der Sparkasse Russlands. Für Roland Götz ist das zwar verständlich, ökonomisch aber eigentlich irrational: "Man würde erwarten, dass die Menschen ihr Geld in Rubel anlegen", sagt der Russlandspezialist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. "Der Rubel wird gegenüber dem Dollar immer stärker - und zwar trotz Inflation." Ende Februar bekam man für 100 Rubel knapp 4,10 US-Dollar. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren es nur 3,80 und vor zwei Jahren sogar nur etwas mehr als 3,50 US-Dollar.Trotzdem trauen die Russen ihrer Währung offenbar nicht über den Weg. Es liegt etwas in der Luft. Viele Menschen fürchten, die amerikanische Finanzkrise könnte auch auf Russland übergreifen und die Währung aufweichen. In Moskau überschlugen sich Mitte Februar die Spekulationen, die erste Amtshandlung des nächsten Präsidenten könne eine Währungsumstellung sein und den Hundert-Rubel-Schein zu einer Ein-Rubel-Münze machen. Ein weiterer Grund für die Verunsicherung ist die Inflation, die bereits im vergangenen Jahr auf knapp zwölf Prozent anstieg und weiter anhält. Jeder Russe bekommt diesen Preisauftrieb Tag für Tag zu spüren - beim Einkauf auf dem Markt, an der Tankstelle und bei der Stromrechnung. Wenn rundherum alles teurer wird, entsteht leicht der Eindruck, das Geld sei nichts mehr wert  - und diese Erfahrung kennen die Russen seit der Finanzkrise 1998 nur allzu gut. Dabei lief noch vor einem knappen Jahr alles bestens für den Rubel: Der Dollar, den sich viele Russen als sichere Bank in Sparstrümpfe und Kissen eingenäht hatten, galt plötzlich als unsicherer Kantonist. Ausländer, die in Moskau lebten, merkten das unter anderem daran, dass Wohnungseigentümer die Miete nunmehr in Rubel verlangten. Im Grunde genommen habe sich an diesen Voraussetzungen nichts geändert, meint Götz: "Von einer Währungskrise wie 1998 kann überhaupt gar keine Rede sein. Man könnte im Gegenteil sagen, der Rubel ist zu stark für die russische Wirtschaft geworden."Fachleute sehen gerade darin ein Problem für die Diversifizierung, also die Stärkung russischer Industriezweige außerhalb des Rohstoffsektors. Russland exportiert Öl, Gas und Metalle im großen Umfang, es erzielt gewaltige Außenhandelsüberschüsse, die die Währung des Landes aufwerten. Was gut fürs Rohstoffgeschäft ist, ist nicht unbedingt gut für die verarbeitenden Industrien und ihre Exportaussichten: "Ein starker Rubel begünstigt die Importeure und er ist schlecht für Exporteure", sagt Götz. Wegen des starken Rubels verspricht es zum Beispiel mehr Gewinn, eine Waschmaschine einzuführen, statt zu Hause in eine Fabrik zu investieren und Waschmaschinen ins Ausland zu verkaufen. Ein eindrückliches Bild davon vermitteln Elektronikmärkte, die rund um russische Großstädte seit Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen: Nach einheimischen Fabrikaten muss man hier mit der Lupe suchen. Russlands Rohstoffsegen ist ein Hemmschuh für die Entwicklung anderer Wirtschaftszweige. Doch das ist nicht das einzige Problem. Der Rohstoffexport spült mehr Geld ins Land, als die russische Volkswirtschaft verdauen kann. Werden diese Petrodollars nicht im Stabilisierungsfonds neutralisiert oder im Ausland investiert und gelangen stattdessen in Umlauf, dann hat das Folgen: Die Geldmenge erhöht sich, das Inflationsrisiko steigt. "Die russische Geldpolitik ist in einer Zwickmühle", sagt Götz. "Einerseits muss sie die Inflation drücken, andererseits die reale Aufwertung des Rubels abbremsen. Beides lässt sich kaum vereinbaren." Für Anatoli Tschubais steht fest: Die russische Regierung betreibt eine falsche Haushaltspolitik. "Russland steht am Rand einer Wirtschaftskrise", meint der Reformpolitiker aus der Ära Jelzins. Der Kreml habe das Füllhorn weit geöffnet und heize die Inflation mit großzügigen Versprechen auf Renten- und Lohnerhöhungen zusätzlich an, sagte der Chef des Stromkonzerns EES in einem Interview der russischen Zeitung "The New Times" Mitte Februar. Eine abkühlende Weltwirtschaft könne die Rohstoffpreise unversehens in den Keller rutschen lassen - und damit Russland vor gewaltige Probleme stellen. "Früher, als der Markt vor Geld überquoll, konnten wir uns erlauben zu sagen: Zur Hölle mit dem Westen. In unserem neuen Leben aber wird alles sehr viel schwieriger." Für den liberalen Tschubais, der sich nach Meinung vieler Beobachter für ein politisches Amt ins Gespräch bringen möchte, liegt die Lösung auf der Hand. Man solle verstärkt ausländische Investitionen ins Land holen, statt Anleger mit markigen Sprüchen zu vergraulen. "Wir sollten wirklich darüber nachdenken, wie viel unsere Außenpolitik die Wirtschaft kostet", sagte er. Auch im Kreml hat man bemerkt, dass nicht alles nach Plan läuft. Putin und sein wahrscheinlicher Nachfolger Dimitri Medwedew versuchen mit Preisbindungen für Grundnahrungsmittel die Gemüter zu beruhigen. Sie haben auch allen Grund dazu: Nach einer Umfrage des Lewada-Zentrums und der Meinungsforscher von WZIOM ist für 80 Prozent der Russen nichts beunruhigender als der Preisanstieg - noch weit vor den Problemen Armut, soziale Spaltung und medizinische Versorgung. Die Inflation kletterte in den ersten vier Wochen des neuen Jahres bereits auf 2,3 Prozent, der Abfluss ausländischen Kapitals stieg in der gleichen Zeit mit etwa neun Milliarden US-Dollar erstmals seit zwei Jahren wieder an. Im Falle einer Krise dürften ausländische Anleger ihr Kapital erst recht vom russischen Markt abziehen - um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. In diesem Punkt reagieren sie nicht anders als die Russen in der Wechselstube. Es gibt jedoch noch eine andere Lesart, vorausgesetzt der Ölpreis sinkt nicht ins Bodenlose. Der Nachteil der einseitigen russischen Exportstruktur und ihrer Ausrichtung auf Europa könnten sich bei einer drohenden Flaute auf dem amerikanischen Markt als Vorteil entpuppen. Das meint zumindest Padma Desai, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Columbia Universität in New York, die in den neunziger Jahren das russische Finanzministerium beraten hat. Drei Prozent des russischen Exports entfielen auf die USA, sagte Desai auf einer Moskauer Konferenz Ende Januar. "Im Vergleich zu Chinas Exporten ist das eine sehr geringe Zahl." ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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