Serbien

Isoliert sich Serbien selbst?

Die serbische Führung streitet über den Umgang mit den Staaten, die die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt haben. Dazu gehören neben den USA auch Deutschland, Österreich und andere EU-Staaten. Die Schweiz wollte das Kosovo am Mittwoch ebenfalls anerkennen. Schon wenige Tage nach der Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner zeigt sich, dass Serbien kaum Spielraum hat, darauf zu reagieren. Der Gouverneur der serbischen Nationalbank warnt vor den negativen Konsequenzen, falls sich das Land selbst isoliere.

Obwohl sich alle in der Belgrader Regierung vertretenen Parteien in der Ablehnung eines kosovarischen Staates einig sind, wollen die Minister der prowestlichen Demokratischen Partei (DS) von Staatspräsident Boris Tadic jede weitere internationale Zuspitzung der Lage verhindern. Premierminister Vojislav Kostunica, Chef der nationalistisch-konservativen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) hat gedroht, es werde keine Normalisierung der Beziehungen mit jenen Staaten geben, die das Kosovo anerkannt haben.Vizeministerpräsident Bozidar Djelic (DS) kritisierte Kostunica dagegen scharf und sagte, dies sei nicht die offizielle Haltung der serbischen Regierung: "Selbstisolierung ist keine gute Entscheidung und bringt den Bürgern nichts Gutes". Seine Partei werde einer solchen Politik niemals zustimmen. Viele Beobachter in Belgrad rechnen damit, dass die serbische Regierung schon bald auseinander brechen könnte.

Auch Nationalbank-Chef Radovan Jelasic warnte vor überhasteten Reaktionen. Er kritisierte den Aufruf aus Kostunicas DSS, ausländische Banken und Firmen zu boykottieren: "Serbien verdankt seinen derzeitigen Lebensstandard größtenteils direkten Auslandsinvestitionen und den Möglichkeiten der Auslandsverschuldung", sagte Jelasic, der mehrere Jahre für die Deutsche Bank gearbeitet hatte. Deswegen würden heute die Renten rechtzeitig ausbezahlt, es gebe neue Arbeitsplätze im Bankenbereich, und die Menschen könnten Hypothekar-Kredite aufnehmen. Sollte es zu einer Reduktion der Auslandsinvestitionen kommen, mahnte der Nationalbank-Gouverneur, "müssen die Bürger und die Wirtschaft Serbiens dafür die Rechnung bezahlen".

Die TV-Bilder von brennenden Botschaften und zerstörten Geschäften in Belgrad von letzter Woche haben dem Image Serbiens im Ausland massiven Schaden zugefügt. Im Anschluss an eine Großdemonstration gegen die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo waren bei Angriffen auf verschiedene diplomatische Vertretungen ein Mensch getötet und mehr als 200 verletzt worden. Auch ausländische Banken waren demoliert worden. Es mutete schon fast ironisch an, als der Nachrichtensender "Euronews" vor einigen Tagen die Verwüstungen in Serbiens Hauptstadt zeigte, um nur ein paar Minuten später einen Werbespot für Auslandsinvestitionen in Serbien zu schalten. Trotz der Haltung Kostunicas sagte DSS-Sprecher Andreja Mladenovic, es gebe keinen Grund zur Besorgnis für Investoren. Sein Land achte das internationale Recht, alle Botschaften und ausländischen Firmen in Serbien würden ausreichend geschützt. Zudem versicherte er: "Serbien wird die Wirtschaftsbeziehungen zu keinem einzigen Land abbrechen". Ob die Worte Mladenovics die Auslandsinvestoren wirklich beruhigen, ist allerdings fraglich. Denn es war ebenfalls Mladenovic, der letzte Woche zwar die Zerstörungen in der Stadt verurteilt, aber gleichzeitig Verständnis für die Ausschreitungen gezeigt hatte, als er sagte: "Jeder normale Mensch weiß, dass der Grund dafür die unerhörte Gewalt ist, die die Weltmächte gegenüber Serbien ausüben.

"DSS-Sprecher Mladenovic ist nicht allein mit seiner Nachsicht gegenüber Gewalt. Als letzte Woche wütende Kosovo-Serben zwei Grenzübergänge zwischen Kosovo und Serbien niederbrannten, billigte Kosovo-Minister Slobodan Samardzic, ebenfalls DSS, dies ausdrücklich. Die Brandanschläge bezeichnete er als "nicht schön, aber legitim". Denn es dürfe keine Grenzübergänge zwischen Serbien und dem Kosovo geben. Und Verkehrsminister Velimir Ilic, der mit Unterstützung von Regierungschef Kostunica für das Amt des Staatspräsidenten kandidiert hatte, reagierte auf frühere Angriffe auf die US-amerikanische und die slowenische Botschaft in Belgrad mit den Worten: "Sie haben unser Land zerschlagen - und wir haben nur ein paar ihrer Fensterscheiben zerschlagen. Sie müssen das akzeptieren. Das Zertrümmern von Fensterschreiben ist auch Demokratie.

"Serbiens engster Bündnispartner Russland hatte die Ausschreitungen in Belgrad ebenfalls kritisiert. Dennoch sicherte der russische Vizepremier Dmitrij Medwedew bei einem Besuch in Belgrad Serbien seine volle Unterstützung in der Kosovo-Politik zu. Doch mehr als die bekannten Positionen Moskaus hatte Medwedew, der am Sonntag höchstwahrscheinlich zum neuen Präsidenten Russlands gewählt wird, nicht im Gepäck. Er sagte lediglich, die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos verletzte das internationale Sicherheits- und Rechtssystem, "das die Menschheit in den letzten 100 Jahren aufgebaut hat." Doch ungeachtet der Freundschaftsbeteuerungen Medwedews, der Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Erdgasmonopolisten Gazprom ist, erhöhte Russland die Preise für Gaslieferungen an Serbien letzte Woche um satte 30 Prozent. Dmitrij Rogosin, Moskaus ständiger Vertreter bei der Nato, machte zudem klar, dass Russland in der Kosovo-Frage "niemals" Waffengewalt anwenden werde. Auch Serbien hatte dies stets ausgeschlossen.

Als einzige bislang wahrnehmbare Reaktion auf die Ausrufung der Unabhängigkeit Kosovos durch das Parlament in Prishtina hat Serbien seine Botschafter aus jenen Ländern abgezogen, die den neuen Staat anerkannten. Dazu gehört auch Deutschland. Am Dienstag kam als 19. Land Polen hinzu. Die Schweiz wollte noch am Mittwoch folgen. Eine befürchtete Wirtschaftsblockade gegenüber dem Kosovo oder die Schließung der serbisch-kosovarischen Grenzübergänge ist ausgeblieben. Belgrad dürfte klar geworden sein, dass dadurch nicht nur die eigene Wirtschaft einen Markt verlöre, sondern dass durch eine Grenzblockade vor allem das mehrheitlich von Serben bewohnte Gebiet in Nordkosovo in Mitleidenschaft gezogen würde. Als nach der Zerstörung von zwei Grenzposten die Übergänge für 24 Stunden geschlossen blieben, waren es zuallererst die Kosovo-Serben, die sich über ausbleibende Milchlieferungen beschwert hatten.

Bulgarische Transportunternehmer kündigten nach Angaben des Belgrader Senders B92 an, in Zukunft ihre Warenlieferungen von und nach Westeuropa aus Sicherheitsgründen nicht mehr über serbisches Territorium abzuwickeln, sondern eine Ausweichroute über Rumänien zu wählen. Bulgarien hatte angedeutet, Kosovo als Staat anzuerkennen. Dadurch entgehen Serbien lukrative Einnahmen durch Straßenbenutzungs-Gebühren und den Verkauf von Treibstoff. Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic will der Regierung vorschlagen, dass Serbien in Zukunft nicht mehr wie bis jetzt für die Auslandsschulden des Kosovo in der Höhe von rund 100 bis 150 Millionen US-Dollar aufkommen solle. Prishtina dürfte sich daran kaum stören. Die kosovarische Regierung könnte dies sogar als Anerkennung der neuen Situation durch Belgrad deuten.

Dinkic wies eine solche Interpretation allerdings von sich. Vielmehr sagte er, das eingesparte Geld werde jetzt für die Unterstützung der im Kosovo lebenden Serben verwendet. Damit nimmt die bislang geheim gehaltene Strategie Serbiens nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos immer klarere Formen an. Durch verstärkte Investitionen und Subventionierungen in den serbisch besiedelten Gebieten Kosovos sollen einerseits die dort lebenden Serben zum Bleiben bewegt werden. Andererseits will Belgrad in Kosovo seine eigenen Institutionen aufbauen und die vielerorts bereits bestehenden Parallelstrukturen stärken, um so die Menschen an sich zu binden und den Einfluss im Kosovo zu vergrößern. "Es ist notwendig, in möglichst kurzer Zeit die wirtschaftliche Souveränität auf demjenigen Territorium Kosovos, wo Serben leben, herzustellen", sagte Dinkic. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die noch immer vor Ort präsente, aber durch die Uneinigkeit der Weltgemeinschaft zusehends geschwächte Uno-Übergangsverwaltung Unmik dies tolerieren wird. Der serbische Bildungsminister Zoran Loncar versprach den Serben, die die Schule im Kosovo nach serbischen Lehrplänen besuchen, finanzielle Unterstützung.


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