Russland

Junge Russen wählen Stabilität

Die "Generation Putin" ist meist zufrieden mit der Politik der vergangenen acht JahreJewgenij Mayer will am 2. März sein Kreuzchen für Dmitrij Medwedew machen. "Es gibt ohnehin keine andere Wahl", sagt der 26-Jährige mit dem bubenhaften Gesicht. Bereits vor vier Jahren habe er sich für Wladimir Putin entschieden und im Dezember die Partei "Einiges Russland" gewählt, erklärt der junge Mann mit deutschen Vorfahren. "Wenn ich die Kandidatenliste sehe, gibt es keinen Zweifel, für wen ich stimmen soll."Er würde den scheidenden Präsidenten noch einmal wählen, wenn dies ginge. So wird Schenja, wie ihn seine Freunde nennen, eben für dessen Kronprinzen stimmen. Er hat gute Gründe, die russische Politik der vergangenen acht Jahre weiter zu unterstützen: "Unser Land ist mit Putin aufgestiegen", sagt Schenja. Davon hat der junge Mann auch persönlich profitiert. Als Putin Chef im Kreml wurde, begann Schenja gerade sein Wirtschaftsstudium. Seit knapp drei Jahren arbeitet er als Internet-Projekt-Manager bei einem Moskauer Immobilienmakler. Dort ist er verantwortlich für zwei Programmierer und einen Webdesigner.Mit Ehefrau Anastassija oder Nastja, wie er sie nennt, führt Schenja ein Mittelklasse-Leben. Das Paar lebt in einer renovierten Zweizimmerwohnung im Südwesten der Hauptstadt. Nastja studiert und arbeitet an einer historischen Fakultät. Wie viel er genau verdient, das möchte Schenja nicht verraten. Doch gibt er zu verstehen: "Ich kann mir ein Auto leisten. Ich kann regelmäßig Kleidung kaufen und mehrmals im Jahr in Urlaub fahren: nach Frankreich, Deutschland oder in die Türkei."Ein bisschen wohlhabender ging es bei seiner Familie schon früher zu, in Schenjas Geburtsstadt Selenograd unweit von Moskau. Sein Großvater war Leiter des örtlichen Parteikomitees, deshalb durfte die Familie auf 100 Quadratmetern leben. Schenja erinnert sich an eine "glückliche Kindheit". Zur Sowjetunion fällt ihm sonst nicht viel mehr ein. Nur, dass sein Opa nach der Wende die Sowjetunion das "Paradies auf Erden" nannte. Schenja ist 1981 geboren, wenige Jahre bevor Michail Gorbatschow an die Spitze der Sowjetunion rückte. Wenige Jahre vor Glasnost und Perestrojka.Schenja gehört zu einer Generation junger Russen, die in einem neuen, postsowjetischen Russland aufwuchs. Viele seiner Altersgenossen unterstützen die Politik der vergangenen acht Jahre - und wünschen sich eine Fortsetzung des politischen Kurses. Medien nennen die jungen Russen - aus den Jahrgängen von 1976 bis 1991 - gerne "Generation Putin" oder "Generation Perestrojka".Larissa Pautowa zählt Schenja zur "Generation Stabilität". Für die Soziologin von der "Stiftung Öffentliche Meinung" (FOM) sind dies alle, die zwischen 1980 und 1990 geboren wurden. Davor spricht sie von der "Generation Krise" und der "Generation Perestrojka", die für sie schon ab 1965 beginnt.Was alle diese Generationen verbinde, sei der Wunsch nach Stabilität, sagt Pautowa. Wer zur "Generation Perestrojka" zähle, erinnere sich noch gut an die Wirren der Neunziger, besonders an das Krisenjahr 1998. Sie schätzen die Stabilität, die Putin erreicht hat, und ziehen Vergleiche mit den Jelzin-Jahren. "Sie sind zufriedener mit der heutigen Situation", so die Soziologin. Die ihnen folgende "Generation Krise" erinnere sich nicht an die Sowjetunion, sondern an die chaotischen Folgejahre im jungen Russland. Die "Generation Stabilität" habe die höchsten Ansprüche. Denn: "Stabilität ist für sie normal.""Viele junge Russen sind zufrieden mit der Politik", erklärt Pautowa. Das belegen auch Umfragen des Lewada-Zentrums. Junge Russen sehen die aktuelle Entwicklung positiver als Ältere, erläutert Meinungsforscher Daniel Wolkow. Die Frage, ob Russland sich in die richtige Richtung entwickele, bejahten 63 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, von den 25- bis 39-Jährigen stimmten 66 Prozent zu. Aber nur jeder zweite Russe über 55 ist gleicher Meinung. Der Noch-Präsident erreicht Zustimmungswerte von 85 bis 89 Prozent. Die positive Einstellung liege an der momentan guten Situation, sagt Wolkow. Neben der wirtschaftlichen Entwicklung gefällt vielen Putins Ideologie. Die Rückkehr auf die politische Weltbühne komme besonders bei sehr jungen Russen gut an, so Maria Lipman, die sich beim Moskauer Carnegie Center mit Gesellschaftsfragen befasst.Viele junge Russen werden Putins Wunschnachfolger Medwedew wählen, von dem sie erwarten, dass er die Politik seines Vorgängers fortsetzt. Darin unterscheiden sich Jungwähler kaum von älteren, erläutert Pautowa. Denn: "Er garantiert in ihren Augen Stabilität." Als die Lewada-Forscher nach Medwedews bester Eigenschaft fragten, war " seine Nähe zu Putin" die häufigste Antwort. "Die meisten hoffen, dass sich mit Medwedew die wirtschaftliche und politische Lage nicht verändert", sagt Wolkow. In Moskau sei die Zustimmung für Putins Kurs besonders hoch. Vom Wirtschaftsaufschwung der zurückliegenden Jahre konnten vor allem junge Russen in den großen Städten profitieren. Eine Kollegin habe vor acht Jahren 400 Dollar pro Monat verdient, rechnet Schenja vor. Heute erhalte sie 2 500 Dollar. Auch wer von ihnen kein bekennender Putin-Fan ist und beispielsweise Demokratiedefizite kritisiert, zeigt Anerkennung für seine wirtschaftlichen Erfolge. In ländlichen Gegenden wollen hingegen auch viele junge Russen für Wladimir Schirinowski stimmen, sagt Wolkow, "aus Protest". Andere hoffen, dass unter Medwedew der wirtschaftliche Aufschwung nach den Städten auch die Provinzen erreicht.Welche Politik die "Generation Putin" später einmal selbst gestalten wird, ist unklar. "Mitte der 90er Jahre gingen viele im Westen davon aus, dass die ältere Sowjetgeneration bald von einer jüngeren pro-westlichen und pro-demokratischen Generation ersetzt werden würde", schreiben die US-Wissenschaftler Sarah E. Mendelson und Theodore P. Gerber in einem Fachartikel, der vorab in der "Welt" erschien. Mehr Demokratie müsse jedoch das Volk verlangen, sagt Maria Lipman. Dies sei nicht der Fall. Junge seien da nicht aktiver als die älteren Russen. "Für die nächsten 20 Jahre ist in Russland keine Vorhersage zu treffen."Die Politikverdrossenheit ist groß. Der Soziologe Michail Gorschkow von der Akademie der Wissenschaften belegt in einer Untersuchung, dass jeder zweite Jugendliche sich nicht für Politik interessiert, mehr als vor zehn Jahren. Lediglich 14 Prozent gaben an, das politische Geschehen aufmerksam zu verfolgen. Jüngere FOM-Umfragen kommen auf 34 Prozent Interesse für Politik unter den 16- bis 25-Jährigen. Pautowa, selbst aus der "Generation Perestrojka", findet das geringe Interesse ihrer Landsleute "traurig": Sie meint, die Jugend müsse protestieren. Doch junge Russen seien daran nicht interessiert; eine "orange" Revolution wie in der Ukraine sei von jungen Russen nicht zu erwarten. Gerade mal ein Prozent, so Pautowa weiter, beteilige sich an politischen Aktionen. Zwei Prozent seien Mitglied einer Partei. Und selbst wer der putinnahen Jugendorganisation "Naschi" beitritt, sei meist nicht politisch motiviert, so Lewada-Experte Wolkow. Viel eher gefalle ihnen die Gruppendynamik.Statt Politik zählen andere Werte, erklärt Pautowa. An oberster Stelle stehen Familie und Heirat, gefolgt von Liebe und Freundschaft, dann erst kommen Erfolg, Karriere und Geld. Das sieht übrigens auch Schenja nicht anders: Die Familie stehe an erster Stelle, sagt er. "Und Kinder."ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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