Russland

Die mystischen Regeln der russischen Thronfolge

Wenn am Sonntag in Russland ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird, so sind dabei neben der russischen Verfassung auch einige ungeschriebene Gesetze zu beachten, die für die Rekrutierung russischen Herrscherpersonals gelten.1. Das bekannteste ungeschriebene Gesetz lautet im Volksmund "Gesetz des Aufeinanderfolgens von Glatzköpfen und Behaarten":Ein Staatsoberhaupt mit Haarpracht wird in Russland grundsätzlich von einem Staatsoberhaupt mit Neigung zur Glatze abgelöst - und umgekehrt. Der "Glatzkopf" muss nicht unbedingt 100-prozentig kahlköpfig sein, es gilt die Tendenz dazu. Dieses Gesetz scheint auch unabhängig davon zu funktionieren, ob der Staatschef wie Lenin die Macht durch einen Staatsstreich an sich gerissen hat oder wie Jelzin auf dem demokratischen Weg in den Kreml einzog. Das Prinzip gilt bereits seit 180 Jahren - seit der Regierungszeit des Zaren Nikolaus I. (1825-1855) - und hat bisher reibungslos funktioniert. Die russischsprachige Wikipedia hat diesem Gesetz sogar einen Artikel mit Porträts und Fotos russischer Machthaber der letzten 180 Jahre gewidmet. Auch der russische Duma-Abgeordnete, Wladimir Ryschkow, fand es notwendig, sich zu dieser mystischen Regel im Februar 2007 zu äußern: "Es gibt eine populäre Volkstheorie, dass unsere politischen Führer sich nach dem Prinzip "Glatzkopf-Behaarter" bzw. "Behaarter-Glatzkopf" abwechseln, was auch die Geschichte des 20. Jahrhunderts ja bestätigt. Ich denke allerdings, dass dies eine etwas oberflächliche Sichtweise der russischen Geschichte ist". Auch der Leiter des Moskauer Instituts für Wirtschaftsanalysen, Andrej Illarionow, erwähnte dieses Gesetz in seinem scherzhaft-ernsten Artikel "Ironie des Schicksals", welcher in der russischen Zeitschrift "Wlast" (Macht) im Januar 2008 erschienen ist. 2. Es gibt weitere ungeschriebene Regeln, die auch eine gewisse Gültigkeit in der russischen Machtpolitik seit 1917 beanspruchen. Wie zum Beispiel die "Regel der Nachnamenlänge":Je länger der Nachname des Staatsoberhauptes, desto kürzer seine Regierungszeit. Es gilt dabei die Silbenzahl. Auch dieses Gesetz hat mindestens seit 1917 reibungslos funktioniert. Besonders lang waren die Regierungszeiten der zweisilbigen Staatschefs Lenin, Stalin, Chruschtschow, Breschnew, Jelzin und Putin: von sieben Jahren bei Lenin von bis zu 29 Jahren bei Stalin. Offensichtlich ist die Zweisilbigkeit optimal. Noch kürzere Namen bringen ihren Trägern keine politische Langlebigkeit: Der kaum bekannt Chef der russischen provisorischen Regierung, Fürst Georgi Lwow,  behielt sein Amt lediglich sechs Monate - von März bis Juli 1917. Die Regierungszeiten von Staatschefs mit längeren Namen, wie zum Beispiel Kerenski, Andropow, Tschernenko und Gorbatschow liegen zwischen wenigen Monaten (Kerenski) bis höchstens sechs Jahre (Gorbatschow). Es ist unbekannt, ob Lenin und Stalin von der Wirkung dieser "Regel" etwas gewusst oder sie zumindest geahnt haben. Auf jeden Fall haben die beiden ihre angestammten langen Familiennamen durch ihre Pseudonyme deutlich verkürzt: Von Uljanow zu Lenin und von Dschugaschwili zu Stalin. 3. Eine weitere Regel - bekannt als "Nicht-Hauptstadt-Herkunft-Regel" - besagt: Kein russisches Staatsoberhaupt der letzten 90 Jahre wurde in Moskau geboren. Hier gibt es nicht viel hinzuzufügen, es ist nun wirklich eine Tatsache.4. Und eine letzte Regel lautet: Pechvögel mit "-ki"-Endungen kommen zwar oft nahe an die Macht, werden aber nie Staatschefs - oder höchstens für wenige Monate (Kerenski). Auf dieser langen Liste stehen Namen wie Dscherschinski, Tuchatschewski, Jawlinski, Schirinowski, Beresowski, Gusinski und Chodorkowski.
 
Wenn man nun die Chancen der russischen Präsidentschaftskandidaten des aktuellen Wahlkampfs im Sinne dieser Gesetze und Regeln einschätzt, wird Wladimir Putin als Staatschef am Ende von einem Politiker abgelöst, der über anständige Kopfbehaarung verfügt, nicht in Moskau geboren wurde und dessen Name nicht auf "-ki" endet. Von den insgesamt vier Präsidentschaftskandidaten sind daher drei auszuschließen: Der Kandidat der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, fällt wegen seiner Glatze weg, der Moskauer Andrej Bogdanow wegen seiner Hauptstadt-Herkunft und Wladimir Schirinowski wegen seiner "-ki" Endung. Es bleibt also nur Dmitri Medwedew übrig, der in aktuellen Umfragen auch auf bis zu 70 Prozent der Stimmen kommt. Eine lange Präsidentschaft wird ihm aber aufgrund seines dreisilbigen Nachnamens nicht beschieden sein, es sei denn, er sucht sich einen zweisilbigen Künstlernamen wie Lenin und Stalin.Womöglich werden in Russland aber bald neue Gesetze und Regeln entdeckt. Vorzuschlagen wäre eine Analyse der Bedeutungen von Politikernamen. Denn der Name "Putin" leitet sich vom russischen Wort "put`" (Weg) ab. Und der Name Medwedew stammt von "medwed`" (Bär): ein altes und bekanntes Symbol für Russland.EndeNachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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