Gasprom ist nicht Coca-Cola
Interview zu Russlands Energiegiganten: "Ich glaube nicht, dass der Kreml Gasprom vollkommen kontrolliert."Für ihr Buch "Gasprom - das Geschäft mit der Macht" sind die beiden Journalisten Waleri Panjuschkin und Michail Sygar tief in das Geflecht der Pipelines und Firmenbeteiligungen vorgedrungen und haben Überraschendes zu Tage gefördert: Der Konzern ist zwar eine außenpolitische Waffe des Kreml, im "Gasprom-Land" herrschen jedoch oft eigene Gesetze. n-ost sprach mit Panjuschkin über den Einfluss des Kremls, den deutschen Ex-Kanzler und die Frage, ob Gasprom ein Modell für Russland ist. Frage: Wie tief lässt sich Gasprom in die Karten schauen?Panjuschkin: Der Konzern gab sich viel gesprächiger und professioneller, als wir anfangs angenommen hatten. Wir konnten mit Spitzenmanagern sprechen, meistens ohne die sonst übliche Autorisierung der Interviews. Man hat uns zu entlegensten Förderprojekten gebracht, wir sind bis auf die Halbinsel Jamal nördlich des Polarkreises geflogen. Natürlich war uns immer bewusst, dass sich Gasprom in ein günstiges Licht rücken will. Frage: Und wie erklären Sie sich diese Offenheit? Panjuschkin: Gasprom muss in seine gigantischen Förderprojekte investieren, und das geht besser, wenn sich der Konzern den internationalen Standards anpasst. Das Management würde wahrscheinlich sogar ausländische Investoren ins Boot holen, wenn man es denn ließe. Gasprom ist nur so transparent, wie es der Kreml erlaubt. Frage: Sie beschreiben Gasprom nicht nur als Waffe in der Hand des Kremls, sondern auch als einen Staat im Staate mit eigenen Zeitungen, Banken, Kindergärten und eigener Polizei. Hat der Kreml Gasprom unter Kontrolle? Panjuschkin: Ich glaube nicht, jedenfalls nicht vollkommen. Gasprom lässt sich mit den spanischen Eroberern vergleichen: Sie hatten den Auftrag, für das spanischen Königshaus Gold in den Provinzen zu schürfen. Der Auftrag war offiziell, aber auf dem Ozean und in den Provinzen arbeiteten sie auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko. Klar, der Kreml will Gasprom für seine politischen Ziele einspannen und er tut das auch. Aber Gasprom ist eben auch ein gewinnorientiertes Unternehmen. Beide Seiten sind voneinander abhängig: Hätte Gasprom nicht das Leitungsmonopol, dann müsste der Kreml sicherlich auf sein politisches Monopol verzichten. Frage: Nach dem Ende der Sowjetunion wurden alle großen Staatskonzerne privatisiert. Warum blieb ausgerechnet Gasprom Monopolist?
Panjuschkin: Erdöl kann man notfalls in Eimer füllen und dann zum Markt tragen. Das ist bei Erdgas nicht möglich. Natürlich ließe sich das System mit seinen zwölf Ferngasleitungen vom Fördergeschäft trennen, das ist zumindest denkbar. Aber nicht mal die Reformer der Jelzin-Jahre haben ernsthaft darüber nachgedacht. Das hätte der damalige Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin und frühere Gaspromchef sicherlich auch zu verhindern gewusst. Nur mit dem Leitungsmonopol konnte Tschernomyrdin Anfang der neunziger Jahre dieses monströse sowjetische Gasministerium in einen gewinnorientierten Konzern umwandeln. Frage: Burckhard Bergmann, der für E.ON als einziger Ausländer im Aufsichtsrat bei Gasprom sitzt, sagt in Ihrem Buch, dass es besser wäre, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Warum betreibt der Konzern Medien, Banken, Kraftwerke und Fluglinien, anstatt mehr in neue Förderprojekte oder ins Leitungsnetz zu investieren? Panjuschkin: Im Verhältnis zu dem, was der Konzern im Gasgeschäft umsetzt, fällt das gar nicht so sehr ins Gewicht. Der Konzern bestand schon unter Tschernomyrdin aus einem riesigen Geflecht von Tochterfirmen und Beteiligungen und es ist ja nicht so, dass das ein Zuschussgeschäft wäre. Frage: Gasprom-Media hat Mehrheitsanteile am kritischen Radiosender"Echo Moskwy" und über den Chef der Investmentsparte Alischer Usmanow auch Einfluss auf die liberale Zeitung "Kommersant". Haben Sie eine Erklärung dafür?Panjuschkin: Der Einfluss von Gasprom auf den "Kommersant" ist nicht besonders groß. Usmanow spielt da eher sein eigenes Spiel. Ansonsten hat Gasprom-Media die Rollen verteilt: Der Fernsehsender NTW ist der wohlerzogene Sohn und Echo Moskwy ist der Halbwüchsige, der auch über die Stränge schlagen darf. Frage: Ist Gasprom mit seiner straffen Organisation und großzügigen Sozialleistungen ein Modell für Russland? Panjuschkin: Gasprom ist kein Modell für Russland, genauso wenig wie Coca-Cola eins für Amerika ist. Außerdem hinkt der Vergleich: Schlechten Mitarbeitern kann man kündigen, bei schlechten Bürgern geht das nicht. Ich möchte jedenfalls nicht in einem Staat leben, der das Leben bis in die Freizeit hinein reglementiert, so wie Gasprom das bei seinen Leuten macht. Viele Russen wollen jemanden, der für sie entscheidet und ihr Leben organisiert, insofern ist der Konzern zumindest typisch russisch. Frage: Der Gasmonopolist hat in Deutschland nicht den besten Ruf. Ein Beispiel: Ein bekannter deutscher Journalist meint, der Fußballverein Schalke 04 habe "Sex ohne Kondom" - wegen seines Gasprom-Vertrags. Woher kommt dieses anrüchige Image?Panjuschkin: Ich denke, das ist wirklich ein Unterschied in den kulturellen Codes. Die Russen freuen sich, freuen sich wirklich darüber, verkünden zu können: Wir sind eure Partner! Aber wenn russische Geschäftsleute mit Kaviar, Champagner und hübschen Frauen in Couchervel einreiten, um dort zu feiern, dann gilt das als unseriös. Der Konzern ist viel besser als sein Ruf! Gasprom - das sind Förderprojekte in der Tundra, wo man im Winter nicht mal die Nase ins Freie Stecken kann und wo fleißige Menschen unter widrigsten Umständen arbeiten. Frage: Ex-Kanzler Schröder wird dafür bezahlt, für ein gutes Image des Konzerns zu sorgen. Macht er einen schlechten Job?Panjuschkin: Nicht unbedingt. Dieser Einfall mit Schröder ist nach hinten losgegangen. Deutschland und Russland haben sich drei Wochen vor der Bundestagswahl 2005 auf den Bau der Nord-Stream Pipeline verständigt. Kurz darauf überraschte Putin den Konzern mit dem abgewählten deutschen Bundeskanzler als Aufsichtsrat. Für die Deutschen erschien der Nord-Stream-Deal plötzlich in einem ganz anderen Licht. Frage: Mischt sich Gasprom mit der Nominierung Medwedews als Nachfolger Putins jetzt in die Kremlpolitik ein?Panjuschkin: Ich denke nicht, dass Medwedew Putin folgt, weil er Aufsichtsratsvorsitzender bei Gasprom ist. Er wurde umgekehrt in den Aufsichtsrat geschickt, weil er ein enger Vertrauter Putins ist. Ob Gasprom mit seinen Anliegen bei ihm künftig auf offene Ohren stößt, steht auf einem anderen Blatt. Möglich wäre das schon. Frage: Haben Sie das Gefühl, nach der Veröffentlichung gefährlicher zu leben als vorher?Panjuschkin: Es gab während der Recherche keine Anrufe oder Drohungen. Wir haben allerdings nicht herausbekommen, wer hinter dem Zwischenhändler Rosukrenergo steckt. Das Unternehmen gehört zur Hälfte Gasprom und liefert Gas in die Ukraine. Verschiedene Quellen behaupten, der weltweit gesuchte mutmaßliche Mafiaboss Semjon Mogiljewitsch stehe dahinter. Wären wir in der Lage gewesen, das zu belegen, hätten wir uns wahrscheinlich wie Bob Woodward und Carl Bernstein bei der Watergate-Affäre gefühlt. Wahrscheinlich müssten wir uns dann wirklich Sorgen machen. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87