Im Kreml brennt noch Licht
Gabriele Krone-Schmalz hat ein Russlandbuch gegen den Trend geschriebenWenn die Rede auf Russland kommt, sitzt halb Europa auf dem Sofa und nimmt übel: Unberechenbar seien sie, die Russen, unbelehrbar in Sachen Menschenrechte und wenn es ums Öl geht, kämpfen sie mit härtesten Bandagen. Die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz hält diese Bilder für ein gefährliches Missverständnis: Die russische Realität habe unendlich viel mehr zu bieten als Reizthemen wie Tschetschenien, Pressefreiheit und Energiepolitik. Man müsse sich nur die Mühe machen, genau hinzuschauen. Die langjährige Moskaukorrespondentin der ARD hat genauer hingeschaut: Detailfreudig und sachkundig breitet sie auf rund 250 Seiten die jüngste Geschichte Russlands aus. Sie wirbt um Verständnis, ergreift Partei, verschafft Akteuren und Geschichten Gehör, die nur selten in die Schlagzeilen kommen. Ihre These: Die Entwicklung Russlands ist den Wünschen des Westens oft viel näher, als dieser glaubt oder wahrhaben will. Deshalb sollten wir etwas gelassener auf russische Ereignisse reagieren, "und nicht immer gleich Alarm schreien, wenn sich die Gesellschaft hier anders organisiert, als wir das gerne hätten".Ein Beispiel: Wenn Wladimir Putin von der "Diktatur des Gesetzes" spricht, hört man im Westen "Diktatur", in Russland dagegen "Gesetz". Könnte es nicht sein, dass Putin damit das im Sinn haben könnte, was für uns im Westen selbstverständlich ist: einen funktionierenden Staat, der für die Regeln eines zivilisierten Zusammenlebens sorgt? - fragt Krone-Schmalz. Auf den Noch-Präsidenten lässt sie wenig kommen. Er hätte "von Anfang an mehr Vertrauen im Westen verdient". Sein Bemühen, den Rechtsstaat wieder herzustellen, das Selbstvertrauen, das er den Russen wiedergegeben habe, ein Haushalt, der zum ersten Mal in der russischen Geschichte mehr Geld für Bildung und Gesundheit bereithält als für das Militär - all diese Dinge seien erst einmal nüchtern zur Kenntnis zu nehmen, ganz gleich ob man Putin nun sympathisch findet oder nicht. Die Autorin scheut sich nicht, Partei zu ergreifen. Die westliche Berichterstattung über Russland geht ihr zum Beispiel oft gehörig gegen den Strich. Wenn Russlandschelte zum guten Ton gehört, dann wird das, was nicht in das gängige Bild passt, eben nicht gedruckt oder gesendet, wie die Reportagen einer Kollegin aus Tschetschenien zeigen. Dort herrscht mit Ramsan Kadyrow unbestritten ein Krimineller und Mörder. Aber die Journalistin kam aus Grosny mit zwiespältigen Eindrücken zurück: Es gibt runde Tische und vorsichtige Kontakte zwischen russischen und tschetschenischen Menschenrechtlern und dem Kadyrow-Clan. Man redet miteinander. Nicht mehr aber eben auch nicht weniger. Fast alle deutschsprachigen Printmedien haben die Reportagen der Journalistin abgelehnt.Krone-Schmalz hat ein Russlandbuch gegen den Trend geschrieben. Sie hofft, dass es noch nicht zu spät für eine "einmalige historische Chance" ist: Partnerschaft zwischen Russland und dem Westen auf Augenhöhe. Im Moment verteile man aus westlichen Redaktionen und Amtsstuben heraus Noten und ist dabei "mit Russland strenger als mit sich selbst". Obendrein hätten die Ermahnungen einen doppelten Boden: Wenn es um prächtige Geschäfte geht, dann geht es auch ohne "politisch korrektes Gesülze". All das ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Es entspricht allerdings allzu oft dem Bild, das Russland von sich selbst so gerne pflegt: Ein von streitsüchtigen Nachbarn umgebenes Land, von der Welt verkannt oder belauert wegen seiner Ölvorräte - nur im Kreml wacht ein väterlicher Präsident und legt die Stirn in Sorgenfalten. Die wichtigste Frage müsste aber gerade hier ansetzen: Was hat die Menschen im Westen so misstrauisch gemacht, dass sie diesem Präsidenten so ziemlich alles zutrauen würden? Liegt es tatsächlich nur an alten Feindbildern, am Messen mit zweierlei Maß, wie Krone-Schmalz nahe legt? Oder könnte es nicht auch an einer Politik der verschlossenen Tür liegen, an einer "gelenkten Demokratie", in der der Kopf immer schon zu wissen glaubt, was gut für die Glieder sei? Es ist wahr: Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind auf eine schiefe Bahn geraten. Zu einem Streit gehören aber immer zwei. An dieser einfachen Wahrheit schummelt sich Krone-Schmalz mit ihrem Buch manchmal vorbei.Gabriele Krone-Schmalz: Was passiert in Russland? Herbig, 2007, 256 Seiten, 19,90 Euro.ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87