Deutschland

Der unvollendete Korridor / Interview mit Boris Despodov

Der bulgarische Regisseur Boris Despodov hat bei der Berlinale das Eis der internationalen Filmbranche gebrochen: Zum ersten Mal in der Geschichte der Berlinale wurde ein selbstständiger bulgarischer Film gezeigt. Die Säle waren ausverkauft und das Publikum begeistert - als sehnten sich die Menschen aus Westeuropa seit langem danach, Filme über die östlichen und südöstlichen Regionen des Kontinents zu sehen.

bietet dem Publikum ein sehr aktuelles Thema: die zwangsweise Teilung benachbarter Völker zugunsten der Interessen der großen Mächte und die daraus resultierenden Verständigungsprobleme zwischen den Menschen. Der Korridor, der dem Film seinen Namen gab, ist ein Infrastrukturprojekt der Europäischen Union, das seit Jahren auf seine Umsetzung wartet. Der Regisseur folgt in seinem Film einem etwa 900 Kilometer langen Weg, der Bulgarien, Mazedonien und Albanien verbinden soll. Fertig gestellt ist davon bisher allerdings nur eine Strecke von gerade einmal 35 Kilometern nahe der Schwarzmeerküste.

ostpol: Herr Despodov, wie entstand die Idee, einen Film vom Corridor 8 zu drehen?

Boris Despodov: Als ich vor fünf Jahren zu einem internationalen Filmfestival nach Albanien fahren wollte, stellte ich fest, dass dies nahezu unmöglich war. Es gibt bis heute  keine direkte Zuglinie nach Tirana, keinen direkten Flug und keinen Weg. Dann erfuhr ich aus der Presse von einer Route, die drei Länder auf dem Balkan - Bulgarien, Mazedonien und Albanien -verknüpfen soll. Diese Route heißt Corridor 8 und ist ein Projekt der Europäischen Union. Darüber wollte ich etwas machen.


Regisseur Boris Despodov / AgiProp-Archiv

Welche Perspektive hat das EU-Projekt Corridor 8, doch noch umgesetzt zu werden? Wird ihr Film die europäischen und nationalen Politiker dafür sensibilisieren?

Despodov: Seit Jahrzehnten diskutieren Regierungen aus der Region mögliche Baupläne von einer Route, die alle drei Länder verknüpft. Doch die Umsetzung lässt schon lange auf sich warten. Auch die Haltung der EU zu diesem Thema gibt keinen Grund zur Hoffnung: Denn die Länder sollen sich selbst an der Finanzierung beteiligen. Das Geld, das zum Beispiel Mazedonien aufbringen müsste, entspricht dem Volumen seines Staatshaushalts für ein Jahr. Offen bleibt weiterhin die Frage: Wenn der Balkan geografisch auf einer Kreuzung liegt, wo bleiben dann die Wege, die Städte miteinander verbinden? Einander kennen lernen, wie soll das funktionieren, wenn es unmöglich ist zueinander zu fahren? Viele Bulgaren haben zum Beispiel nie einen Albaner gesehen und wissen nichts über sein Land. Umgekehrt ist es genauso. "Räuber" seien die Albaner, meint ein orthodoxer bulgarischer Priester, der an der bulgarisch-mazedonischen Grenze lebt. Man misstraut natürlich Menschen, die man nicht kennt.

Aber warum ist diese Region so gespalten? Haben nicht Politiker willkürlich Grenzen gezogen, wie zum Beispiel zwischen Bulgarien und Mazedonien? Viele Bulgaren, die aus Mazedonien stammten und nach dem Ersten Weltkrieg nach Bulgarien zwangsumsiedeln mussten, durften ihre Familienangehörigen auf der anderen Seite jahrelang nicht besuchen. Welche Geschichten erzählt Ihr Film über die Menschen, die heute in dieser Region leben?

Despodov: Die Menschen leben nach wie vor voneinander getrennt. Jeder kämpft um seine eigene Existenz, jeder versucht, irgendwie zu überleben und sein kleines Glück zu finden. Manche verstehen sehr wohl, dass die großen politischen Spieler die Fäden ziehen. Wenn diese kein Interesse am Bau der 928 Kilometer langen Route haben, bleibt den Völkern in der Region nichts übrig als weiter davon zu träumen. Die Protagonisten in meinem Film, die in Burgas an der Schwarzmeerküste, am Ohrid See in Mazedonien oder am albanischen Hafen Dürres leben, erzählen ihre persönlichen Geschichten und berühren mit ihrer Einfachheit und Ehrlichkeit.

Konnte der Film dazu beitragen, Vorurteile und Ängste über den Balkan abzubauen oder zumindest zu mildern?


Filmszene aus Corridor  8 / AgiProp-Archiv

Despodov: Ich bin davon überzeugt, dass nach meinem Film die Menschen in Westeuropa ihre Klischees über die Südosteuropäer abgelegt haben. Sie haben sich mit den Menschen drüben identifiziert, das konnte man an ihrer Reaktion spüren. Es ist auch kein Zufall, dass das Thema des Films gerade das Berliner Publikum beeindruckt. Das Thema fehlender Infrastruktur, die Menschen voneinander trennt und in die Isolation führt, ist Teil der Geschichte Berlins. Die Berliner kennen dieses Problem aus der Zeit der Mauer nur allzu gut, sie können den Schmerz der Trennung und der Isolation am besten nachvollziehen.

Konnten Sie mit ihrem Film auch die Politiker für den Aufbau der transnationalen Route begeistern?

Despodov: Eine Europaabgeordnete der Grünen in Deutschland war vom Film beeindruckt und hat den Wunsch geäußert, Corridor 8 ihren Kollegen im Europaparlament zu zeigen. Mal schauen, was daraus wird.

Nach Ihrem Studium an der Filmakademie in Sofia haben sie sich zunächst dem Animationskino gewidmet. Corridor 8 ist ihr erster Dokumentarfilm. Warum haben Sie das Genre gewechselt?

Despodov: Der Film und die Filmproduktion unterliegen immer den gleichen Regeln, deshalb sind Sprünge von Genre zu Genre nicht so wesentlich.

Sie sind bereits Preisträger internationaler Preise für Animationsfilme. Welchen Preis haben Sie zuletzt bekommen?
 
Despodov: Der Film "Drei Schwestern und Andrey" gewann den Preis der Robert-Bosch-Stiftung. Der Film war eine gemeinsame Produktion junger deutscher und  bulgarischer Filmemacher, das war im Jahr 2006.

Welche Ziele haben Sie für die zukünftige Arbeit ihres Teams, mit dem sie nicht nur zusammenarbeiten, sondern auch zusammenleben?

Despodov: Wir arbeiten erst einmal daran, dass unser Film Corridor 8 auch nach der Berlinale in den deutschen Kinos läuft. Da bin ich aber zuversichtlich, denn das Interesse war enorm. Außerdem arbeiten wir ununterbrochen daran, neue Konzepte zu entwickeln und unsere Ideen umzusetzen.


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