Serbien

Stichwahl in Serbien

Kurz vor der serbischen Präsidentschaftswahl vom Sonntag sehen die letzten Umfragen den proeuropäischen Amtsinhaber Boris Tadic hauchdünn vor seinem ultranationalistischen und russlandorientierten Gegenkandidaten Tomislav Nikolic. Premierminister Vojislav Kostunica verweigert seinem Koalitionspartner Tadic jedoch die Unterstützung.Serbien steht vor einer Richtungswahl, deren Ausgang völlig offen ist. Beide Kandidaten warben bis zur letzten Minute für ihre Programme, denn sie wissen, dass sie für einen Sieg jede einzelne Stimme brauchen. Nach der in dieser Woche veröffentlichten Wählerbefragung des Belgrader Zentrums für freie Wahlen und Demokratie (Cesid) kann Tadic mit 2,1 bis 2,35 Millionen Stimmen rechnen, Nikolic mit 2 bis 2,25 Millionen. Cesid-Programmdirektor Djordje Vukovic wollte sich aber nicht auf einen Sieger festlegen: „Das ist in diesem Moment sehr schwer zu sagen. Der Vorsprung Tadics muss gar nichts bedeuten.“ Den ersten Wahlgang hatte Tomislav Nikolic von der Serbischen Radikalen Partei (SRS) mit 40 Prozent der Stimmen gewonnen, Tadic kam auf 35,4 Prozent.

Beim einzigen TV-Duell der beiden Präsidentschaftskandidaten kurz vor der Wahl machte Tadic noch einmal unmissverständlich klar, dass nur die europäische Integration den Menschen in Serbien ein besseres Leben bringe. „Am 3. Februar entscheidet sich, ob wir nach Europa gehen oder nicht“, sagte Tadic, der seine Kampagne unter das Motto „Gemeinsam gewinnen wir Europa“ gestellt hatte. Er warf Nikolic vor, das Land zurück in die Isolation und den Geist der 1990er-Jahre unter Slobodan Milosevic führen zu wollen. Der Ultranationalist Nikolic, der sich für eine weitere Annäherung Serbiens an Russland einsetzt, bemühte sich in den letzten Tagen zwar, sein Image als EU-Gegner ein wenig zu korrigieren. Doch seine europakritische Haltung wollte er beim Fernsehduell dennoch nicht verbergen: „Wir müssen nicht Europa verteidigen, sondern Serbien“, hielt er seinem Kontrahenten vor.

Nikolic, der mit dem Slogan „Mit ganzem Herzen für Serbien“ Wahlkampf machte, spielte damit auf die abzusehende Anerkennung eines unabhängigen Kosovo durch die Mehrheit der EU-Staaten an. Beide Präsidentschaftskandidaten sind entschieden gegen eine Abspaltung des Kosovo von Serbien. Tadic versicherte im Fernsehen: „Diesen Kampf werde ich nie, nie, nie in meinem Leben aufgeben.“ Einen Krieg um das Kosovo schließen ebenfalls beide aus. Doch im Unterschied zu Nikolic lehnt es Tadic ab, die Annäherung an die EU mit der Kosovo-Frage zu verknüpfen. Gemäß einer Umfrage der Tageszeitung „Blic“ ging Tadic als Sieger aus dem TV-Duell hervor.

Die Ungewissheit über den Wahlausgang ist umso größer, seit der nationalistisch-konservative Premierminister Vojislav Kostunica bekannt gegeben hat, dass er keinen der beiden Kandidaten unterstütze. Beobachter waren davon ausgegangen, dass eine Empfehlung durch den Regierungschef entscheidend für den Wahlausgang sein könnte. Kostunicas Kandidat Velimir Ilic war in der ersten Runde mit 7,43 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz gelandet. Die Zurückhaltung des Ministerpräsidenten ist eine Brüskierung Tadics und der von ihm geführten Demokratischen Partei (DS), die zusammen mit Kostunicas Demokratischer Partei Serbiens (DSS) und zwei kleineren Koalitionspartnern die derzeitige serbische Regierung bildet.

Die DSS hatte die Unterstützung Tadics von einer Änderung des Koalitionsvertrages abhängig gemacht. Im vorgeschlagenen Annex hieß es, das bereits paraphierte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zwischen Serbien und der EU verliere seine Gültigkeit, falls die EU ihre im Grundsatz bereits beschlossene rund 2.000 Personen umfassende zivile Polizei- und Rechtsstaatsmission ins Kosovo entsende. Die EU-Mission, die die Uno-Übergangsverwaltung Unmik ablösen soll, verfolgt nach Ansicht der DSS das Ziel, den im Uno-Sicherheitsrat abgelehnten Ahtisaari-Plan für eine überwachte Unabhängigkeit des Kosovos durch die Hintertür doch noch umzusetzen. „Unser Appell wurde nicht angenommen, wir bedauern das. Wir wollten Tadic unterstützen“, rechtfertigte sich Kostunica, um gleich anzufügen, dass er noch nicht wisse, ob er überhaupt zur Wahl gehe.

Die Analysten von Cesid gehen aber davon aus, dass trotzdem zwei von drei Anhängern Kostunicas für Tadic stimmen werden. Zu groß dürfte die Befürchtung sein, dass mit einem russlandfreundlichen Präsidenten Nikolic der Weg der europäischen Integration Serbiens erschwert werden könnte. Unter Slobodan Milosevic war Nikolic mehrere Jahre Minister. Sein Parteichef Vojislav Seselj sitzt seit 2003 im Untersuchungsgefängnis des Uno-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, vor dem er wegen schwerer Kriegsverbrechen in den 1990-er Jahren angeklagt ist. Gemäß einer in dieser Woche veröffentlichen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes „Strategic Marketing“ würden 73 Prozent der Serbinnen und Serben mit „Ja“ stimmen, wenn sie bei einem Referendum über den Beitritt ihres Landes zur EU entscheiden könnten, nur zehn Prozent wären dagegen. Die Befragten bringen die EU vor allem mit einer Verbesserung des Lebensstandards und dem freien Reiseverkehr in Verbindung. Dennoch muss der Proeuropäer Tadic um seine Wiederwahl bangen. Grund dafür dürfte vor allem sein, dass viele Wähler Nikolic im emotionsgeladenen Kampf um das Kosovo eine konsequentere Haltung bescheinigen.

Die EU-Außenminister hatten am Montag beschlossen, Serbien ein Sonderabkommen über Freihandel, politischen Dialog, Visa-Erleichterungen und Bildung anzubieten. Damit wollte Brüssel dem europafreundlichen Präsidentschaftskandidaten Boris Tadic demonstrativ den Rücken stärken. Die Mehrheit der EU-Staaten wäre sogar bereit gewesen, ein noch deutlicheres Signal zu setzen und Serbien zur Unterzeichnung des SAA einzuladen, das als erster Schritt auf dem Weg zu einer EU-Mitgliedschaft gilt. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch am Widerstand der Niederlande und Belgiens, die auf einer vorherigen Auslieferung des in Serbien vermuteten Ex-Generals Ratko Mladic bestehen. Dieser ist vor dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen des Genozids von Srebrenica angeklagt, bei dem im Juli 1995 unter seinem Kommando rund 8.000 muslimische Männer und Jungen von bosnisch-serbischen Einheiten ermordet worden waren.

Falls Serbien das EU-Angebot annimmt, hätte der in Brüssel einstimmig beschlossene Interimsvertrag bis zur Unterzeichnung des SAA Gültigkeit. Er soll allerdings erst am 7. Februar und damit nach der Stichwahl unterschrieben werden, die Serbiens Außenminister und Tadic-Vertraute Vuk Jeremic als „Referendum über Europa“ bezeichnet hatte. Sollte Tadic die Präsidentenwahl verlieren, rechnen immer mehr Beobachter mit einem Auseinanderbrechen der serbischen Regierung.


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