DIE SCHICKSALE DER FRAUEN VON AUSCHWITZ
Junge Polinnen machen das Leid der Insassinnen sichtbarer Warum Auschwitz? Diese Frage hört Agnieszka Klos immer wieder, sieht Köpfe schütteln. Die Geschichte sei schlimm, aber abgeschlossen, man müsse vergessen. Nein, sagt Agnieszka Klos. Man müsse die Geschichte gut kennen, um sie zu begreifen. Jahrzehntelang war es ein Tabu, in Polens Öffentlichkeit über das Konzentrationslager zu sprechen, inzwischen sei die Atmosphäre endlich offener geworden. Seit fünf Jahren beschäftigt sich die Autorin und Fotografin aus Breslau in ihrer Freizeit mit dem Holocaust und dem Konzentrationslager, sie hatte an einer Schreibwerkstatt in Auschwitz teilgenommen. Die 32-Jährige hat mit sechs Polinnen im November 2006 die lose Gruppe "Frauen in Auschwitz" gegründet. Dass es im Konzentrationslager auch Frauen gab, ist nach Meinung der Gruppe im Bewusstsein vieler Menschen wenig präsent. "Häufig lesen wir die Geschichte Auschwitz nur aus der Sicht der Männer, sie wird mit der Geschichte des KZ an sich gleich gesetzt", sagt Klos.
Porträt Agnieszka Klos
Lukasz Giza
Im August 1942 kamen in Auschwitz die ersten Frauen an, die damals 18-jährige Zofia Posmysz war eine von ihnen. Zwei Jahre war sie in Auschwitz-Birkenau gefangen. Es wird geschätzt, dass insgesamt 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen in Auschwitz starben. Nur ein Teil wurde registriert - von den 400.000 Gefangenen, die in den Karteien verzeichnet sind, waren 130.000 Frauen.Zofia Posmysz erinnert sich: "Als die Transporte ankamen, spielte immer ein Orchester. Es spielte nur lustige Csardas-Stücke. Die Frauen im Orchester mussten immer so lange musizieren, bis alle aus dem Transport vergast waren." In Polen ist es nur wenigen bekannt, dass es diese Frauengruppe gab. Für das Männerorchester gibt es eine Gedenktafel auf dem Gelände des heutigen Museums, wenige Meter hinter dem Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei", für das Frauenorchester gibt es das nicht."Die Frauen fühlen sich heute noch schuldig, weil sie glauben, dass sie mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet haben", sagt Klos. Dabei mussten die Frauen spielen. Ansonsten hätten sie Arbeitsdienst verrichten müssen, "was für viele den Tod bedeutet hätte". Jeden Tag mussten die Frauen in Auschwitz-Birkenau spielen, bei den Selektionen, an der Rampe. "Die Nationalsozialisten haben die Musik benutzt, um die Insassen zu beruhigen." Zudem musste das Orchester spielen, abends, wenn die Häftlinge von der Arbeit wieder kamen, dann mussten sie im Takt der Märsche laufen. "Die Musik war Unterdrückung, Element des Terrors." Die meisten der Frauen des Orchesters spielten nie wieder - eine Ausnahme ist die gebürtige Breslauerin Anita Lasker, sie musste im Lagerorchester Cello spielen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist sie die Mitbegründerin des Londoner English Chamber Orchestra. Klos hat das Leben der Musikerin untersucht, hält Vorträge über Lasker - "sie ist eine Heldin, sie hat es geschafft, wieder zu spielen."
Die Ausstellung im KZ Auschwitz
Agnieszka Klos
Klos hat im Archiv des Museums Auschwitz recherchiert, hat mit vielen Überlebenden gesprochen. Anita Lakser konnte sie bisher noch nicht treffen, sie lebt in London. Auch für die 32-jährige Agata Patralska-Obarewicz aus dem schlesischen Dabrowa Gornicza in Südpolen sind die Gespräche mit den ehemaligen Häftlingen am wichtigsten: "Noch leben die Zeugen, wir müssen jetzt mit ihnen sprechen, um zu verstehen, zu fragen und zu erfahren, die Lücken zu schließen. Noch ist Zeit." Die 32-jährige Autorin, selbst Mutter von zwei Töchtern gehört wie Klos zur Gruppe "Frauen in Auschwitz". Sie recherchiert Schicksale von Müttern in Auschwitz, verarbeitet ihre Erfahrungen in Texten.Agata Patralska-Obarewicz und Agnieszka Klos werden am Wochenende in Auschwitz sein, um an den Feierlichkeiten zur Befreiung des KZs Auschwitz teilzunehmen. Sie kommen mehrmals im Jahr an diesen Ort, um ihr Wissen an andere bei Seminaren und Treffen weiterzugeben, aber auch um über sich nachzudenken. "Wenn ich irgendwelche Probleme habe, sehe ich dann wie banal sie eigentlich sind angesichts dessen, was hier diesen Frauen passiert ist. Eigene Lebenskrisen erscheinen an diesem Ort einfach unbedeutend", sagt Klos.
Die eigenen Werte würden wieder geordnet, bestätigt Patralska-Obarewicz.Dieses Jahr ist das Thema der Feierlichkeiten zum 62. Befreiungstag die verlorene Familie. Es erinnert an die Familien-Lager, die die Nationalsozialisten zunächst für Sinti und Roma sowie jüdische Familien aus dem Ghetto in Theresienstadt errichteten und später auflösten. Agnieszka Klos wünscht sich, dass eines Jahres an diesem Feiertag auch das Schicksal der Frauen in Auschwitz thematisiert wird - "es wäre an der Zeit."ENDEDie Recherchen wurden ermöglicht im Rahmen des Programms Blicke über die Oder des Journalistinnenbunds, gefördert aus Mitteln der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.
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