Tadic braucht Kostunica auf dem Weg in die EU
Nach dem Erfolg des Ultranationalisten und EU-Kritikers Tomislav Nikolic in der ersten Runde der serbischen Präsidentschaftswahl ist der proeuropäische Amtsinhaber Boris Tadic bei der Stichwahl vom 3. Februar auf jede Stimme angewiesen. Schützenhilfe aus Brüssel könnte er gut gebrauchen. Doch weit wichtiger wäre die klare Unterstützung von Ministerpräsident Vojislav Kostunica.Boris Tadic (50) wirkte angespannt, als er nach Bekanntgabe der Wahlresultate vor seine Anhänger trat. Denn die wohl härteste Schlacht in seinem politischen Leben liegt vor ihm - er muss seinen populären Herausforderer Tomislav Nikolic (55) in der Stichwahl vom 3. Februar schlagen.
Ein Erfolg ist alles andere als sicher. Gemäß Prognosen des unabhängigen Centrums für Freie Wahlen und Demokratie (Cesid) erreichte Nikolic im ersten Wahlgang am Sonntag 39,4 Prozent der Stimmen, Tadic kam auf 35,4 Prozent. Für den zweiten Wahlgang wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Marko Blagojevic von Cesid sagte: "Vor uns liegen die offensten und interessantesten Wahlen Serbiens."Trotz seiner schwierigen Ausgangslage gab sich Tadic kämpferisch und zeigte unmissverständlich, wohin er sein Land führen will - nach Europa: "Wir werden zeigen, dass Serbien den europäischen Weg in keiner Weise aufgeben wird, den Weg der Veränderung, der ein besseres Leben für die Menschen, bessere Löhne und Renten und in einigen Jahren den Beitritt zur EU bedeutet." Er werde nicht zulassen, dass der Geist von Missmut und Aggression der 1990er-Jahre nach Serbien zurückkehre.
Tadic, Vorsitzender der proeuropäischen Demokratischen Partei (DS), spielte damit auf die Herrschaft von Slobodan Milosevic an, unter dem sein Gegenkandidat Tomislav Nikolic mehrere Jahre Vizeregierungschef war. Nikolic hatte im Wahlkampf provokativ gesagt, er könnte sich durchaus vorstellen, im Falle seines Sieges den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Vojislav Seselj zum Ministerpräsidenten zu machen. Obwohl Seselj vor dem Uno-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag wegen schwerer Verbrechen angeklagt ist, ist er weiterhin Vorsitzender der Serbischen Radikalen Partei (SRS). Die SRS kämpft für eine engere Anbindung Serbiens an Russland, steht der EU äußerst kritisch gegenüber und lehnt einen Nato-Beitritt ab. Gemeinsam ist den politischen Agenden von Tadic und Nikolic lediglich, dass beide unter keinen Umständen bereit sind, die abtrünnige südserbische Provinz Kosovo in die Unabhängigkeit zu entlassen.
Die Europäische Union will ein Serbien unter Führung der SRS wenn irgendwie möglich verhindern. Der EU-Außenbeauftragte Havier Solana ließ am Montag denn auch über seine Sprecherin ausrichten, er sei überzeugt, dass Serbien seinen proeuropäischen Kurs fortsetzen werde. Doch wirkliche Unterstützung, die sich in Wählerstimmen auszahlen wird, kann Solana seinem Favoriten Tadic derzeit nicht anbieten. Die am Freitag vor der Wahl noch eilig angekündigte Aufnahme der Verhandlungen zwischen der EU und Serbien über die mögliche Aufhebung der Visumspflicht für serbische Bürger hat kaum Beachtung gefunden. Und die von der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft forcierte Unterzeichnung des bereits im November ratifizierten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) mit Serbien noch vor der Stichwahl vom 3. Februar scheint am Widerstand der Niederlande zu scheitern. Sie bestehen darauf, dass das SAA erst nach der Auslieferung des wegen Völkermordes angeklagten und in Serbien vermuteten Ex-Generals Ratko Mladic ans Uno-Kriegsverbrechertribunal zu unterschreiben. Anzeichen dafür, dass dies bald geschehen könnte, gibt es allerdings nicht.
Doch selbst wenn die Niederlande nachgeben und die EU und Serbien Ende Januar das SAA unterzeichnen, wäre dies noch keine Garantie für einen Wahlerfolg Tadics. Milan Nikolic vom Belgrader "Center for Policy Studies" schätzt, dass das SAA Tadic höchstens ein bis zwei Prozent mehr Wählerstimmen bringen könnte. Viel wichtiger ist nach dem Urteil der meisten Beobachter die Frage, ob Premierminister Vojislav Kostunica eine Wahlempfehlung für Boris Tadic abgibt. Dessen DS bildet zusammen mit Kostunicas zusehends EU-kritischer Demokratischer Partei Serbiens (DSS) und zwei kleineren Partnern die derzeitige serbische Regierung. Der Politanalyst Goran Svilanovic ist sogar der Meinung, Kostunica sei letztlich "derjenige, der den Präsidenten wählt". Kostunicas DSS hatte keinen eigenen Kandidaten in die Präsidentschaftswahl geschickt. Dafür unterstützte sie den chancenlosen populistischen Infrastrukturminister Velimir Ilic ihres kleinen Koalitionspartners "Neues Serbien".
Ilic kam auf 7,6 Prozent der Stimmen und schied damit als Drittplatzierter aus. Die Verteilung der 310.000 Stimmen für Ilic könnte tatsächlich die Wahl entscheiden. Denn während die Anhänger des prowestlichen Liberaldemokraten Cedomir Jovanovic (5,6 Prozent) mehrheitlich Tadic wählen werden, dürften die Stimmen für den Kandidaten des Milosevic-Sozialisten Milutin Mrkonjic (6 Prozent) vor allem an Nikolic gehen.Zahlreiche Belgrader Beobachter sind der Meinung, dass sich Premierminister Kostunica trotz der angespannten Beziehung zu Tadic doch zu einer Wahlempfehlung für ihn durchringen wird. Sollte er es nicht tun oder gar Nikolic zur Seite springen, würde Kostunica damit jene Kräfte unterstützen, die mit Milosevic gemeinsame Sache machten. Ausgerechnet Kostunica aber war es gewesen, der maßgeblich am Sturz Milosevics im Jahr 2000 beteiligt war. Doch für den Polit-Experten Milan Nikolic ist eines klar: "Kostunica wird Tadic nur unterstützen, wenn er dafür eine politische Gegenleistung bekommt." Es wird sich weisen, ob man sich handelseinig wird. Wenn nicht, ist dem Machtmenschen Kostunica ein Zusammengehen mit den ultranationalistischen Radikalen durchaus zuzutrauen.