Kostunica fährt Anti-EU-Kurs
Die bevorstehende Wahl des Staatspräsidenten in Serbien kommt einem Referendum über den Europa-Kurs des Landes gleich. Auch die Regierung ist in dieser Frage tief gespalten. Premierminister Kostunica zeigt im Ringen um das Kosovo immer unverhohlener, dass er nicht in die EU will.
Offen ausgebrochen war der Konflikt um die europäische Zukunft Serbiens unmittelbar nach Jahresbeginn und damit weniger als drei Wochen vor der ersten Runde der serbischen Präsidentschaftswahlen vom 20. Januar. Der nationalkonservative Ministerpräsident Vojislav Kostunica erklärte, die EU habe die Wahl, entweder das Anfang November paraphierte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit Serbien zu unterschreiben oder aber "widerrechtlich" ihre zivile Mission ins Kosovo zu entsenden. Beides gehe nicht. "Die EU muss entscheiden, ob sie das gesamte international anerkannte Serbien als Partner möchte oder ob sie auf dem Territorium Serbiens einen 'Quasi-Staat' errichten will", teilte der Regierungschef mit. Die EU könne nicht "gleichzeitig Serbien zerstückeln und mit dem selben Serbien diesen Vertrag unterschreiben".
Damit verknüpfte Kostunica, der auch Vorsitzender der zusehends EU-kritisch auftretenden Demokratischen Partei Serbiens (DSS) ist, die Kosovo-Frage direkt mit der europäischen Zukunft seines Landes. In der serbischen Regierung herrscht Einigkeit, dass Brüssel ohne Zustimmung des Uno-Sicherheitsrates keine zivile Mission ins Kosovo schicken kann, um die dort seit 1999 tätige Uno-Übergangsverwaltung Unmik abzulösen. Genau dies hatte der EU-Gipfel Mitte Dezember aber im Grundsatz beschlossen. Nach Ansicht der EU ist die geltende Uno-Resolution 1244 ausreichend, um eine rund 1800 Richter, Polizisten und Staatsanwälte umfassende EU-Mission ins Kosovo zu entsenden. Doch Kostunicas großer Koalitionspartner, die prowestliche Demokratische Partei (DS) von Staatspräsident Boris Tadic, ist nicht bereit, wegen des Streits mit der EU den Weg der europäischen Integration zu verlassen. Auch Tadic will zwar mit allen - friedlichen - Mitteln um das Kosovo kämpfen. Dennoch strebt seine DS eine möglichst baldige Unterzeichnung des SAA an.
Nach Meinungsumfragen befürworten rund 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Serbiens einen Beitritt ihres Landes zur EU. Doch Premier Kostunica scheint trotz eines anders lautenden Regierungsprogramms gar keinen EU-Beitritt seines Landes zu wollen. Nach Einschätzung von Vojin Dimitrijevic vom Belgrader Zentrum für Menschenrechte sehe Kostunica in der EU keine "traditionellen Freunde Serbiens".Der stellvertretende Regierungschef und für die europäische Integration zuständige Minister Bozidar Djelic (DS) erklärte, die Annäherung an die EU und der Status des Kosovo seien zwei voneinander getrennte Fragen. Dies ist auch die offizielle Position der EU. Sollte Kostunica das SAA aber tatsächlich platzen lassen, dürfte dies das Ende der serbischen Regierungskoalition bedeuten. Die Europaabgeordnete Doris Pack (EVP/CDU), Vorsitzende der EU-Delegation für die Beziehungen zu den Ländern Südosteuropas, wirft Kostunica Unverantwortlichkeit vor. "Es ist bedenklich, wenn ein Ministerpräsident so mit der Zukunft seiner Bevölkerung, vor allem der Jugend, spielt", sagte Pack. Die EU werde zwar versuchen, Serbien von den Vorteilen der EU-Integration zu überzeugen, "aber hinterherlaufen werden wir ihnen sicher nicht".
Djelic rechnet noch damit, dass Serbien bereits am 28. Januar im Rahmen des EU-Außenministertreffens das SAA unterzeichnen kann. Ungeachtet der Äußerungen Kostunicas sagte der Vize-Regierungschef. "Ja, wir werden unterschreiben, falls uns die EU einlädt". Zahlreiche Signale aus Brüssel und besonders von der slowenischen EU-Ratspräsidentschaft deuten tatsächlich auf eine solche Einladung hin. Offenbar ist die Mehrheit der Mitgliedsstaaten bereit, die bisherige Bedingung für die Unterschrift - die Auslieferung des wegen Völkermordes angeklagten und in Serbien vermuteten Ex-Generals Ratko Mladic ans UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag - fallen zu lassen. Allerdings sperren sich die Niederlande und Belgien noch dagegen.
Mit einer Unterzeichnung des SAA Ende Januar will die EU bei den Präsidentschaftswahlen den wieder kandidierenden proeuropäischen Staatschef Boris Tadic stärken. In der zu erwartenden Stichwahl vom 3. Februar dürfte es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Tadic und dem Kandidaten der oppositionellen ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Tomislav Nikolic, kommen. Nikolic ist ein erklärter Gegner eines serbischen EU-Beitritts und tritt für eine engere Partnerschaft mit Russland ein. Nach der letzten Wählerbefragung von Mitte Dezember kann Tadic in der ersten Runde mit etwa 37 Prozent, Nikolic mit 32 Prozent der Stimmen rechnen. Die SRS, deren Vorsitzender der vor dem Haager Tribunal angeklagte mutmaßliche Kriegsverbrecher Vojislav Seselj ist, war mit 28,6 Prozent als stärkste Partei aus den Parlamentswahlen im Januar 2007 hervorgegangen. Dahinter folgten Tadics DS mit 22,7 und Kostunicas DSS mit 16,6 Prozent.
Die DSS schickt keinen eigenen Kandidaten ins Rennen um das höchste Staatsamt, sondern unterstützt den chancenlosen Verkehrsminister Velimir Ilic von der kleinen konservativen Volkspartei "Neues Serbien". Damit hält sich die DSS alle Varianten offen, ob sie bei der Stichwahl eine Empfehlung für ihren Koalitionspartner Tadic oder für Nikolic abgeben wird. Dies dürfte maßgeblich davon abhängen, wie sich der Streit um das SAA weiter entwickelt. Es ist nicht auszuschließen, dass Kostunica auf ein Auseinanderbrechen der Koalition spekuliert, um zusammen mit den Radikalen und den Milosevic-Sozialisten eine neue Regierung zu bilden. In einer solchen Konstellation wäre die Abwendung von der EU beschlossene Sache.