Reise mit Wolf in Kirgistan
Etwas fehl am Platze hatte sich Nadia Budde gefühlt, als sie vom Auswärtigen Amt angesprochen worden war, sich als Bibliotheksbücherpatin im Rahmen der Bibliotheksinitiative „Menschen und Bücher“ zur Verfügung zu stellen. Nicht dass sie zu wenig mit Büchern zu tun hätte, aber gefragt waren deutsche Autoren als Kultur-Botschafter für osteuropäische Länder. „Und ich“, so Budde, „sehe mich weniger als Autorin denn als Illustratorin.“
Ihr sei der Begriff immer ein wenig fremd, weil selbst die Tatsache, dass es in ihren Büchern Texte gäbe, sie nicht zur Autorin mache. „Die Texte sind immer eine Beigabe zu den Bildern.“ Buddes Bücher leben von krakeligen, breitmäuligen und schielenden Gestalten, von der kleinen Echs, von Benno und Rolf, der blonden Biene oder dem traurigen Tiger, der Tomaten toastet. Die Texte dazu hören sich so an: „Ratten rasen auf Rädern über Rhabarberhecken“, „Quallen quietschen auf Quadraten über Quecken“ oder „Mit Schlips, mit Kragen, mit Fliege – Ziege“. Also vielleicht nicht unbedingt das, was germanophile Osteuropäer von einer Schriftstellerin aus Deutschland, dem Land von Goethe und Schiller, erwarten würden.
Mit Zweifeln ob ihrer Eignung als Autorin fährt Budde schließlich in Berlin los, und – neben einer Bücherspende – mit einem Packen Zeichnungen im Gepäck. Darunter ein ganzer Stapel Wölfe in komisch-buddeschem Zeichen-Stil, etwas eckig, mit Glotzaugen, wenig gefällig. Wölfe deshalb, weil sie nach Kirgisistan fährt, in die Heimat von Dschingis Aitmatow, dem Schriftsteller und in Deutschland wohl berühmtesten Kirgisen.
Und der hatte in seinem Meisterwerk „Die Richtstatt“ das Schicksal der Wölfe Taschtschainar und Akbara beschrieben, ein Buch, das Budde tief beeindruckt haben muss. Denn als sie kurz vor ihrer Reise davon hört, dass es auch in der Lausitz wieder Wölfe gäbe, hat sie die Verbindung zwischen Kirgistan und Deutschland für sich entdeckt: Gemeinsam mit den Wölfen will sie Botschafterin werden. Über Tiere, die in beiden Ländern beheimatet sind, lässt sich sicher kommunizieren, so hofft sie.
Als Kultur-Gesandte wie Budde machen sich noch 1921 weitere deutsche Autoren auf gen Osten, im Rahmen der Bibliotheksinitiative des Auswärtigen Amtes, des Goethe-Instituts und sechs renommierter privater Stiftungen. Im Jahr 2005 ins Leben gerufen, soll das Programm über drei Jahre hinweg besonders bei jungen Osteuropäern das Interesse an Deutschland wecken.
29 deutschsprachige Bibliotheken in 22 Ländern Mittel- und Osteuropas können durch die Initiative, die mit rund 500.000 Euro ausgestattet ist, ihre Bestände an deutscher Literatur aufstocken. Dazu läuft ein Begleitprogramm aus Lesungen und Workshops von deutschen Autoren, unter ihnen Katja Lange-Müller, Feridun Zaimoglu, Marica Bodrožić oder Katharina Hacker.
Buddes Gastland Kirgistan liegt eigentlich schon jenseits von Europa, in Zentralasien. Von allen Autoren hat sie den weitesten Weg. Ihre Mission – eine Patenschaft für das deutsche Infozentrum an der Staatlichen Universität Osch. Die Stadt im Ferghana-Tal an der Grenze zu Usbekistan gilt mit über 3.000 Jahren als eine der ältesten Städte Zentralasiens. Die Bibliothek, die sich um eine Teilnahme an dem Kulturaustauschprogramm beworben hatte, wurde erst vor fünf Jahren gegründet. Sie erweist sich als eine bescheidene Sammlung deutscher Klassiker und Sachbücher, in drei windschiefen Schränken, in denen sich die Bretter unter der Bücherlast bedrohlich biegen.
Germanistik-Dozentin Svetlana Tjukatschova ist als Bibliotheksleiterin verantwortlich für das Infozentrum, das nicht nur Deutsch-Studenten, sondern auch anderen an Deutschland Interessierten offen steht. Als die Kinderbuchautorin Budde in Osch ankommt, ist man tatsächlich ein wenig enttäuscht. „Wir hatten eigentlich was anderes erwartet“, gibt Tjukatschova mit charmanter Offenheit zu. „Wir dachten, das wird eine richtige Schriftstellerin sein, die dicke Romane schreibt, und die kommt dann mit einem Haufen von Büchern und liest was vor. Und als wir dann ihre Bücher gesehen haben, waren das nur Kinderbücher, und die Illustrationen waren nicht besonders schön.“
Kurzerhand organisiert Tjukatschova ein Treffen mit Kindern aus der deutschen Schule in Osch. Sie lernen hier von der ersten Klasse an Deutsch. Bibliotheksleiterin Tjukatschova befindet, Budde sollte ihre Bücher unbedingt den Kindern präsentieren. Im Mittelpunkt des unkonventionellen Unterrichts stehen Buddes Bilder und Reime, zu denen sie die Sechstklässler neues hinzumalen und -dichten lässt, auf deutsch versteht sich. Und Budde macht eine erstaunliche Entdeckung. Bilderbücher gibt es Kirgisistan nicht, und damit keine Konditionierung auf einen bestimmten Stil.
„Kinder in Deutschland haben die Möglichkeit, sich aus einem breiten Spektrum an Bildern was auszusuchen oder auch zu sagen: ‚Das gefällt mir nicht’. Sie sind gefangen in einer Bilderwelt“, so Budde. In Kirgistan gingen die Kinder viel unvoreingenommener mit Bildern um, sie hätte kein Kind sagen hören, „das sieht doof aus oder – ich kann nicht zeichnen. Diese Unbefangenheit ist mir sehr sympathisch.“
Die gleiche Unbefangenheit findet sie schließlich auch bei den Studenten. Germanistik- und Kunststudenten sitzen in ihren Workshops. Und obwohl Aitmatow hier weit weniger geschätzt wird, als sie erwartet hatte, bleibt sie bei den Wölfen.
„Für mich stand die Aufgabe: Ich fahre in dieses Land und ich möchte dort Leute kennen lernen und in deren Welt blicken. Ich möchte sie aber auch in meine Welt schauen lassen. Und da meine Welt vom Bilderbuch herkommt, vom Erzählen kleiner Geschichten – warum sollte ich also kein Bilderbuch machen?“Budde holt ihre gemalten Wölfe heraus – und lässt die Studenten eigene Wölfe entwerfen, mit Zeichnungen von ihrem Alltag erzählen, von den Verwandten, lässt sie einfache Worte auf kirgisisch und russisch in Sprechblasen malen. Am Ende sollen sich die buddeschen Wölfe und ihre kirgisischen Pendants auf den Buchseiten gegenüber stehen und sich gegenseitig ihre Welt erklären.
Das Experiment gelingt. „Die Wölfe auf den Bildern sind tatsächlich Kirgisen“, zeigt sich Budde begeistert, „die haben Kirgisen-Hüte auf, sitzen in einer Jurte auf dem Teppich mit einer Flasche Kumys und Brot und der Großmutter und einem Baby.“ Dass jeder zeichnen könne, ist für sie eine Selbstverständlichkeit, die sie kaum erwähnen mag.
Mittlerweile ist Budde zweimal in Kirgisistan gewesen. Aus der anfänglichen Idee ist ein echtes Buchprojekt geworden. „Reise mit Wolf“ ist der Arbeitstitel, Anfang 2008 soll das Buch erscheinen. Buddes Resümee? „Ich habe versucht zu entdecken, wo man das Traditionelle, Kirgisische noch findet und wo es schon verdeckt ist, vielleicht auch auf eine für uns unangenehme Weise, mit westlichen, materiellen Gütern. Und ich habe das Gefühl, es muss hier ein Schritt gemacht werden, heraus aus einem Durcheinander nach dem Erlangen der Unabhängigkeit und nach der dominanten Sowjetzeit, man will und kann irgendwie noch nicht so recht und ist auf der Suche nach Partnern in der Welt.“
In Budde selbst haben die Kirgisen eine Partnerin gefunden. Sie hofft, noch ein drittes Mal nach Osch zu fahren, obwohl ihre Mission beendet ist. Sie möchte das fertige Buch gern selbst übergeben, allen Beteiligten, die daran mitgearbeitet haben. Und der Bibliothek natürlich.