Kampf um Weihnachten
Es war mitten in der Nacht, als der fünfzehn Meter hohe Weihnachtsbaum verschwand. Am 9. Dezember hatte die Stadtverwaltung von Chişinău, der Hauptstadt des zwischen Rumänien und der Ukraine liegenden, drei Millionen Einwohner zählenden Landes, den Baum auf dem so genannten Platz der Großen Versammlung vor dem Gebäude der Staatsregierung aufstellen lassen. Eine legitime Wahl, möchte man meinen, ist dies doch der Ort, an dem alle großen Freiluftereignisse in Moldova stattfinden, der mitten im Zentrum liegt und an dem die Mehrzahl der öffentlichen Buslinien vorbeiführt. Am Tag darauf fand sich der Baum um einen Kopf gekürzt hinter dem Triumphbogen – der die andere Seite des Platzes säumt – wieder, während an seinem ursprünglichen Standort nur mehr ein absurd anmutender Kreis aus Metallgittern an ihn erinnerte.
Hexerei? In der moldauer Presse tauchten sogleich Spekulationen auf, wem der merkwürdige Ortswechsel des Weihnachtsbaumes zu verdanken sei. Fest steht heute, dass die städtische Polizei offensichtlich auf Anweisung der Regierung die Demontage des Baumes anordnete und auf die öffentliche Anweisung des Chişinăuer Bürgermeisters Chirtoacă, diesen wieder an seinen Platz zurück zu befördern, nicht mehr reagierte. Das staatliche Ministerium für Kultur und Tourismus ließ derweil verlauten, es plane zum 28. Dezember die Einweihung eines 25 Meter hohen Weihnachtsbaumes auf eben jenem Platz der Großen Versammlung. Wie beziehungsweise wann man den Baum aufstellt, so feiert man Weihnachten.
Auf mysteriöse Weise verschwand der Weihnachtsbaum vor dem Chisinauer Triumphbogen / Jan Peter Abraham, n-ost
Der Konflikt um den Weihnachtsbaum in Chişinău geht weit über die rein juristische Frage, wem bestimmte öffentliche Plätze in der moldauer Hauptstadt gehören, hinaus. Auch der ständige Streit, den die kommunistische Staatsregierung mit der demokratischen, pro-europäischen Stadtverwaltung von Chişinău sucht, ist nur Teil der Erklärung. Hinter dem neuerlichen Konflikt steht auch nicht die an sich grundsätzlich unsinnige Frage, an welchem Tag Weihnachten denn am besten begangen werden soll – entweder wie in ganz Europa oder nach dem russischen Kirchenkalender –, sondern es sind ganz andere, natürlich politische Interessen.
In Moldova sind seit einiger Zeit die regierungsführenden Kommunisten die besten russisch-orthodoxen Christen. Nachdem Vladimir Voronin, der Vorsitzende der kommunistischen Partei und gleichzeitig Präsident des Landes, zu Anfang des Jahrtausends seine tiefen religiösen Gefühle entdeckte, wird die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat immer enger. Freilich nur mit der russisch-orthodoxen, nicht aber mit der rumänisch-orthodoxen Kirche, die ebenfalls auf ihre historische Verankerung in Moldova verweisen kann: Nachdem das heutige Territorium des Landes 1812 zunächst dem russischen Imperium einverleibt wurde, fiel es 1918 – nach der nicht ganz freiwilligen Vereinigung mit Rumänien – der rumänisch-orthodoxen Kirche zu, sich fortan um das Seelenheil der Moldauer zu sorgen.
Weihnachten, das zweitgrößte Fest in der Ostkirche, wird dabei in Bukarest traditionell am 24. Dezember begangen. Nach der Okkupation und schließlich gewaltsamen Annektierung Moldovas durch die Sowjetunion 1944 wurden nach und nach bis Ende der 50er Jahre praktisch alle überwiegend rumänischsprachigen Klöster aufgelöst. Nur das Kloster Japca im Nordosten, wo man auf eine enge historische Beziehung zu Russland verweisen konnte, hat seine Tätigkeit ununterbrochen fortsetzen können. Nach Ende der Sowjetunion ging dann der größte Teil des kirchlichen Besitztums automatisch an die russisch-orthodoxe Kirche, ohne dass damit der Rolle der rumänisch-orthodoxen Kirche zwischen den Kriegen Rechnung getragen wurde.
Voronin, ein Prachtexemplar eines sowjetischen Kommunisten, hat mit seinem Bekenntnis zur russisch-orthoxen Kirche vor ein paar Jahren das für ihn kleinere Übel und politisch-ideologisch besser zu gebrauchende Überzeugungswerkzeug gewählt. Der Mann, der bis heute ein Gegner der immer stärker werdenden pro-europäischen, pro-demokratischen Bewegung in seinem Land ist, versucht seit geraumer Zeit, über die historische Tätigkeit des Moskauer Patriarchats in Moldova die Anbindung an Russland zu motivieren. Er lässt sich einiges dafür einfallen: Erst wird jahrelang die Registrierung der Filiale der rumänisch-orthodoxen Kirche in Moldova verhindert, bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eingreifen muss.
Das unweit von der Wochenendresidenz des Präsidenten 40 km von Chişinău gelegene Kloster Căpriana – vermutlich eine Gründung aus der Zeit der moldawischen Fürsten im 15./16. Jahrhunderts – wird in Zusammenarbeit von russisch-orthodoxer Kirche und moldauer Staatsregierung restauriert und ist ab sofort das Prestigeobjekt, das man gerne ausländischen Gästen vorführt.
Im Herbst 2005 lud Voronin das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Alexei den Zweiten, nach Chişinău ein, zu dessen Besuch Schüler und Studenten wie zu Sowjetzeiten angewiesen wurden, an Straßenrändern der vorbeiziehenden Limousine des religiösen Würdenträgers zuzujubeln. Voronin, der in diesem Jahr Jesus Christus als den ersten Kommunisten der Menschheitsgeschichte bezeichnete, trifft sich nun regelmäßig mit den russisch-orthodoxen Priestern Moldovas, um im Gespräch durch diese die Gläubigen in ihren Gemeinden auf die kommunistische Partei einzuschwören.
In einer typisch russischen Symbiose von staatlichen und kirchlichen Interessen hat das orthodoxe Moskauer Patriarchat nichts dagegen einzuwenden, vor den Karren der Politik gespannt zu werden. Angeblich hat Alexei selber einmal vor Jahren ernsthaft an eine Anpassung des russischen Kirchenjahrs an das der anderen Christen in der Welt gedacht. Da die russisch-orthodoxe Kirche aber an nichts weniger als an Ökumene interessiert ist und das verspätete Weihnachtsfest zu einem ihrer Markenzeichen geworden ist, waren die Aussichten eines solchen Unterfangens wohl immer sehr begrenzt.
Seit ihrem Aufleben Anfang der 90er Jahre sieht sich die russische Kirche wieder in der Tradition der Wahrung russischer politischer Staatsinteressen, weswegen sie nicht wenige russisch-orthodoxe Kirchen auf der Krim bauen oder restaurieren lässt und in den ehemaligen Sowjetkolonien auf ihren Machtanspruch pocht. Der Kampf der beiden voneinander unabhängigen orthodoxen Patriarchate in Bukarest und Moskau um die Vorherrschaft in Moldova ist dazu passend im vollen Gange: Die Rumänen haben vor zwei Monaten die Neueröffnung der historischen (1918 – 1944) Kirchendistrikte in ihrem Nachbarland angekündigt, die jahrelang ruhenden, direkten neuen Verhandlungen zwischen den zwei orthodoxen Kirchen über ihre Einflusssphäre in Moldova wurden wenig später ohne jedes Ergebnis vertagt.
Es ist vielleicht bedauerlich, aber andererseits wohl gerade das Interesse der beiden Kirchen, gegenwärtig für komplett unterschiedliche politische Systeme und Kulturen zu stehen, sehr überspitzt ausgedrückt für und gegen Demokratie, für und gegen Europa – eine Trennung, die geographisch noch deutlicher erscheint. Zu der im Raum stehenden Lösung des Konfliktes, eines eigenen Moldauer Patriarchats, wollen sich dabei beide Seiten nicht durchringen.
Da die kommunistische Regierung in Moldova immer noch am ehesten von der russischen Regierung siegen lernt, wird den Einwohnern des Landes folgerichtig das Weihnachtsfest für den 6. Januar, nach russisch-orthodoxem Kalender, diktiert. Alle staatlichen Institutionen arbeiten am 24. Dezember und den folgenden Tagen bis Silvester nach gewohntem Programm, und an den Hochschulen werden mit Vorliebe Prüfungen angesetzt, um einem Fernbleiben der Studenten vorzubeugen. Denn so viel ist klar: Wer am 24. feiert, ist ein Feind der Moldauer Kommunisten, nicht zuletzt weil man in Rumänien eben an jenem Tag Weihnachten begeht und nicht wie in Russland zwei Wochen später.
Das kann nicht geduldet werden. Anstatt in Moldova an der Schnittstelle zwischen den beiden Weihnachtstraditionen Toleranz walten zu lassen und alle Christen das Weihnachtsfest zu dem Zeitpunkt ihrer persönlichen Wahl feiern zu lassen, übt sich die Moldauer Regierung so in einer kompromisslosen Attitüde, die in dieser Art vor dem Hintergrund ihrer vorgeblich pro-europäischen Haltung nur verwundern kann. Die authentischen pro-europäischen Kräfte in Moldova wiederum entdecken jedes Jahr mehr das Symbol des Weihnachtsfestes am 24. Dezember als eine Möglichkeit, ihre politische Meinung darzustellen.
Am Mittwoch hat der Tannenbaum der Stadtregierung jetzt eine neue Reise angetreten. Seit Donnerstag steht er im Stadtzentrum zwischen dem Konzertsaal Sala cu orgă und dem Rathaus mitten auf einer Durchfahrtsstraße, die laut Angaben der Polizei für die nächsten Wochen gesperrt sein soll. Inzwischen ist der Baum schön geschmückt, und wie jedes Jahr sind Polizisten zu seiner Rundumbewachung abgestellt. Die Moldauer kommen und bewundern ihn dabei dieses Jahr noch aus ganz anderen Gründen als in den Vorjahren.