ERWEITERUNG DES SCHENGEN-RAUMS: Freie Fahrt nach Schengen
Chance oder Gefahr - Zum Wegfall der Grenzkontrollen gibt es an der deutsch-polnischen Grenze viele MeinungenJerzy Olejnik schiebt den Personalausweis durch das Kontrollgerät und mustert durch die getönte Scheibe mit unbeweglicher Miene die Passantin, die ihm unsicher entgegen lächelt. Es ist früher Vormittag am innerstädtischen Grenzübergang zwischen dem brandenburgischen Guben und dem polnischen Gubin. Olejnik sitzt nun schon seit vier Stunden gemeinsam mit den deutschen Kollegen der Bundespolizei in dem gelb-weißen Abfertigungshäuschen und kontrolliert Pässe und Taschen. Die Gubenerin atmet kurz auf, als der polnische Grenzbeamte sie durchwinkt. "Die meisten hier kennen wir", sagt der 35-jährige Olejnik. Unachtsam dürfe er trotzdem nicht werden.Für die deutschen und polnischen Beamten sind es die letzten Tage am innerstädtischen Grenzübergang. Am 21. Dezember fallen mit dem Inkrafttreten des Schengener Abkommens die Grenzkontrollen zu Land und im Schiffsverkehr zwischen Deutschland und Polen weg; so, wie es an den EU-internen Grenzen Deutschlands zu Dänemark, Frankreich oder Holland längst Alltag ist. Ende März 2008 gilt das Abkommen dann auch im Flugverkehr. Für viele Polen ist das ein Grund zum Feiern, so auch für den Gubiner Bürgermeister Bartolomiej Bartczak. Der Verzicht auf die Personenkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze sei für viele Menschen ein weiterer Schritt in Richtung eines gemeinsamen Europas: "Jetzt müssen sich die Polen nicht mehr wie EU-Bürger zweiter Klasse fühlen", freut er sich. Das Leben im Grenzgebiet wird sich vereinfachen, ist er überzeugt. Bartczak plant bereits mit Partnern der Region eine regelmäßige Busverbindung von Zielona Góra (Grünberg), der Hauptstadt der Wojewodschaft Lebuser Land, über Guben bis ins 40 Kilometer entfernte Cottbus. Im nächsten Jahr soll es endlich losgehen.
Dann wird das kleine Abfertigungshäuschen an der Neiße-Brücke schon längst Geschichte sein, und Olejnik und seine 130 polnischen Kollegen kontrollieren längst in ihren Geländewagen bis 15 Kilometer tief ins Gubiner Umland hinein. Mit Übungen und Großkontrollen an Autobahnen, auf Bundesstraßen und touristischen Wegen haben sich polnische und deutsche Grenzpolizisten längst gemeinsam auf den Schengenbeitritt vorbereitet. Doch nicht jeder ist vom Wegfall der Grenzkontrollen begeistert. Beim Bäcker oder am Stammtisch klingt die Unsicherheit der Einwohner Gubens immer wieder durch. Viele befürchten, dass illegale Einwanderer, Schmuggler und andere Kriminelle nun ungehindert ins Land kommen. Mit Polenfeindlichkeit habe das nichts zu tun, sagt Rentner Horst Bennewitz: "Aber man kann einfach nicht einschätzen, was von der neuen EU-Außengrenze her kommt." Bennewitz verweist auf die Beamten, die vor drei Wochen in Frankfurt/Oder mit der Gewerkschaft der Polizei gegen einen verfrühten Wegfall der Grenzkontrollen demonstrierten. Von den rund 2000 Polizisten, die zurzeit an der deutsch-polnischen Grenze in Brandenburg arbeiten, soll nach den Plänen des Bundesinnenministeriums zur neuen Polizeireform Mitte kommenden Jahres voraussichtlich etwa die Hälfte abgezogen werden. Die Gewerkschaft befürchtet, dass das Personal künftig nicht mehr ausreicht, um die Grenzen wirksam zu schützen. "Niemand hat mehr einen Überblick, wer ins Land kommt", sorgt sich auch Bennewitz.
Grenzbeamter Jerzy Olejnik am Grenzhäuschen zwischen Guben und Gubin
Melanie LongerichJens Schobranski, Sprecher des Bundespolizeiamtes Frankfurt/Oder, nimmt die Ängste der Bewohner ernst. "Das Szenario gab es immer, dass die Kriminalität steigt, wenn Grenzkontrollen wegfallen", sagt er: "Es hat sich bisher nie bestätigt." Auch im Kampf gegen Menschenschleuser, den das Land in den vergangenen Jahren recht erfolgreich führte, sieht Schobranski den Wegfall der Grenzkontrollen nicht als Gefahr. "Die Polizei ist vorbereitet", sagt er gelassen: Es gäbe die Kontrollstichproben auf deutscher Seite bis 30 Kilometer tief im Hinterland und dazu gemeinsame deutsch-polnische Streifen; und neuerdings könnten die Polizisten Verdächtige auch bis ins Nachbarland verfolgen. Und im Gegensatz zu allen Befürchtungen wolle die Polizei im Grenzgebiet jetzt noch präsenter werden. "Die Personalsituation bleibt erst einmal, wie sie ist", sagt Schobranski und will die Kritik der Gewerkschaften klein halten. Richtig sei zwar, dass die Polizei neu strukturiert werde, den grenznahen Raum zu sichern, bleibe trotzdem ein wichtiges Aufgabengebiet. Auf Prognosen, ob die Kriminalitätsstatistik wirklich steigen wird, will er sich nicht einlassen. Da müsse man jetzt abwarten, was die ersten drei Monate bringen. Am Autobahngrenzübergang Frankfurt (Oder)/ Swiecko kommt Polizist Manfred Teumner gerade von der Frühschicht. Seit 35-Jahren steht der 57-Jährige an der Grenze zu Polen, hat alle wichtigen Entwicklungen mitgemacht: 1972 etwa als der zoll- und visafreie Verkehr an der vermeintlichen "Friedensgrenze" zwischen DDR und Volksrepublik eingeführt wurde, oder den Herbst 1980, als wegen der polnischen Unabhängigkeitsbewegung Solidarnosc die Schlagbäume an der Grenze bis zur Wende wieder unten blieben und das Militär sich hier zusammenzog. "Bis zur EU-Osterweiterung arbeiteten die Polen und die Deutschen für sich. Da wünschte man sich zwar einen guten Tag und guten Weg, mehr aber nicht." Heute sei das anders. "Zum Glück", sagt Teumner. Für die Menschen sei der Wegfall der Grenzkontrollen eine große Chance und Erleichterung. Vor allem wirtschaftlich gesehen. Fünf Millionen Lkw überquerten hier 2006 die Grenze - und nach dem Schengenbeitritt sollen es noch viel mehr werden. "Jetzt müssen die Lastwagen oft bis zu einer Stunde an der Grenze warten. In Zukunft können sie durchfahren."Auch im Gubiner Abfertigungshäuschen blickt Jerzy Olejnik optimistisch in die Zukunft. In der vergangenen Woche haben er und die polnischen Kollegen erfahren, dass sie nicht an die neue EU-Außengrenze nach Ostpolen versetzt werden: "Da ist die Mentalität doch ganz anders", sagt er und es klingt ein wenig erleichtert. Außerdem sei auch die neue Eigentumswohnung noch nicht abbezahlt. Mit seinen 35-Jahren liegt Olejnik genau im Altersdurchschnitt. Von der Geschichte seiner Arbeitsstätte weiß er wie die polnischen Kollegen wenig. "Zu jung", Olejnik zuckt mit den Achseln. Die meisten haben wie er studiert, oft im Ausland. Das öffne Horizonte: "Die neue Generation an der Grenze schaut nach vorne und denkt mit Selbstverständlichkeit an Partnerschaft", sagt er. "Heute arbeiten wir kollegial. Keiner ist weniger Wert", sagt er. Zumindest was die inhaltliche Arbeit betrifft: Ein polnischer Grenzpolizist verdient im Jahr rund 20.000 Zloty (5.600 Euro), und damit ein Viertel von dem eines deutschen Kollegen.Doch auch Olejnik muss derzeit viele Fragen verunsicherter Gubiner beantworten, was es mit den neuen Grenzkontrollen auf sich hat. Das mache er gern. Europa, das sei doch eine Chance. Damit liegt der Gubiner ganz auf Linie seines obersten Chefs in Warschau, dem Direktor des polnischen Grenzschutzes Roman Lubinski: "Wir haben alle EU-Kontrollen mit Spitzenleistungen bestanden", sagt er und ist überzeugt, dass die Zeit alle Bedenken zerstreuen wird, gerade weil mit Schengen-Beitritt sich noch einmal die Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen vertiefen werde. Da kann Olejnik nur zustimmen: "Für Polen ist der Zugang zum SIS-Informationssystem ein großer Sprung nach vorne", sagt er. Mit diesem Herzstück der Sicherung an der EU-Außengrenze können die Schengen-Länder Personen- und Fahndungsdaten austauschen. Allein in der Erprobungsphase des Informationssystems sei etwa 3000 Ausländern die Einreise nach Polen verweigert worden. Der Angst vor dem Wegfall der Grenzkontrollen vieler Deutscher begegnet er deshalb gelassen. "Die sollten uns ruhig etwas zutrauen."ENDE