Rumänien

Begeisterung sieht anders aus

Rumäniens Politiker vernachlässigen die Europawahl"Das erste Mal", das klingt nach nervöser Aufregung und schwitzigen Händen. Rumänien wählt am Sonntag zum ersten Mal Abgeordnete für das Europaparlament (EP). Doch von Nervosität ist dort bisher so gut wie nichts zu spüren. In Hermannstadt/Sibiu sucht man fast vergeblich nach Spuren der bevorstehenden Wahl. Vereinzelt nur hängen auf Kniehöhe unauffällige, feuchte Plakate, auf denen ein paar blaue, gelbe und rote Strichmännchen kundtun, sie würden "EU wählen" ("EU-RO-votez"). Kaum Wahlwerbung der Parteien, kaum ein Medienecho: Wer nicht weiß, dass am Sonntag die ersten rumänischen EP-Wahlen stattfinden, der wird es auch nicht merken. Es ist das alte Drama der Europawahl: Sie ist unbeliebt, überall. Die europäischen Institutionen sind weit weg vom Bürger, Nutzen und Funktion bleiben schwer verständlich. Und selbst, wer sich einmal die Mühe gemacht hat, die Rolle des Europa-Parlaments näher anzusehen, wird ob der übermächtigen Stellung der EU-Kommission und der Nebenrolle der Parlamentarier eher enttäuscht als motiviert, die Wahlen ernst zu nehmen. Das ist in Rumänien nicht anders als in den übrigen EU-Staaten. Es gibt allerdings zusätzliche Faktoren, die die Situation in Rumänien vor der Europawahl besonders trist erscheinen lassen. Einige sind strukturell bedingt. So erschwert die ländliche Prägung Rumäniens die Mobilisierung der Wählerschaft: Gut 40 Prozent der Bevölkerung lebt außerhalb der Ballungszentren. Abseits der Städte fällt die politische Sensibilisierung stark ab, komplexe Themen wie die EU werden dort kaum diskutiert. Grund genug für die Assoziation für Demokratie (APD), in dieser Woche eine groß angelegte Informationskampagne in den Dörfern zu starten. Mitglieder aller 28 APD-Clubs sind ins Umland gefahren und haben die europäische Botschaft verkündet. Für APD-Sprecherin Laura Radulescu ist das demokratische Basisarbeit von höchster Dringlichkeit: "Die gesamte rumänische Öffentlichkeit ist nicht angemessen auf die EP-Wahl vorbereitet, aber ganz besonders gilt das für die Menschen auf dem Land. Wenn nicht mehr Aufklärung stattfindet, können populistische Impulse kurz vor der Wahl den Ausgang entscheiden."Außerdem ist das Misstrauen in die politische Klasse in Rumänien weiterhin hoch. Das nationale Parlament rangiert seit Jahren in Umfragen auf dem letzten Platz der vertrauenswürdigen Institutionen. "Deshalb ist sogar unklar, ob diejenigen, die durchaus eine Meinung zu europäischen Themen haben, überhaupt wählen gehen", erklärt Sorin Ionita vom Bukarester Think-Tank Wissenschaftliche Gesellschaft Rumäniens (SAR). "Für den, der kein Vertrauen in Politiker setzt, hat es keinen Sinn, überhaupt seine Stimme abzugeben", sagt Ionita-  Auch Hermann Fabini, Kandidat der Liberaldemokratischen Partei (PLD) aus Hermannstadt, sieht diese "große Enttäuschung der Menschen im Land über die Politik." Das sei auch bei den Intellektuellen nicht anders, die sich deshalb häufig zurückzögen und Politisches überhaupt nicht mehr kommentierten.Und als ob diese Probleme der politischen Landschaft Rumäniens nicht genug wären, verschärfen die gesetzlichen Wahlbestimmungen die Situation noch. Demnach ist es EP-Kandidaten verboten, sich in Radio- und TV-Nachrichten zu präsentieren, sofern es sich nicht um ausgewiesene Wahlsendungen handelt. Gedacht als Maßnahme gegen die Mediensteuerung finanzstarker Kandidaten, hat diese Regel den Effekt, dass der öffentliche Diskurs zur Europapolitik praktisch ausfällt. "Eine öffentliche Debatte?", fragt APD-Sprecherin Radulescu und stellt knapp fest: "Die gab es nicht."Eine ganz besondere Rolle hinsichtlich der EP-Wahl spielt ein Referendum über ein neues Wahlsystem für das rumänische Parlament. Seit Monaten schon steht fest, dass das Wahlsystem für die beiden Häuser der Legislative drastisch verändert wird. Bislang wurden die Sitze jeweils durch reine Listenwahl vergeben. Die Plätze auf diesen Listen aber waren nicht nur bei Berufspolitikern begehrt. Sie wurden oft von zwielichtigen Gestalten genutzt, die vor allem an politischer Immunität interessiert waren und genug Einfluss oder Geld besaßen, um sich einen Platz einfach zu kaufen. Dass das Misstrauen der Bürger in die politische Klasse vor allem in dieser Praxis begründet liegt, ist mittlerweile allgemeiner Konsens. Gestritten wird allerdings darüber, wie der neue Wahlmodus genau aussehen soll. Seit Monaten liegen sich Staatspräsident Traian Basescu und und Premierminister Calin Popescu-Tariceanu darüber in den Haaren. In diesem "Krieg der Paläste" bevorzugt der Präsident eine reine Personenwahl für beide Häuser. Der Premier hingegen plädiert für ein Mischsystem ähnlich dem der deutschen Bundestagswahl. Nach langem Hin und Her wird nun über per Referendum über die erste Variante abgestimmt - genau am Tag der Europawahl. "Das Referendum kommt jedem Diskurs über Europathemen in die Quere. In der öffentlichen Debatte kommt kaum etwas anderes vor", schimpft APD-Sprecherin Radulescu denn auch. Das alles hat praktisch zu einem freiwilligen Verzicht der rumänischen Parteien auf echte Wahlkampagnen geführt. Es ist, als habe sich ein Konsens breit gemacht, nicht zu ändern,  was ohnehin nicht zu retten ist. Plakatwände mit Werbung für die Europawahl muss man deshalb in rumänischen Städten gezielt suchen, öffentliche Auftritte der Kandidaten finden fast nicht statt. Dennoch ist umstritten, ob die Zusammenlegung von Europawahl und Referendum nicht vielleicht doch ein Segen sein könnte. Dass für Präsident Basescu die Abstimmung über das neue Wahlsystem wichtiger ist als die Europawahl, ist kein Geheimnis. Ein Scheitern des Referendums wäre für ihn eine bittere persönliche Niederlage. Und so sehr das Referendum der Europawahl auch die Show gestohlen hat: Es könnte insgesamt zu einer höheren Wahlbeteiligung führen. Damit es überhaupt gültig ist, müssen mehr als 50 Prozent aller Wahlberechtigten am Referendum teilnehmen. Da sich knapp zwei Millionen von ihnen im Ausland befinden, müsste die reale Beteiligung in Rumänien also bei 60 bis 70 Prozent liegen. Angesichts der traditionell schwachen Wahlbeteiligung der Rumänen heißt das für Staatspräsident Basescu, dass er heftig die Werbetrommel rühren muss, um Wähler an die Urne zu locken. Sein Erfolg wird sich dabei positiv auf die Europawahl auswirken. Denn  obwohl beide Wahlen in getrennten Räumen stattfinden, ist davon auszugehen, dass die wenigsten nur an einer der Abstimmungen teilnehmen werden. So glaubt Politikexperte Ionita: "Die Hauptsache ist, die Leute überhaupt zur Wahl zu bringen. Ich denke nicht, dass das Referendum die EP-Wahlen ausblendet."Daran, dass selbst die rumänischen Parteien die Europawahlen nicht richtig ernst genommen haben, besteht kein Zweifel. Für den PLD-Politiker Fabini zeigt das die Unreife großer Teile der rumänischen politischen Klasse. "Deren Politik erschöpft sich im Tagesgeschäft. Niemand hatte große Lust, sich um die EP-Wahl zu kümmern", sagt er. Inwieweit also die Wähler am Sonntag Lust haben werden, sich der europäischen Sache anzunehmen, wird sich zeigen. Sollten sie, wie allgemein erwartet, der Wahl größtenteils fern bleiben, trägt auch die politische Klasse Rumäniens die Verantwortung dafür. Denn wo sich selbst die Berufspolitiker gleichgültig geben, darf man sich über Apathie in der Bevölkerung nicht wundern. ENDE


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