Wahl in Russland: Ist Putin Der richtige Mann?
Wachstum, Stärke, Ordnung: Warum die russische Bevölkerung den Präsidenten unterstütztPutin: Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz? Darf man so über Putin schreiben? Zugegeben, es gibt Gründe zu zögern, aber Tatsachen müssen Tatsachen bleiben, gerade wenn versucht wird sie zu vernebeln und zu verdrehen. Zum Beispiel mit der Schlagzeile: „Wie Putin, Chavez und die Scheichs den Ölpreis hochtreiben“, unter der Spiegel-online kürzlich über steigende Öl-Preise berichtete.Tatsache ist, dass Wladimir Putin bis heute über eine Unterstützung von 60 bis 70 Prozent in der Bevölkerung verfügt und dass die große Mehrheit der Russen durch alle Schichten hindurch lieber ihn als irgendjemand anderen als nächsten Präsident sehen würde.Tatsache ist auch, dass selbst Putins lauteste Gegner Garri Kasparow und Michail Kasjanow – inzwischen getrennt voneinander, aber unisono – ihre Aufrufe zum Wahlboykott damit begründen, unter den derzeitigen Bedingungen könne „keine echte Oppositionspartei die Sieben-Prozent-Hürde überspringen“. Stimmen für die Opposition würden in diesem Fall dem Kremllager zugeschlagen, „selbst wenn es keine Wahlfälschung geben sollte“, so Kasjanow ebenfalls gegenüber Spiegel-online.Vertreter der neuen Linken, die sich um die Bewegung eines russischen Sozialforums sammelt, sind da wesentlich klarer. Einer von ihnen, der Globalisierungskritiker Boris Kagarlitzki, konstatiert, Putin könne sich als erfolgreichster Herrscher Russlands betrachten. Gegen ihn lasse sich zurzeit kein Protest in der Bevölkerung entwickeln, weil die Mehrheit der Menschen ihre Interessen durch ihn vertreten sehe.Tatsache ist weiterhin, dass Putins außenpolitische Auftritte – für ein starkes Russland, gegen die Kriegstreiberei der USA, deren Raketenabwehrsystem, die Unabhängigkeit des Kosovo und neuerdings auch gegen eine Konfrontation mit dem Iran – den Kommentatoren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das widerwillige Eingeständnis entlockten, westliche Politiker könnten der von diesen „Machtdemonstrationen“ ausgehenden Stabilisierung der Weltlage letztlich vielleicht sogar Lob zollen.Als der damalige Präsident Boris Jelzin Ende 1999 abtrat, exportierten russische Oligarchen und Privatisierungshaie ihre Gewinne massenweise ins Ausland. Steuern, Löhne und Pensionen wurden nicht oder mit jahrelangen Verzögerungen bezahlt. Die betrieblichen, kommunalen und staatlichen Sozialversorgungssysteme wurden aufgelöst.Wladimir Putin aber schaffte es, den weiteren Zerfall des Landes zu stoppen. Er ordnete das Chaos zumindest ansatzweise, setzte dem Ausverkauf russischer Ressourcen eine staatlich kontrollierte Energiepolitik entgegen. Die Wirtschaft stieg aus dem Keller der 1998er Krise zu einem inzwischen stabilen Wachstum von etwa 6,5 Prozent jährlich auf. Russland befreite sich aus hoffnungsloser äußerer und innerer Verschuldung und defizitärem Budget – das aktuelle Budget hat sich gegenüber dem des Jahres 2000 versechsfacht. Für Krisenzeiten wurde ein Stabilitätsfond mit einem Kapital von circa 127 Milliarden US-Dollar eingerichtet. Die Währungsreserven der Zentralbank erreichten zeitweise ein Volumen von 417 Milliarden US-Dollar. Die Arbeitslosigkeit sank, die Inflation wurde angehalten.Auch das weitere Auseinanderdriften der Russischen Föderation wurde gestoppt: Nach der brutalen Niederschlagung des tschetschenischen Separatismus herrscht in Tschetschenien heute eine weit gehende Waffenruhe. Präsident Ramsan Kadyrow betreibt dort zwar eine aktive Ordnungspolitik, verbunden mit effektivem Wiederaufbau der zerstörten Städte im Sinne Moskaus. Er betreibt diese Politik aber nicht mehr mit militärischen, sondern mit polizeilichen Mitteln. Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist wieder weiter an Russland herangerückt. Vor wenigen Wochen fand ein Gipfeltreffen der GUS, der „Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft“ und der „Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit“ in Duschanbe statt, das die weitere Integration des postsowjetischen Raumes zum Ziel hatte. Parallel dazu vereinbarten die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres, einschließlich des Iran, bei der Öl-Förderung zu kooperieren. Außerdem versicherten sie sich gegenseitig per Vertrag, keiner fremden Macht zu gestatten, von ihrem Territorium aus einen Nachbarn anzugreifen – ein eindeutiges Signal an die NATO.Der Kriegstreiberei der USA schließlich setzt Russland in zunehmendem Maße die Alternative einer kooperativen, multipolaren Orientierung entgegen, beispielsweise mit dem Ausbau des Shanghaier Bündnisses und der Einbeziehung des Iran in dieses Bündnis. Der Besuch Putins in Teheran im Oktober reiht sich in diese Bemühungen ein, denn Russland demonstrierte dadurch unmissverständlich seinen Willen zu einer friedlichen Lösung des Iran-Konflikts.All dies geschah unter einem äußerst schmucklosen, kaum als solchen erkennbaren Programm, mit dem Wladimir Putin bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 seine Ziele in drei Punkten erläuterte: Er setzte sich für die Wiederherstellung eines starken Staates ein, zweitens sollte sich Russland unter seiner Präsidentschaft auf seine eigenen Fähigkeiten zurückbesinnen, statt den Westen zu kopieren, und drittens müsste das Land wieder zu einem „Integrationsknoten“ Eurasiens werden.Mehr war nicht nötig. Dieses karge Programm reichte der gebeutelten russischen Bevölkerung aus, um in Putin mit 70-prozentiger Zustimmung den Retter ihres Landes zu sehen. Die Unterstützung, die der Präsident für diese Aufgabe benötigte, wurde ihm – durch das Chaos der Jelzinschen Hinterlassenschaft bedingt – von allen Seiten aus blankem Überlebensdruck freiwillig zuteil. Auf diese Weise gestärkt, konnte der als Mr. Nobody herbeigerufene Putin, den die scheidende „Familie“ Jelzins glaubte lenken zu können, zum Vollstrecker der nachsowjetischen Transformation werden.Diese Transformation vollzog sich in einem Dreischritt, der für die Entwicklung der großen Krisen der russischen Geschichte typisch ist: Zunächst zerfiel unter Michail Gorbatschow der im Moskauer Zentrum gebündelte Konsens der eurasischen Eliten und endete unter Jelzin in der vollständigen Desintegration des Staates. Dann wurde das Zentrum auf einem neuen technischen und organisatorischen Niveau wiederhergestellt. Und danach kam Putin: jung, keiner der zerstrittenen Eliten angehörig, ausgebildet durch den sowjetischen Geheimdienst KGB und zudem in Geist und Technik asiatischen Kampfsportes zu Hause. Er war der richtige Mann, der zur rechten Zeit den Platz des restaurativen Modernisierers einnahm.Alles gut also? Was lässt dann zögern? Die Gründe seien in aller Kürze benannt: Da ist erstens die Tatsache, dass Putins Erfolge ökonomisch auf dem Anstieg der Weltmarktpreise für Öl- und Gas beruhen. Mit stabilen Preisen für diese Rohstoffe steht und fällt seine Politik der wirtschaftlichen Befriedung. Zweitens hat Putins Stabilität den Schönheitsfehler, den neuen Reichtum ungleich zu verteilen. Auch wenn das Lebensniveau in Russland insgesamt gestiegen ist, bestehen nach wie vor erhebliche Einkommensunterschiede in der Bevölkerung. Drittens harren die bereits beschlossenen Pläne für die 2005 nach Protesten der Bevölkerung vorläufig gestoppte so genannte Monetarisierung erst noch der Umsetzung durch die neue Regierungsmannschaft.Und Monetarisierung bedeutet nicht einfach eine allgemeine Verteuerung durch die Angleichung an die von der Welthandelsorganisation (WTO) vorgegebenen Preis-Standards. Sie bedeutet darüber hinaus einen gezielten Angriff auf die traditionell gewachsenen Strukturen der Selbstversorgung und des in Russland weit entwickelten Tauschhandels – einen grundlegenden Angriff auf die Lebensweise des Volkes also.Das bedeutet: Es ist nicht klar, ob der Präsident die Geister, die er zur Stabilisierung rief, auch in Zukunft so bannen kann, dass sie der Bevölkerung nützen. Kann er das nicht, stehen Russland schwere Zeiten bevor.ENDE