Bulgarien

Mallorca-Syndrom am Schwarzen Meer

Die bulgarische Schwarzmeerküste galt bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrtausends als begehrte Adresse für sommerliche Badefreuden - ganz egal, ob die Sommerfrischler aus Magdeburg oder Mannheim stammten. Ost- und Westdeutsche kamen sich schon damals an der "Roten Riviera" näher, wie der Strand in Anlehnung an sein ligurisches Original liebevoll genannt wurde.

Auch in diesem Jahr erfreute sich Bulgarien dank seiner Küste wieder enormer Beliebtheit. Bis Ende August 2007 verbrachten fast vier Millionen ausländische Gäste ihren Urlaub in dem neuen EU-Land. Das waren knapp sieben Prozent mehr als im selben Zeitraum 2006 - und auch da hatte es schon Zuwächse gegeben. Aus anderen EU-Ländern kamen in diesem Jahr 30 Prozent mehr Urlauber. Bulgarien - ein Land der Rekorde? Nicht ganz. Denn selbst die 1,3 Milliarden Euro Einnahmen der ersten acht Monate des Jahres können die vielen Probleme des bulgarischen Fremdenverkehrs nicht übertünchen. "Fakt ist, dass die Küste ziemlich zubetoniert wurde und kein Ende abzusehen ist", bemängelt zum Beispiel Stanislav Novakov. Der stellvertretende Präsident der staatlichen Tourismusagentur spricht schon von einem regelrechten Mallorca-Syndrom, das Bulgarien befallen habe. Der Bauboom der letzten Zeit hat zu einem Preisverfall und einer enormen Konzentration an Menschen geführt. Schätzungen zufolge wurden allein in diesem Jahr 1800 neue Hotels und Gaststätten eröffnet, vorwiegend am Schwarzen Meer.

Nun will das Balkanland etwas tun gegen diesen unkontrollierten Wildwuchs. "Ein neues Gesetz soll Einhalt gebieten. Künftig soll nicht mehr direkt an der Küste, sondern etwas zurückgesetzt gebaut werden", sagt Tourismusmanager Novakov. Doch wann dieses Gesetz kommt, ist unklar. Seit Jahren schon wird darüber diskutiert. Geschehen ist bislang nichts.

Für einige Küstenabschnitte hätte aber selbst das geplante Gesetz keinerlei Bedeutung. Das sind jene Bereiche, die heute zu wahren Betonorgien verkommen sind. Natürlich lockt auch der billige Alkohol die Touristen in Scharen an. Vor allem für skandinavische Jugendliche ist Bulgarien zu einem Promille-Paradies geworden. Etwas mehr Ruhe herrscht dagegen im Landesinneren. Hier setzen die staatlichen Tourismusstrategen ganz auf den Wintersport, auf Golf und Wellness sowie auf die zahlreichen Mineralquellen. "Bei den Mineralquellen liegt Bulgarien auf Platz zwei, gleich hinter Island", verkündet Stanislav Novakov stolz. Auch Festungen, orthodoxe Klöster, zum Beispiel das weltberühmte Rila-Kloster, und andere historische Stätten liegen hoch im Kurs.

Doch wie sieht es eigentlich mit der Hauptstadt Sofia aus, die mit 1,2 Millionen Einwohnern immerhin so groß ist wie der Touristenmagnet Prag? Sofia genießt, trotz seines schönen Namens, leider nicht das allerbeste Image im Konzert der europäischen Metropolen. Die Stadt gilt als überfüllt, schmutzig und von Straßenverkehr, Staus und unkontrollierten Baustellen lahm gelegt. Gründe sind einerseits der wirtschaftliche Boom, die niedrige Arbeitslosigkeit und die günstigen Preise, andererseits die total veraltete Stadtplanung, die schlechte Infrastruktur und die Korruption.

Stoian Lazarov ist oberster Tourismuswerber für Sofia. Der graumelierte Mittfünfziger erinnert ein wenig an einen Apparatschik aus der Ära des langjährigen Staatsführers Todor Schiwkow. Aus jener Zeit des kommunistischen Dornröschenschlafs. Und irgendwie scheint dieser Schlaf auch heute noch anzuhalten. Lazarov sprudelt nicht gerade vor Energie. Auf die Frage, warum Touristen eigentlich nach Sofia kommen sollen, steckt sich Lazarov erst einmal eine Zigarette an. "Sofia ist das Tor zu Bulgarien", beginnt Lazarov endlich einen längeren Monolog. "Viele Überbleibsel aus der Römerzeit werden gerade jetzt beim Bau der Metro gefunden. Auch ist das Kulturleben gut ausgeprägt". Angesprochen wird auch der tolerante Umgang zwischen den Religionen. "In der Stadt gibt es zahlreiche Kirchen, Synagogen und Moscheen". Am Ende zieht Lazarov noch einen Trumpf aus der Zauberkiste: "Das beste Kapital sind die Sofioter selbst, weil sie ihre Stadt lieben", findet er. Doch welche Bewohner lieben ihre Stadt nicht? Was macht den besonderen Reiz Sofias aus?



Die Alexander-Newski-Kathedrale im Zentrum von Sofia. / Andreas Metz, n-ost

Bessere Antworten auf diese Fragen hat Georgi Dimitrov parat. Der junge Produkt Manager vom Alternativ-Reiseanbieter "Odysseia - In" schwärmt von der Alexander-Newski-Kathedrale, die mit ihren vergoldeten Kuppeln zum Wahrzeichen der Stadt zählt. Mit über 5000 (Steh-)Plätzen ist sie eine der größten orthodoxen Kirchen weltweit. "Seit dem Ende des Sozialismus ist die Kathedrale das Symbol für die wiedererlangte Freiheit im ganzen Land", freut sich Dimitrov.Erwähnenswert ist auch das Stadtzentrum mit seinen historischen Bauten und Denkmälern, lauten Märkten und schönen Restaurants. Wie vor Tausenden von Jahren sprudeln auch heute noch heiße Mineralquellen im Stadtzentrum. Ganz wichtig ist Dimitrov auch das Vitoscha-Gebirge, das sich am südlichen Rand von Sofia erhebt. "Es ist ein beliebtes Ausflugsziel bei den Sofiotern. Schon in einer halben Stunde erreicht man die Berge mit dem städtischen Nahverkehr. Wo sonst kann man so schnell dem hektischen Trubel entfliehen?"Sofia liegt den Bergen wesentlich näher als der russische Badeort Sotschi. Trotzdem blieb der Traum von einer Winterolympiade im Vitoscha-Gebirge bisher nur ein Traum, obwohl man schon ein paar Male Mitbewerber war. Eine Hoffnung bleibt Sofia immerhin noch: 2019 will die bulgarische Kapitale Kulturhauptstadt Europas werden.


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