Serbien

Blockbuster vom Balkan

Wenn es um das Erbe des jugoslawischen Kinos geht, scheinen die Klischees unverrückbar - ein zähes Amalgam aus Kriegsbildern, vermischt mit den überbordenden Bildermärchen eines Emir Kusturica, bestimmt die Wahrnehmung. Schlimmer noch: Angesichts eines weit verbreiteten westeuropäischen Desinteresses am südosteuropäischen Film stellt sich die Frage, ob die Kunst eines Emir Kusturica überhaupt wahrgenommen worden wäre, hätte es den inzwischen schon zwölf Jahre zurückliegenden Krieg auf dem Balkan nicht gegeben.

"After YU" heißt nun der Schwerpunkt des diesjährigen 17. Cottbusser Filmfestivals, der sich dem ex-jugoslawischen "Nachkriegskino" widmet. Mancher der hier zu sehenden Filme hätte das Zeug zum Blockbuster, wird es aber nie dazu bringen, weil der notwendige Werbetat fehlt. Deshalb, so Bernd Buder, einer der Organisatoren, sollte jeder, der sich interessiert "die Chance nutzen, die das Festival bietet. Denn viele der hier gezeigten Filme werden danach wieder in der Versenkung, der Black Box Balkan, verschwinden."

Die Black Box Balkan beginnt vielleicht hier, im ehemals ältesten Porno-Kino Europas. Gebaut zu k.u.k.-Zeiten und schon damals mit "Skandalstreifen" bespielt, liegt es in einer kleinen Seitengasse der pittoresken Altstadt von Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens. Das Kino "Dvor" könnte als Symbol stehen für das, was sich in der Filmszene der zu Nationalstaaten mutierten ehemaligen Republiken Jugoslawiens gerade vollzieht. Weil die großen Kinos auch hier der Allmacht von Hollywood erliegen, müssen sich junge Filmemacher eigene Räume suchen.

"Wir haben das 'Dvor' vorm Verfall gerettet und aus dem einstigen Skandal-Kino das erste Art-House-Kino Sloweniens gemacht", erzählt Hanna Slak. Die Regisseurin ist in Cottbus zum ersten Mal mit einem Kinderfilm vertreten. 2002 erzählte sie in ihrem Low-budget-Film "Blind Spot" noch ein hartes, verzweifeltes Geschwister-Drama, das jedem amerikanischen Blockbuster Konkurrenz gemacht hätte: Lupa schließt sich mit ihrem Bruder in eine Wohnung ein, um diesen von seiner Drogensucht zu befreien. Am Ende landet sie selbst in einer Traumwelt. "Der Film war eine düstere Parabel über soziale Kälte und die Möglichkeit menschlicher Wärme abseits vom Schweigen der Elterngeneration", erklärt Juraj Medeu vom Kino "Dvor". "Früher flohen viele Filme, die bei uns gemacht wurden ins Phantastische oder auch Komödiantische, weil man meinte, eine ernsthaftere Auseinandersetzung würde zu sehr an frische Wunden rühren.

"Mit Hanna Slaks "Blind spot" begann jedoch bereits ein anderes Lebensgefühl in den ex-jugoslawischen Film einzuziehen. Die jungen Filmemacher schienen zu spüren, dass sich niemand wirklich an die heißen Themen der Gesellschaft wagte. Und doch blieb auch in ihren Filmen der Krieg und damit die jüngste Vergangenheit zunächst lediglich diffuser Hintergrund. "Das gilt auch für die kroatischen Filmemacher", meint Tomislav Jagec. In Cottbus ist Jagec als Produzent eines Dokumentarfilms über Ante Babaja vertreten, einen der Altmeister des kroatischen Films. In Zagreb ist er Leiter eines Kultur- und Informationszentrums, in dem sich neben einem gemütlichen Café, eine Bibliothek und - natürlich - ein Kino befinden. Heute auf dem Programm: "Schöne tote Mädchen".Wer aus dem Kino kommt, holt erst einmal tief Luft. Es ist, als sei man aus trübem Wasser aufgetaucht an eine glitzernde Oberfläche, in der sich Zagrebs barocke Kulissen spiegeln. "Schöne Tote Mädchen" entstand noch in der Tudjman-Ära, einer Zeit, in der staatliche Filmförderung in Kroatien durchaus auch als politisches Instrument verstanden wurde und Filmemacher, die etwas auf sich hielten, Filmfestivals wie das in Pula mieden.

In "Schöne Tote Mädchen" ziehen Iva und ihre Freundin in ein Haus, dessen Mieter Regisseur Dalibor Matanic dazu dienen, ein düsteres Psychogramm der kroatischen Nachkriegsgesellschaft  zu zeichnen, neben dem der Horror eines "Blair Witch Project" wie die harmlosen Spielchen der Teletubbies wirkt: Als sich herausstellt, dass die beiden Frauen lesbisch sind, beginnt eine beispiellose Hetzjagd, die schließlich zur Vergewaltigung von Iva führt. In dem Moment, da der Zuschauer meint, der Schrecken sei nicht mehr steigerungsfähig, fängt die Kamera das pendelnde Kreuz am Kettchen des Vergewaltigers ein, das Iva ständig ins Gesicht schlägt. Für Jagec steht dieser Film "wie kein anderer für den kritischen Blick einer unkorrumpierten jungen Generation von Filmemachern, denen es um die radikale Abrechnung mit dem verlogenen Tudjman-Patriotismus ging." Dass die "Schönen toten Mädchen" es bisher nicht einmal in den Kulturkanal arte gebracht haben ist völlig unverständlich.

In Slowenien werden im Jahr kaum mehr als fünf Spielfilme gedreht, in Kroatien sind es etwa zehn. Anders in Serbien. Dort waren es im letzten Jahrzehnt an die 100 Filme, meint Regisseur Srdan Golubovic. Zwar habe der Krieg der Filmindustrie geschadet. Andererseits sei er für die Filmemacher sehr inspirierend gewesen. Bereits in den letzten Jahren haben serbische Filmemacher unglaublich gute, leider international nur wenig beachtete Filme vorgelegt. "One and One" von Mladen Maticevic zum Beispiel hätte durchaus das Zeug gehabt, europäischen Kinosäle zu füllen. In apokalyptischen Farben schilderte Maticevic, wie mafiöse Banden die Macht über vereinsamte Menschen in den tristen Hochhhaussiedlungen Neu-Belgrads übernehmen und dass es doch eine Möglichkeit gibt, sich dagegen zu wehren.

Golubovics Film "Klopka - die Falle" ist nun endlich für alle ex-jugoslawischen Filmemacher ein Hoffnungsschimmer. Nach "Underground" ist es der erste serbische Film, der es auf die großen Kinoleinwände in Deutschland geschafft hat. Natürlich ist er auch in Cottbus zu sehen. Jahrelang hatte sich Golubovic als Produzent von Musikvideos über Wasser gehalten, bevor er 2001 mit "Absolut Hundert" seinen ersten Spielfilm drehte. "Mit 'Klopka' wollte ich einen Film über einen ganz normalen Menschen machen, einen guten Mann und seine Verwandlung in einen Teufel. Das spiegelt für mich die Situation in Serbien. Die Frage, wie wir uns mit dem Thema Schuld auseinandersetzen. Die Geschichte, wie in der Folge des Kriegs und dem, was danach in unsrem Land geschah, alle moralischen Werte verschwimmen. Wer in Serbien mit Moral und Anstand leben will, hat es schwer. Das ist es, was der Film zeigen will.  Für mich ist er Beitrag zu einer Wahrheit, die mein Land sehr nötig hat.

"Die Filme der jungen Regisseure aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens zeigen, dass die Distanz zum Krieg inzwischen groß genug ist, um der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Anders gesagt: Die Nachfolgeneration scheint nicht mehr bereit, die eigenen Eltern zu schonen. Sie fordert Verantwortung ein und übernimmt sie selbst. Das der Krieg auch zwölf Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton das Denken und Fühlen zwischen Karawanken und Ohridsee bestimmt, zeigt (fast) jeder der in Cottbus im Schwerpunkt "After YU" vorgestellten Filme. Sie alle haben auf die eine oder andere Weise damit zu tun.

Im Kinderfilm "Teah" der 1975 geborenen Regisseurin Hanna Slak ist es die Begegnung mit bosnischen Kriegsflüchtlingen, die das Leben des zehnjährigen Martin verändert. Der Streifen der mazedonischen Filmemacherin Teona Matevska trägt bereits im Titel die Programmatik: "Mein Bruder, der Terrorist" und der Bosnier Pjer Zalica erkundet in seinem fast dokumentarischem Spielfilm "Tage und Stunden" mit psychologischem Feingefühl die Seelenlage von Menschen, die im Krieg ihre Kinder verloren haben.

Doch kein Streifen in Cottbus macht den Umbruch im ex-jugoslawischen Kino so deutlich, wie der Film "Die Lebenden und die Toten". Glaubten Regisseure wie der Bosnier Danis Tanovic noch 2001 mit "No Man's Land" sich dem Krieg nur in Form einer Komödie nähern zu können, wagte sich der kroatische Regisseur Kristijan Milic nun an den ersten wirklichen Kriegsfilm. Der Film ist großes Kino, in dem zwei parallele Geschichten erzählt werden. In der ersten wird eine Gruppe kroatischer Soldaten während des Bosnien-Krieges 1993 vom Rest ihrer Truppen abgeschnitten. In der zweiten erzählt Milic eine Episode aus dem Jahr 1944, als sich in Slowenien katholische "Domobranci" und kommunistische Partisanen gegenseitig bekämpften statt gemeinsam gegen die faschistischen Besatzer vorzugehen.

Indem Milic beide Geschichten auf einem geheimnisvollen Friedhof zusammenführt, stellt er seinen Streifen in die Reihe der großen Anti-Kriegsfilme der Gegenwart. "Ich wollte zeigen", sagte Milic bei der Premiere seines Films auf dem diesjährigen Filmfestival in Zagreb, "dass im Prinzip alle Krieg gleich sind, egal auf welcher Seite man kämpft. Am Ende sind selbst die Lebenden tot - oder sie sterben einfach. Wir sind zwar keine Erzieher, aber vielleicht verhelfen unsere Filme doch zu einer Katharsis. Ich glaube, die Zeit dafür ist reif."


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