Zurück in die Zukunft
Erstmals seit 1992 gibt der Kreml wieder Lebensmittelpreise vorPolens Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski verstolperte womöglich seine Wiederwahl, weil er im Fernsehduell den Preis für einen Liter Milch nicht anzugeben wusste. In Russland sind solche Dinge Chefsache: In einem Supermarkt nahe Moskau erkundigte sich Premier Viktor Subkow Mitte Oktober vor laufenden Kameras nach den Preisen für Grundnahrungsmittel. Und weil ihm die eindeutig zu hoch erschienen, legte Subkow rechtzeitig zu den Abendnachrichten nach und kündigte an, die Preise für "sozial bedeutsame Produkte" drei Monate lang einzufrieren. Seit Monaten klettern in Russland die Verbraucherpreise. In den ersten neun Monaten des Jahres wuchs die Inflation um 7,5 Prozent. Die frisch gebackene Wirtschaftsministerin Elwira Nabiullina geht inzwischen von einer zweistelligen Inflationsrate bis Jahresende aus - und liegt damit deutlich über der früheren Prognose ihres eigenen Ministeriums. Hauptgrund für die galoppierenden Preise ist Russlands Rohstoffsegen. Die Milliardeneinnahmen aus den Ölexporten spülen mehr Geld ins Land, als die russische Volkswirtschaft verdauen kann. Auch das Geld selbst folgt den Regeln von Angebot und Nachfrage: Gibt es zuviel davon, dann sinkt sein Wert.Vor allem bei Lebensmitteln müssen Russen deshalb seit einiger Zeit tiefer in den Geldbeutel greifen. Bereits im Sommer sorgten steigende Brotpreise für Aufregung, was sich noch mit einem hohen Weltmarktpreis für Getreide und einigen verhagelten Ernten begründen ließ. Im Vergleich zum Vorjahr kletterte nun aber auch der Preis von Sonnenblumenöl und Milch um 17 Prozent. Für ein Brot müssen die Kunden sogar ein Viertel mehr hinblättern. Das bekommen vor allem Haushalte mit wenig Einkommen zu spüren. Die Zahlen der Statistiker machen den Kreml offenbar nervös. Ein teurer werdender Einkaufskorb ist keine Empfehlung für die Duma- und Präsidentschaftswahlen. Deshalb dreht die Regierung an den Stellschrauben: Mitte Oktober senkte sie die Importzölle für Milchprodukte und Sojabohnen und hob die Exportabgaben für Getreide im Gegenzug an. Eine Woche darauf wurde mit Lebensmittelproduzenten und Handelsketten die Preisdeckelung vereinbart - auf freiwilliger Basis wie der Kreml betonte. Die Gewinnmarge solle danach bei "sozial bedeutsamen Produkten" nicht höher als zehn Prozent ausfallen - unter anderem bei Milch, Kefir, Brot, Eiern und Käse. Ganz freiwillig lenkten die Einzelhändler offenbar nicht ein, wie der Sprecher einer Supermarktkette vor Journalisten durchblicken ließ: "Wir hatten keine andere Wahl als zuzustimmen." Die Antimonopolbehörde hatte zeitgleich Untersuchungen über angebliche Preisabsprachen aufgenommen. Russische Wirtschaftsvertreter halten die Entscheidung für einen Fehlgriff: Das Ganze sei "wenig effektiv und zudem schädlich für die Wirtschaft", beschwerte sich die Handelsvereinigung Delowja Rossija. Vadim Nowikow von der Akademie für Volkswirtschaft in Moskau drückt sich noch drastischer aus: Seiner Meinung nach verstoße die Regierung gegen den eigenen Plan, Russlands Wirtschaft zu diversifizieren. "Weltmarktpreise schwanken, und davon profitiert mal der eine, mal der andere Wirtschaftszweig. Wenn man aber immer nach Feinden und Spekulanten in einem bestimmten Zweig sucht, sobald Gewinne dort wachsen, legt man seiner Entwicklung Steine in den Weg", sagte Nowikow. Die Metro AG, die in Russland über 40 Supermärkte betreibt und sich am Preisstopp beteiligt, gibt sich diplomatischer: "Natürlich wird manch einer hellhörig, wenn der Staat Preise diktiert - erst recht in einem Land, das die Planwirtschaft erst vor einigen Jahren hinter sich gelassen hat", sagt Unternehmenssprecher Jürgen Homeyer. Allerdings sei staatliche Einmischung auch in den westlichen Industrienationen durchaus bekannt: So deckelte der französische Staat jahrzehntelang die Preise für Baguette, ohne dass es dabei einen internationalen Aufschrei gegeben hätte. "Für uns ist die Entscheidung durchaus nachvollziehbar und auch nicht ungewöhnlich. Auch in Ländern wie China oder Indien gibt es Preisbindungen auf Grundnahrungsmittel, ohne dass uns das besondere Kopfschmerzen machen würde", sagt Homeyer.Viele Ökonomen sehen in staatlichen Preisgrenzen den Versuch, an Symptomen herumzudoktern. Preisbindungen schieben ihrer Ansicht nach die Inflation lediglich auf oder geben sie an andere Sektoren weiter. "Wenn den Produzenten und Händlern Kosten durch die Preisdeckelung entstehen, dann werden sie diese wahrscheinlich auf andere Produkte umschlagen, vor allem im mittleren und höheren Preissegment", sagt der Analyst Grigorij Judschkin von der Anlageberatung Finam Investment. Auch die Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) sehen das so. Sie halten die Inflation in Russland zum Teil für hausgemacht. Der letzte IWF-Bericht kritisiert insbesondere die russische Zentralbank, die weitestgehend auf Leitzins und Wechselkurs als Steuerungsinstrumente verzichte. Zudem gieße die Regierung mit großzügigen Versprechen auf Lohn- und Pensionserhöhungen noch zusätzlich Öl ins Feuer. Russland, so die Experten, könnte vor der paradoxen Situation stehen, dass die Einkommen zwar auf dem Papier steigen, tatsächlich aber schrumpfen, weil die Verbraucherpreise weiterhin voraus galoppieren.Auch die USA haben schlechte Erfahrungen mit staatlichen Preisbindungen gemacht. In den siebziger Jahren fror der amerikanische Präsident Richard Nixon Löhne und Preise für neunzig Tage ein, um die Inflation in den Griff zu bekommen und nicht zuletzt auch, um als Präsident wiedergewählt zu werden. Nur eine Hälfte des Experiments glückte: Die Amerikaner bestätigten Nixon in seinem Amt. Nach der Wahl stieg die Inflation auf ein neues Rekordniveau und bescherte der USA die größte Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren. ENDE