Russland

Putin gedenkt Stalin-Opfern

Moskau (n-ost) – 70 schwarze Luftballons stiegen in den Himmel. Am Gedenkplatz für die Opfer des Stalin-Terrors, dem Solowezki-Stein, direkt vor dem Gebäude des Inlandsgeheimdienstes FSB in Moskau, versammelten sich am Dienstag mehrere Hundert Menschen, darunter viele Angehörige der unter Stalin Ermordeten. Auch in Wolgograd, Irkutsk, Magadan und anderen Städten kamen Hunderte zu Gedenkveranstaltungen am „Tag der Erinnerung an die Opfer der politischen Repression“ zusammen.

Vor 70 Jahren erreichte der Stalinistische Terror in der Sowjetunion seinen Höhepunkt. Nach Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial leben in Russland noch heute 800.000 Menschen, die als Opfer politischer Repression gelten. Ein großer Teil von ihnen sind Kinder der unmittelbar Unterdrückten.

Dass in diesem Jahr auch Präsident Wladimir Putin an den Trauerfeierlichkeiten teilnahm, hat viele überrascht. Der Kreml-Chef besuchte den ehemaligen „Butowski“-Erschießungsplatz. Es ist das erste Mal, dass er dies tat. Sein Vorgänger Boris Jelzin hingegen hatte mehrere Male an Veranstaltungen auf solchen Erschießungsplätzen teilgenommen.

In den Jahren 1937/38 wurden auf dem Butowski-Platz etwa 20.000 Menschen erschossen. Die genaue Zahl der Toten ist bis heute nicht bekannt. Zu den Ermordeten gehörten 1.000 Geistliche, darunter der Metropolit Serafim, sowie Adelige, Politiker, ein Dumavorsitzender und viele einfache Menschen. Zahlreiche Opfer waren zuvor durch Folter zu falschen Geständnissen gezwungen worden. Sie wurden als „Verräter“ und „Voksfeinde“ abgeurteilt. Kreml-Chef Putin kniete vor einem großen Holzkreuz nieder und legte Blumen ab. In der Kapelle des Gedenkkomplexes nahm er an einem Gottesdienst von Patriarch Alexej II. teil.

Putin erklärte, „solche Ereignisse“ habe es in der Menschheitsgeschichte immer dann gegeben, wenn „auf den ersten Blick gute, aber in Wirklichkeit leere Ideale über wichtigste menschliche Werte“ gestellt wurden. „Für unser Land ist das eine besondere Tragödie, denn die Ausmaße sind kolossal.“ In den Jahren des Stalin-Terrors seien „Zehntausende, ja Millionen“ deportiert und ermordet worden. „Das waren Menschen mit ihrer eigenen Meinung, Menschen, die keine Angst hatten diese Meinung zu äußern, es waren die effektivsten Leute, die Besten der Nation“, sagte Putin. Die staatlichen russischen Fernsehkanäle übertrugen seine Erklärung.

Der Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Memorial, Arseni Roginski, sprach von einem „positiven Zeichen“. Die für Bildungsarbeit zuständige Memorial-Vertreterin Irina Scherbakowa erklärte, es sei egal, „ob es sich bei Putins Auftritt um politische Berechnung oder um eine offenherzige Tat handelt“. Die Teilnahme des Kreml-Chefs sei in jedem Fall ein „politischer Schritt, der in diesem Land dringend nötig ist.“ Sie wünsche sich allerdings, dass sich dies auch auf die Gestaltung der Schulbücher auswirke. Denn neuerdings beobachte sie die Tendenz, Stalin zunehmend „objektiv“ darzustellen. In einem neuen Leitfaden für Lehrer würden beispielsweise sowohl „positive“ wie auch „negative“ Seiten Stalins dargestellt.

Auch an anderen Erschießungsorten fanden am Dienstag Gedenk-Veranstaltungen statt. In einem Wald im Gebiet Woronesch versammelten sich die Angehörigen von Stalin-Opfern mit Kerzen und Blumen. Sie sangen religiöse Lieder. In diesem Sommer waren in dem Wald 300 Menschen exhumiert worden. Ihre sterblichen Überreste wurden unter den Gewehrsalven einer Militäreinheit in Einzelgräbern neu bestattet.

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