Ex-Bodyguard mit Chancen aufs Premiersamt
Wenn am Sonntag in Bulgarien die Bürgermeister neu gewählt werden, steht ein Kandidat im Zentrum des Interesses: der ehemalige Bodyguard und Karatekämpfer Bojko Borissow, seit zwei Jahren Oberbürgermeister der Hauptstadt Sofia. Er hat gute Chancen, der nächste Premierminister Bulgariens zu werden.
Der 48-jährige Bojko Borissow ist ein Senkrechtstarter: Vor zwei Jahren wurde der damalige Staatssekretär im Innenministerium und höchste Polizist des Landes zum Oberbürgermeister der 1,2-Millionen-Metropole Sofia gewählt. Im Dezember 2006 gründete er seine eigene Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (GERB). Nur ein halbes Jahr später fuhr GERB bereits den ersten Sieg ein und gewann die Wahlen zum Europaparlament knapp vor den regierenden Sozialisten. Bei einer Erhebung zur Mitte der laufenden Legislaturperiode im Juli gaben 23 Prozent der befragten Wahlberechtigten an, ihre Stimme GERB zu geben, wären zu diesem Zeitpunkt Parlamentswahlen gewesen. Die sozialistische Partei von Regierungschef Sergej Stanischew kam auf gerade mal 17 Prozent.
Auch die Lokalwahlen vom Sonntag dürften wohl nur eine weitere Etappe auf Borissows Durchmarsch an die Macht darstellen: Seine Bestätigung in Sofia gilt als sicher, höchstwahrscheinlich schon im ersten Wahlgang. Damit stehen dem ehemaligen Trainer der bulgarischen Karate-Nationalmannschaft Tür und Tor offen, bald eines der höchsten Ämter im Staat zu übernehmen. Schon nach seinem Erfolg bei den Europawahlen hatte Borissow vorgezogene Parlamentswahlen gefordert. Dies wird er wohl nach einem Sieg von GERB am Sonntag aus einer Position der Stärke heraus wieder tun.
Bojko Borissow hat einst die bulgarische Karate-Nationalmannschaft trainiert / Norbert Rütsche, n-ost
Seine Wahlerfolge verdankt Borissow nicht nur seiner Beliebtheit bei vielen bulgarischen Frauen, sondern vor allem seiner kategorischen Kampfansage an die organisierte Kriminalität und Korruption, die schon zu seiner Zeit als oberster Polizist zu seinem Markenzeichen geworden war. Gerne erzählt er von den 34 Blütendruckereien, die er damals schließen ließ oder den Unmengen beschlagnahmter Amphetamine und Drogen. Er machte aber nie einen Hehl daraus, dass er als Gründer und einstiger Chef einer Bodyguard- und Inkasso-Firma in den wilden 1990er Jahren mit der bulgarischen Unterwelt in Kontakt gekommen war.
Das scheint ihm sogar zu nützen. Denn Borissow vermittelt den Eindruck, genau zu wissen, was er bekämpfen will. Unrasiert, mit Kurzhaarfrisur und oft in Jeans, T-Shirt und Lederjacke, will er so gar nicht ins gewohnte Polit-Establishment passen. "Es kommen massenhaft Leute zu uns, die von den Anführern der anderen Parteien enttäuscht sind", sagt er. GERB, von Borissow als Volkspartei rechts der Mitte bezeichnet, distanziert sich allerdings von der nationalistischen und fremdenfeindlichen Bewegung Ataka, die bei der Wählerbefragung im Sommer auf immerhin sieben Prozent kam.
Bulgarien belegt im Korruptionswahrnehmungs-Index 2007 der nichtstaatlichen Antikorruptions-Organisation Transparency International zusammen mit Kroatien und der Türkei den 64. Platz von weltweit 180 beurteilten Staaten. Im EU-Ranking ist dies der zweitletzte Platz hinter Polen und vor Rumänien. Nach Erhebungen des Zentrums für Demokratie-Studien (CSD) in Sofia betrachten die Bulgaren die Korruption als das derzeit schwerwiegendste Problem in ihrem Land.
Vielen Wählerinnen und Wählern kommt da die klare Linie von GERB gerade recht. CSD-Analytiker Emil Tsenkow, der dem "Mediengenie Borissow eine große Zukunft" voraussagt, ortet vor allem auf der lokalen politischen Ebene ein immenses Korruptions-Potential: "Auf dem Land gibt es viele kleine Parteien, die über keinerlei Ideologie verfügen, aber jetzt unbedingt den Bürgermeistersitz gewinnen wollen, um so ungehindert ihren Wirtschaftinteressen nachzugehen und reich zu werden." Gerade bei ethnischen Minderheiten, die sozial schlecht dastehen, würden oft Stimmen gekauft.
Im Justizwesen, das ebenfalls äußerst korruptionsanfällig sei, habe es in letzter Zeit immerhin gewisse Verbesserungen gegeben, so Tsenkow. Für Borissow aber nicht genug: Sollte er Ministerpräsident werden, will er ausländische Richter und Staatsanwälte ins Land holen, um das Justizsystem grundlegend zu reformieren. "Ich bin stolz, Bulgare zu sein", erklärt der Sofioter Oberbürgermeister, "aber es gibt Dinge, die wir allein nicht schaffen können." Dabei erwartet er auch die Unterstützung der Europäischen Union, der Bulgarien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern seit Januar diesen Jahres angehört.
Von Borissows Idee hält Bojko Welikow, sozialistischer Abgeordneter und Vorsitzender der parlamentarischen Kommission zur Bekämpfung der Korruption, gar nichts: "Mit einer kurzfristigen PR-Kampagne dieser Art kann man die Korruption nicht besiegen." Vielmehr müsse in der Bevölkerung die tief verwurzelte Gewohnheit, viele Probleme mittels Korruption lösen zu wollen, verändert werden. "Das braucht viel Zeit." Für Michael B. Humphreys, den Leiter der Delegation der Europäischen Kommission in Bulgarien, lässt die Korruptionsbekämpfung im ärmsten Mitgliedsland der EU "noch sehr zu wünschen übrig". Doch Borissows Forderungen nach mehr Intervention aus Brüssel erteilt er eine klare Absage: "Wir werden nicht die Aufgaben der bulgarischen Behörden übernehmen. Bulgarien ist in allen Bereichen ein Vollmitglied der Europäischen Union."