"Georgien war immer ein Teil der europäischen Kultur" / Interview mit der georgischen Regisseurin Nana Djordjadze
Frau Djordjadze, was ist für Sie das Wichtigste am Filmemachen?
Djordjadze: Es ist mein Leben, es ist keine Profession. Es ist für mich ein ganz schöner, aber auch schwieriger Weg, meine Geschichte zu erzählen. Kino ist für mich eine Mischung aus Musik, Malerei, Worten und Gefühlen. All das zusammen zu bringen, ist das Filmemachen.
Woran arbeiten Sie gerade?
Djordjadze: An einem Psychodrama vor dem Hintergrund einer kleinen Detektivgeschichte. Für solche Sachen habe ich mich früher nie interessiert. Der Film ist in Russland entstanden. Dort wurde mir ein gutes Drehbuch angeboten und die Möglichkeit, den Film zu drehen. Zu sehen sind „Die Stimmen“ ab 1. Februar in russischen Kinos.
Dass Sie in Russland arbeiten, ist nicht selbstverständlich. Zumindest setzt sich Ihr Werk kritisch mit der Sowjetunion und Russland auseinander…
Djordjadze: Das stimmt. Die Geschichte unseres Landes ist seit Jahrhunderten vom Kampf für Freiheit geprägt. Bis heute ist Georgien besetzt von der russischen Armee. Die 4,5 Millionen Georgier sind dankbar dafür, dass Amerika unsere territoriale Unabhängigkeit schützt. Ich lese in russischen Zeitungen, wie viel die Russen dafür zahlen, unser Territorium zu behalten. Aber wir hoffen und wären dankbar, eines Tages frei und unabhängig zu sein.
Ihr Debüt-Spielfilm „Robinsonade oder mein englischer Großvater“ ist eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit Georgiens, auch auf die durch die Sowjetisierung zerstörten Beziehungen zu Westeuropa.
Djordjadze: Als ich den Film der sowjetischen Zensurbehörde „Goskino“ vorgestellt habe, war ich darauf gefasst, dass er verboten wird und ich nie wieder die Gelegenheit bekommen werde, ihn zu zeigen. Als der Film dann zu Ende war, hatten alle ganz ernste Mienen. Da ist plötzlich ein Mann in der letzten Reihe aufgestanden. Er sagte: „Diesen Film nehme ich für den Wettbewerb in Cannes“. Das war ein glücklicher Schock. Dieser Mann war Programmdirektor des Festivals und niemand wusste, wie er ins Kino gekommen war. Ich glaube, das war Schicksal.
In diesem Film wird die sowjetische Macht als kulturzerstörende Kraft dargestellt...
Djordjadze: Ich liebe die russische Literatur und Musik. Aber trotzdem ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, zu zeigen, dass Georgien immer Teil der europäischen Kultur war. Frankreich, England oder auch Deutschland hatten immer einen sehr engen Kontakt zu Georgien. Wir wurden während der vergangenen 70 Jahre, also seit der Okkupation, aus dem europäischen Kulturraum herausgerissen. Trotzdem fühlen wir Georgier uns aber immer Europa zugehörig.
Der georgische Film wurde einst weltweit wegen seiner originellen Ideen und der kritischen Gedanken gefeiert. Nach der staatlichen Unabhängigkeit ging es bergab. Wo steht die georgische Kinematografie heute?
Djordjadze: Georgien war eine Nation, die sich ihre Nische im Weltkino erkämpft hatte. Dann kam der Kollaps der Sowjetunion, Kriege folgten. Wir haben angefangen wiederaufzubauen, und bald darauf war wieder alles zerstört. Filme zu drehen ist ja eine sehr teure Angelegenheit, und dafür hatte niemand Geld. Und so ist ein großes Loch in unserer Kinematografie entstanden. Heute haben wir wieder ein georgisches Filmstudio und auch Postproduktionsmöglichkeiten. Aber es ist natürlich nicht alles auf dem neuesten technischen Stand. Ich selbst suche ständig nach Möglichkeiten, günstige Technik für die georgischen Studios zu kaufen.
Das Cottbuser Filmfestival richtet vom 10. bis 15. November 2009 den Fokus auf das Filmschaffen in den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres. Gibt es länderübergreifende Themen im russischen, ukrainischen, georgischen, türkischen, bulgarischen und rumänischen Kino?
Djordjadze: Ja, wenn man will, kann man das immer erkennen, weil es eine Region mit uralten feindlichen und freundlichen Kontakten ist. Viel wichtiger ist aber, dass die Filmbeiträge die Schwarzmeer-Region im Spiegel ganz unterschiedlicher Reflexionen zeigen. In Cottbus habe ich in diesem Jahr die einmalige Gelegenheit, viele Regisseure aus der Schwarzmeer-Region zu treffen. Ich will diese Chance nutzen, um die Menschen aus diesen Ländern auch kinematografisch zu verbinden.
In Cottbus können die Zuschauer „Schwarze bellende Hunde“ (2009) sehen, eine Gemeinschaftsarbeit der Ukrainerin Maryna Gorbach und des Türken Mehmet Bahadir, die den Konkurrenzkampf von Kleinkriminellen in ihrem Istanbuler Stadtviertel beschreibt. Sind solche Kooperationen zwischen Schwarzmeer-Anrainern üblich?
Djordjadze: Nein, eher die Ausnahme und das, obwohl die Grenzen – Russland ausgenommen – offen sind.
Was verbindet oder trennt die Bewohner der Schwarzmeer-Region?
Djordjadze: Die Schwarzmeer-Region leidet unter den ganz normalen Symptomen der Gegenwart: Wenn sich schon Leute, die zusammen in einem Mietshaus wohnen, nicht kennen, wie sollen sich dann die Menschen aus unterschiedlichen Ländern über Grenzen hinweg nah sein?
Ihr Film „The Rainbowmaker“ wird das Cottbuser Filmfestival beschließen – ein hintergründiger Film über Einsamkeit…
Djordjadze: Das stimmt. Auf unterschiedlichen Festivals hat er bereits Preise und ein schönes Feedback bekommen. Ich wollte einen Film über mehrere einsame Menschen machen, die versuchen, zueinander zu kommen. Und je mehr sie das versuchen, desto einsamer sind sie. Aber es ist kein pessimistischer, sondern ein sehr optimistischer Film über schmerzhafte Momente.
Was bedeutet Ihnen das Cottbuser Filmfestival?
Djordjadze: Ich habe langjährige und gute Beziehungen zu den Festivalmachern. Es sind Menschen, die gutes Kino lieben und sich nicht mit Blockbustern zufrieden geben. Was dort gezeigt wird, hat einen künstlerischen Anspruch. Solche Festivals sind inzwischen eine Seltenheit. Cottbus ist in allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion und in allen osteuropäischen Ländern sehr bekannt. Das Festival ist wie eine Weintraube, bei der die unterschiedlichen Länder zusammen ein vollmundiges Bukett ergeben.
Zur Regisseurin
Nana Djordjadze ist am 22. August 1950 in Tiflis geboren worden. Von 1968 bis 1973 studierte sie dort Design und Architektur. Während des Prager Fühlings 1968 besuchte sie die tschechoslowakische Hauptstadt. Anschließend durfte sie wegen „der Unterstützung reformkommunistischer Ideen“ die Sowjetunion 18 Jahre lang nicht verlassen.
Von 1974 bis 1980 studierte Nana Djordjadze an der Georgischen Film- und Theater-Schule. Ihr Diplomfilm „Die Reise nach Sopot“ (1980) über zwei Außenseiter wurde sieben Jahre lang von der sowjetischen Zensur verboten. 1987 gewann er beim Filmfestival in Oberhausen den Großen Preis.
1986 entstand ihr erster Spielfilm „Robinsonade, oder mein englischer Großvater“, der sich kritisch mit der georgischen Geschichte auseinandersetzt. Zufällig gelangte er in das Filmfestival in Cannes und gewann dort 1987 die Goldene Kamera für den besten Debütfilm. Von 1985 bis 1991 unterrichtete Nana Djordjadze in Tiflis Regie. Dann wechselte sie nach Moskau und war bis 1995 Professorin für Filmregie am Gerassimow-Institut für Kinematographie.
Seit Ende der 1990er Jahre arbeitet sie vor allem in Georgien und in Berlin. Sie ist mit dem Regieprofessor Irakli Kwirikadse verheiratet. Ihr jüngstes Werk, die lebensfrohe Fabel "Der Regenbogenmacher" war im Anschluss an die Preisverleihung beim Cottbuser Filmfestival 2009 zu sehen.