Wer steckt hinter der "Islamic Jihad Union"?
Interview mit dem russischen Zentralasien-Experten Alexej Malaschenko zum vereitelten Terroranschlag in Deutschland
Moskau (n-ost) - Vergangene Woche wurden in Deutschland drei Männer verhaftet, die dabei waren, den womöglich verheerendsten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte zu organisieren. Die Verantwortung für die Terror-Operation hat die "Islamic Jihad Union" übernommen, die von Usbekistan aus agieren soll. Ziel der Anschläge seien US-Stützpunkte und usbekische Einrichtungen in der Bundesrepublik gewesen. Zu den Forderungen gehörte unter anderem die Aufgabe des Militärstützpunktes Termes in Usbekistan, den die Bundeswehr als Luftdrehkreuz für ihren Afghanistan-Einsatz nutzt. In Russland hat man den erfolgreichen Anti-Terroreinsatz in Deutschland aufmerksam registriert. Alexej Malaschenko ist Experte und Mitarbeiter des Moskauer Carnegie-Instituts (www.carnegie.ru). Der Politologe forscht zu den Terrorstrukturen in Zentralasien. Im Gespräch mit unserem Korrespondenten Ulrich Heyden schildert er die vorliegenden Erkenntnisse zur Terrorgruppe Islamic Jihad Union" und plädiert für ein stärkeres deutsches Engagement in Zentralasien.
Alexej Malaschenko
Ulrich Heyden
Frage: In Deutschland wurden drei Männer verhaftet, die einen Terroranschlag vorbereiteten und Mitglied der "Islamic Jihad Union" sein sollen. Kennen Sie die Organisation?
Malaschenko: Die Erwähnung dieser Organisation in der westlichen Presse bedarf einer Präzisierung. Bisher ist eine Organisation mit solch einer Bezeichnung nicht in Erscheinung getreten. Vielleicht hat Jemand den Namen falsch übersetzt. Für kleine Gruppen ist die Planung eines Angriffs auf amerikanische Einrichtungen nicht realistisch. Ich vermute diese Gruppe arbeitete unter dem Dach von Al-Qaida. Wir wissen aus Erfahrung, dass Anschläge auf amerikanische Einrichtungen in Afrika und Asien lange vorbereitet wurden. Es gibt Tausende derartiger Gruppen auf der ganzen Welt, zum Beispiel bei uns im Nordkaukasus. Zwei, drei Leute haben sich zusammengetan und etwas in die Luft gesprengt. Den Namen der Gruppe hört man oft zum ersten Mal.
Frage: Die "Islamic Jihad Union" soll eine Abspaltung der "Islamischen Bewegung Usbekistans" sein. Was wissen sie über diese Gruppe?
Malaschenko: Das Problem mit den Informationen aus Zentralasien ist, dass sie immer sehr ungenau sind. Bei der "Islamischen Bewegung Usbekistan" wusste man jahrelang nicht, ob der Führer nun tot ist oder nicht. Es gab viele Gerüchte. Plötzlich lebte er wieder. Dann war er wieder tot. Soviel wissen wir: Die Organisation wurde 1996 gegründet. In den Jahren 1996 bis 1999 war sie sehr aktiv. Sie organisierte Bombenanschläge in Taschkent (Hauptstadt Usbekistans). Auch im Fergana-Tal waren sie sehr aktiv. Außerdem gab es einen bewaffneten Einfall in Kirgistan. Dann wurden sie schwächer. Dafür wurde die Organisation Hizb-ut-Tahrir stärker. Die Kader der "Islamischen Bewegung Usbekistan" leben im usbekischen Teil des Fergana-Tals.
Frage: Wie viele Mitglieder hat die "Islamische Bewegung Usbekistans"?
Malaschenko: Niemand weiß das genau. Die Zahl schwankt zwischen 500 und 5000. Die Führung, das sind zwei drei Leute, ändern ständig ihren Aufenthaltsort. Mal sind sie in Afghanistan, mal in Tadschikistan. Aber sie können jederzeit zurückkehren und in Usbekistan mit Aktionen anfangen.
Frage: Die Mitglieder der jetzt in Deutschland verhafteten Gruppe wurden beobachtet und haben trotzdem weitergemacht.
Malaschenko: Möglicherweise wollten sie auf diese Weise von einem Anschlag einer anderen Gruppe ablenken.
Frage: In Deutschland wird heftig darüber gestritten, ob die Sicherheitsbehörden ihre Kontrollmöglichkeiten ausweiten und auch Zugang zu persönlichen Computer der Bürger haben sollen.
Malaschenko: Das Absuchen der Computer bringt nichts. Die realen Islamisten haben viele Möglichkeiten sich der Kontrolle zu entziehen. Das ist eine ganze Wissenschaft.
Frage: Ziel der in Deutschland Verhafteten war es offenbar, dass Deutschland seinen Stützpunkt in Usbekistan schließt und seine Truppen aus Afghanistan zurückzieht.
Malaschenko: Deutschland ist in keiner einfachen Lage, weil es von Islamisten angegriffen werden kann. Man muss eine politische Entscheidung treffen. Wenn man Angst vor den Terroristen hat, werden sie immer frecher. Im Prinzip unterstützt Deutschland die Aktionen der Amerikaner in Afghanistan und im Irak, zieht daraus aber keinen politischen Nutzen. Deutschland tritt dort als Verbündeter der USA auf und nicht als selbstständige Kraft. In Zentralasien ist man gewohnt, dass Russland, China und die USA um Einfluss in der Region ringen. Europa kämpft dort bisher nicht um Einfluss, sondern ist einfach nur anwesend. Deutschland muss sich als stärkste Macht in Europa stärker im Nahen Osten und in der moslemischen Welt einbringen. Nur so können die Konflikte in diesen Regionen gelöst werden.
Frage: Deutschland sollte seinen Stützpunkt in Usbekistan behalten, ungeachtet dessen, dass es dort ein autoritäres Regime gibt?
Malaschenko: Deutschland ist eine normale, große Macht und sollte dort bleiben. Deutschland ist nicht Amerika. Die deutsche Anwesenheit dort symbolisiert die Anwesenheit Europas. Deutschland hat bisher keine großen Interessen in Zentralasien. Die autoritären Regimes dort haben Angst vor Amerika, weil die USA auf sie Druck ausüben.
Frage: Der deutsche Außenminister hat letztes Jahr eine neue strategische Initiative für Zentralasien verkündet. Von Menschenrechtsgruppen wird kritisiert, dass Deutschland gegenüber Diktaturen in Zentralasien zu weich auftritt.
Malaschenko: In dieser Strategie gibt es viel Naives, aber Europa muss dort vertreten sein. Was die Ansprechpartner dort betrifft: In Zentralasien gibt es nun mal nur autoritäre Regimes und nur solche kann es dort geben. Wenn man dort versucht, künstlich eine Demokratie zu schaffen, führt das nur zu gegenteiligen Reaktionen. Die Präsenz Europas dort ist sehr wichtig, um zu zeigen, dass Zentralasien kein isolierter Teil der Welt ist. Europa tritt dort nicht aggressiv auf. Das fördert die Einführung zivilgesellschaftlicher Werte.
ENDE
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