Raketen oder Touristen?
Mit seiner Ostsee-Exklave Kaliningrad will Russland West-Touristen beeindrucken und Investoren anlocken.Moskau/Kaliningrad (n-ost) - Kaliningrad, das alte Königsberg, erlebt einen wirtschaftlichen Aufschwung und kommt Europa immer näher. Die russische Regierung und private Investoren lassen sich die Modernisierung der Stadt einiges kosten. Man will verstärkt Touristen aus Europa anlocken. Als Sonderwirtschaftszone bekommen Unternehmen in Russlands westlichstem Territorium Steuer- und Zollvergünstigungen. Das Bruttoinlandprodukt stieg im letzten Jahr um 20 Prozent. Damit liegt die Ostsee-Exklave unter den russischen Regionen an der Spitze.Der Flughafen Chrabrowo wird zurzeit für 30 Millionen Dollar modernisiert. Im Juni wurde bereits mit Konzerten von Joe Cocker und den Scorpions ein neuer Terminal eingeweiht. Die vor fünf Jahren gegründete private Fluggesellschaft "KD-Avia" fliegt ausschließlich mit Boeing 737 - man hat 15 Stück - und bedient von Kaliningrad aus unter anderem Barcelona, London und Prag. Fünf Tage in der Woche fliegen die Boeings der Russen von Berlin und Hamburg in die Ostseestadt. Der Flug von Berlin dauert nur anderthalb Stunden.
Der deutsche Generalkonsul Guido Herz hält es für möglich, dass Kaliningrad bald auch deutsche Gastarbeiter anzieht. "Warum sollte man nicht die Woche über in Kaliningrad arbeiten und in Deutschland leben?", so der Generalkonsul auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kaliningrad. Erst seit diesem Jahr ist das deutsche Konsulat, das 2004 in der Stadt eingerichtet wurde, voll funktionsfähig und kann auch Visa an russische Bürger ausstellen. Diese mussten zuvor den weiten Weg nach Moskau nehmen.
Dom in Kaliningrad im Winter
Andreas Metz
Mit der Modernisierung der Infrastruktur will die russische Regierung Kaliningrad aus seinem provinziellen Schlummer reißen. Passend zum Ausbau des Flughafens Chrabrowo entsteht zurzeit eine der modernsten Flugleitzentralen Russlands. Seit dem Frühjahr existiert mit dem Güterfährschiff Vilnius eine erste Non-Stop-Schiffsverbindung vom deutschen Hafen Sassnitz-Mukran zum Kaliningrader Hafen Baltijsk.StimmungsumschwungKaliningrad machte in den 90er Jahren durch Auto-Schmuggel, ungeklärte Abwässer und eine wachsende Zahl von Aids-Infizierten Negativ-Schlagzeilen. Die Stadt mit ihren heute 435.000 Einwohnern wurde 1945 durch das Potsdamer Abkommen Teil der Sowjetunion. Wegen der wirtschaftlich desolaten Lage gab es in den 90er Jahren sogar Abspaltungstendenzen in der vorwiegend von Russen bewohnten Region.Nun hat sich die Stimmung gedreht. Die Kaliningrader glauben wieder an die Zukunft. Kurz vor dem 750. Stadt-Geburtstag vor zwei Jahren begann ein Bauboom. Das im Krieg zerstörte Fischdorf im Stadtzentrum am Pregel wird historisierend wieder aufgebaut. Der Königsberger Dom, der Anfang der 90er Jahre nur eine Ruine war, ist inzwischen weitgehend wieder hergestellt. Dazu wurde im Stadtzentrum am Platz des Sieges eine mächtige russisch-orthodoxe Kathedrale gebaut. Auch die Pläne, das 1969 gesprengte Königsschloss aus deutscher Zeit mit staatlicher Hilfe wieder aufzubauen (Baukosten bis zu einer Milliarde Euro) kommen voran. Für Lenin wurde es angesichts der ausgebrochenen Bauwut eng. Bis 2004 stand er auf dem Platz des Sieges, musste dann aber der Kathedrale weichen. Nach Protesten stellte man ihn inzwischen an anderer Stelle wieder auf.
Die Industrie boomtIn der Stadt Kaliningrad herrscht zurzeit Vollbeschäftigung. Die Werften und die Automobilindustrie suchen Arbeitskräfte. Gouverneur Georgi Boos will auch deshalb 300.000 russische Übersiedler aus ehemaligen Sowjetrepubliken in Kaliningrad ansiedeln. Doch der Zustrom hält sich bislang in Grenzen. In dem ehemaligen Rüstungsbetrieb Awtotor werden seit den 90er Jahren Luxus-Fahrzeuge von BMW für den russischen Markt montiert. Auch für andere westliche Autohersteller ist Awtotor tätig. Nun plant das chinesische Staatsunternehmen Chery ein neues Auto-Werk. Kaliningrad bietet sich dank der im europäischen Vergleich günstigen Löhne als verlängerte Werkbank des Westens an. Ein Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung ist der Energiemangel. Die Gebietsverwaltung plant den Bau weiterer Kraftwerke.Baltisches Las VegasDer Kreml schickte mit Boos vor zwei Jahren einen erfahrenen Beamten, den ehemaligen Minister für Steuern, Georgi Boos, als Gouverneur nach Kaliningrad. Boos ist voller Tatendrang und holt Geld aus der föderalen Kasse in die Region. Reiche Touristen will der Gouverneur mit einer pompösen Casino-Stadt, Restaurants, SPA-Zentren und 70 neuen Hotels anlocken. Das Projekt soll an der Ostseeküste bei Jantarnij (Palmnicken) realisiert werden. Wenn der Plan aufgeht, würde dies Millionen Dollar in die Steuerkassen spülen. Doch bislang zieren sich die Casino-Könige aus dem westlichen Ausland noch. Scheldon Adelson, mit einem Vermögen von 26,5 Milliarden Dollar einer der reichsten Männer der Welt, erklärte kürzlich, er werde kein Geld in Russland investieren. Einem Präsidenten wie Putin könne er nicht trauen, weil der "einfach ein Casino schließen kann". Auch die russischen Gegner der Roulette-Tische haben sich bereits formieret. Auf Initiative eines Duma-Abgeordneten wurden 10.000 Unterschriften gegen die Spielhöllen gesammelt. Gegen das Projekt ist auch die russisch-orthodoxe Kirche.Bittere PilleIhre eingeschlossene Lage bekommen die Menschen in Kaliningrad immer wieder zu spüren. Die Visa-Erleichterungen zwischen Russland und der EU, die am 1. Juli in Kraft traten, brachten für die Menschen in Kaliningrad erst mal nur Nachteile. Bisher kamen die Bewohner der von Polen und Litauen umschlossenen Exklave relativ leicht an Mehrfachvisa in diese beiden Länder. Damit ist es jetzt vorbei. Wie alle Russen müssen die Kaliningrader jetzt 35 Euro für ein Schengen-Visum zahlen. Die Folge ist, dass der Wochenendtourismus und Kinderreisen nach Polen und Litauen stark zurückgingen. 35 Euro ist für die Bürger von Kaliningrad viel Geld. Das Kaliningrader Gebietsparlament fordert deshalb, dass die Ostsee-Exklave das Pilotprojekt für den visafreien Reiseverkehr mit Europa wird.Die Heimat von Frau PutinaFür Wladimir Putin hat Kaliningrad eine besondere Bedeutung. Hier wurde seine Frau Ljudmilla geboren. Einmal im Jahr besucht das Präsidenten-Paar Russlands Vorposten. Der Präsidenten-Jet konnte wegen seiner Größe auf dem Zivil-Flughafen bisher nicht landen und musste auf den Militärflughafen ausweichen. Die Exklave, die komplett von Nato-Gebiet umschlossen ist, spielt in der russischen Militärdoktrin eine wichtige Rolle als Vorposten. Russische Militärs wollen nicht ausschließen, dass in Kaliningrad Abwehrraketen aufgestellt werden, wenn die Amerikaner ihre Raketenabwehr-Pläne in Polen und Tschechien realisieren. Gouverneur Boos wäre von einer solchen Entwicklung nicht begeistert. Welche Unternehmer würden sich gerne in der Nähe eines Raketenstandortes ansiedeln, fragt er.ENDE
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Ulrich Heyden