Russlands neue Kaderschmiede
Die Jugendorganisation "Naschi" ist ein verlängerter Arm des KremlMoskau (n-ost) - "Ich habe Angst, wenn ich daran denke, dass Putin abtritt und Russland erneut am Abgrund steht," erklärte Naschi-Aktivistin Julia Kulijewa in einem Gespräch mit der Zeitung "Wremja Nowostej". Meinungen wie die der Naschi-Aktivistin hört man in Russland zurzeit auf allen Fernsehkanälen. Putin hält die Fäden in der Hand. Er muss im März 2008 nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit einem Nachfolger Platz machen, aber ein Russland ohne Putin ist für viele immer noch undenkbar.Die Jugendorganisation "Naschi" ("Die Unseren") wurde 2004 auf Initiative des Kreml-Ideologen Wladislaw Surkow gegründet. Damals fürchtete man, dass die orangene Revolution aus der Ukraine nach Russland überschwappen könnte. Die Gefahr ist aus der Sicht des Kreml noch nicht gänzlich gebannt. Im Dezember wird ein neues Parlament gewählt, dann folgt die Präsidentenwahl. Jeder Machtwechsel in Russland ist riskant. Alte Seilschaften müssen Macht abgeben, neue wollen an die Futtertröge. "Naschi" soll mit dafür sorgen, dass dabei alles nach Gusto der derzeitigen Kreml-Herren abläuft.Diese gewähren der Jugendorganisation großzügige Unterstützung. Als Naschi im Juli ein Sommerlager mit 10.000 Teilnehmern am Celiger-See 350 Kilometer nordwestlich von Moskau veranstaltete, empfing Wladimir Putin eine Delegation auf seiner Residenz. Putins Kronprinzen, die beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten Sergej Iwanow und Dmitri Medwedjew, statteten dem Camp einen Besuch ab, beide in Jeans und ohne Schlips. Medwedjew gab den freundlichen Ratschlag "große Familien" zu gründen. Nur dann sei man im Alter versorgt.Exklusiv-Show am HimmelIm Naschi-Sommerlager begann der Tag mit Aerobic für die Mädchen und Dauerlauf für Jungen. Dann folgten Arbeitsgruppen zu Themen wie Ausbildung, Karriere, Armee und Patriotismus. Auf dem jährlich stattfindenden Sommerlager herrscht strenges Alkohol-Verbot. 200 Jugendliche wurden wegen Verstößen vom Platz verwiesen.Trotz strenger Regeln ist der Andrang groß. Die Jugendlichen versprechen sich von der Teilnahme an den Lagern nicht nur Kontakte zu Jugendlichen in anderen Regionen sondern auch Arbeits- und Praktikumsplätze, denn zu den Vortragenden in den Arbeitsgruppen gehören nicht nur führende Historiker, Politologen und Wissenschaftler sondern auch Vertreter großer Unternehmen.Dass "Die Unseren" das volle Vertrauen des Kreml haben, zeigte sich auch am Himmel über dem Celiger-See. Sechs Piloten von der Staffel "Falken Russlands" zeigten mit ihren Kampfflugzeugen riskante Flug-Manöver. Eine Naschi-Sprecherin erklärte, die Show werde die Wehrbereitschaft der Jugendlichen steigern. Die exklusive Flugshow soll über 200.000 Dollar gekostet haben.Revolutions-ReserveNikita Borowikow, einer der Naschi-Führer, wehrt sich gegen den Vorwurf Naschi sei dem Komsomol doch ziemlich ähnlich. Mit dem alten Komsomol, der Jugendorganisation, die sich 1991 faktisch auflöste, habe man nur gemein, dass man "das Beste für das Land will", so der Jurist Borowikow gegenüber dieser Zeitung. Von der kommunistischen Ideologie sei man weit entfernt. Der wesentliche Unterschied zu früher: Die Sowjetunion sei "zwar ein unabhängiger Staat" gewesen "aber es gab keine persönliche Freiheit."Die Mitglieder von Naschi wollen hoch hinaus. In zahlreichen Ausbildungsprogrammen schult man sich im "project managment" und anderen Techniken. "Unser Ziel ist das große Russland. Wir wollen ein Niveau erreichen, dass man uns die Leitung des Staates anvertraut", so Borowikow. Dafür müsse man auch lernen, wie man zum Beispiel ein Waisenhaus organisiert.Wahlergebnis absehbarAm ersten September-Wochenende führten die Naschi-Aktivisten eine große Aktion "zur Stärkung der russischen Demokratie" durch. Die Jugendlichen schwärmten im ganzen Land aus, um zu ermitteln, welche Partei die Bürger bei den Duma-Wahlen im Dezember wählen.
Das Ergebnis der Umfrage ist wenig überraschend. 53 Prozent der Befragten wollen ihre Stimme der Kreml-nahen Partei "Einiges Russland" geben. Nur noch drei weitere Parteien schaffen demnach den Sprung über die neue Sieben-Prozent-Hürde, Schirinowskis Liberaldemokraten erhalten 11,5 Prozent, die Kommunisten 11,3 Prozent und die ebenfalls dem Kreml nahe stehende, neue Partei "Gerechtes Russland" 8,4 Prozent.Das Ergebnis der Naschi-Umfrage unterscheidet sich nur unwesentlich von der letzten Umfrage des Kreml-unabhängigen "Lewada-Zentrum". Dass in der neuen Duma die Kreml-Parteien das Sagen haben, gilt unter Beobachtern als ausgemachte Sache. Die kleinen, westlich orientierten Oppositionsparteien haben angesichts staatlich gelenkter Medien keine Chance bei den Wahlen. Nach verschiedenen Umfragen kommt keine dieser Parteien über vier Prozent."Wahre Patrioten"Naschi wollen keine Komsomolzen sein, doch ihre Führer heißen "Kommissare" und mit den angeblichen "Feinden" Russlands machen sie nicht viel Federlesen. Das vom Ex-Schachweltmeister Gari Kasparow angeführte Bündnis Oppositionsbündnis "Anderes Russland" gilt ihnen als "faschistisch", weil es Russland angeblich durch ausländische Mächte steuern lassen will. Im vergangenen Naschi-Sommerlager hatte man die Köpfe der Oppositionellen Kasparow, Michail Kasjanow und Eduard Limonow auf große Plakate montiert, die Prostituierte in aufreizenden Posen zeigten. Als der der ehemalige russische Ministerpräsident Michail Kasjanow vergangenen Woche an einem Treffen von Oppositionellen in Jekaterinenburg teilnahm, schimpften mit Arztkitteln verkleidete Naschi, Kasjanow sei "unzurechnungsfähig", man müsse ihn heilen. Angeblich habe Kasjanow in einem Interview erklärt, er werde den USA russisches Öl für 20 Dollar pro Barrel verkaufen."Entschuldigen sie sich!"Gelegentlich werden auch Botschafter westlicher Länder verfolgt. Naschi-Mitglieder stören regelmäßig öffentliche Auftritten des britischen Botschafters, Anthony Brenton. Sein Vergehen: Er hatte im Sommer letzten Jahres an einer Konferenz des Kasparow-Bündnisses teilgenommen. Nun verlangten die Naschi-Aktivisten eine "Entschuldigung".Nicht besser erging es der Botschafterin Estlands, Marina Kaljurand. Als sie auf einer Pressekonferenz in Moskau zum Abbau des sowjetischen Soldaten-Denkmals in Tallinn Stellung nehmen wollte, stürmten aufgeputschte Naschi-Anhänger den Saal. Es kam zu einem Handgemenge mit den Leibwächtern der Botschafterin. Die Jugendlichen skandierten, "Faschismus kommt nicht durch".Trotz bisweilen martialischen Auftretens präsentiert sich "Naschi" als Organisation "der Mitte". Man grenzt sich auch von der rechtsextremistischen "Bewegung gegen illegale Migration" ab, die sich an der Anstachelung anti-tschetschenischer Pogrome beteiligt. Man sieht Naschi-Mitglieder schon mal Grabsteine von Hakenkreuz-Schmierereien säubern und Demonstrationen gegen Ausländerfeinde organisieren.Die Jugendlichen von Naschi schießen schon mal übers Ziel hinaus, wird man sich im Kreml sagen. Die Kritik an derartigen Eskapaden ist aber lau. Der russische Außenminister Sergej Lawrow bat Naschi-Führer Wasili Jakemenko nur, sich doch bitte "an die Gesetze zu halten".ENDE
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