Russland

Paukenschlag im Mordfall Politkowskaja

Zehn Verdächtige in Haft / Auftraggeber des Mordes an der Journalistin sollen im Ausland sitzenMoskau (n-ost) - Was der russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika am Montag im Arbeitszimmer von Wladimir Putin zu verkünden hatte, glich einer Sensation. Doch Kreml-Chef Wladimir Putin blieb gelassen, als der Generalstaatsanwalt vor laufenden Fernsehkameras seine Meldung vortrug. "Wir sind in der Aufklärung im Mordfall der Journalistin Politkowskaja ernsthaft vorangekommen. Bis heute sind in dem Fall zehn  Personen verhaftet worden. In allernächster Zeit wird die Anklage wegen eines schweren Verbrechens gegen sie eröffnet."Anna Politikowskaja hatte in Reportagen für die Nowaja Gaseta über Kriegsgräuel in Tschetschenien berichtet. Am Nachmittag des 7. Oktober war sie in ihrem Hausflur von einem Unbekannten erschossen worden."Leider" auch Polizisten und Agenten beteiligtAuf einer Pressekonferenz erklärte Tschaika, der Mord sei genau vorbereitet worden. Die Journalistin wurde von zwei Gruppen beschattet. Unter den Festgenommenen befänden sich Mitglieder einer kriminellen Gruppe von Tschetschenen, die Auftragsmorde in Russland, der Ukraine und Lettland zu verantworten habe. Die Gruppe sei auch in die Morde an dem Forbes-Chefredakteur Paul Chlebnikow und dem Chef der russischen Zentralbank Andrej Koslow beteiligt."Leider" seien unter den Verhafteten auch vier Polizisten und ein Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, die man bereits von ihren Posten entlassen habe. Die Mitarbeiter der Sicherheitsstrukturen hätten Informationen über die Journalistin beschafft und seien damit "Helfer des Mordes", erklärte Tschaika. Der Generalstaatsanwalt dankte der "Nowaja Gaseta" für ihre Hilfe bei der Ermittlung im Mordfall.Buhmann BeresowskiEs ist das erste Mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dass von höchster staatlicher Stelle eingestanden wird, dass Mitarbeiter russischer Sicherheitsstrukturen in einen politischen Mord verwickelt sind. Für russische Verhältnisse gleicht das einer kleinen Sensation, obwohl es schon lange Berichte über Korruption und Verbrechen in den Sicherheitsstrukturen gibt.Generalstaatsanwalt Tschaika versuchte jedoch gleichzeitig den Verdacht, höchste Stellen in Russland, könnten ein Interesse an dem Mord der Journalistin gehabt haben, zu zerstreuen. Die Aufttraggeber säßen im Ausland, erklärte Tschaika. Der Name des nach London geflüchteten Oligarchen Boris Beresowski fiel nicht. Doch Kreml-nahe Politologen hatten den Oligarchen, der öffentlich zum Sturz des "Regime Putin" aufruft, bereits kurz nach dem Mord an der Journalistin als Drahtzieher gebrandmarkt. Generalstaatsanwalt Tschaika erklärte, mit dem Mord an der Journalistin sollte die Stabilität Russlands untergraben werden. Diejenigen, welche den Mord in Auftrag gegeben haben, wollten, "dass in Russland wieder das frühere Verwaltungssystem zurückkehrt, als alles über Geld und Oligarchen bestimmt wurde."Nowaja Gaseta - Freude und SkepsisDie Redaktion der Nowaja Gaseta begrüßte in einer Erklärung die Ermittlungserfolge und die Festnahmen äußerte aber gleichzeitig die Befürchtung der Fall Politikowskaja könne im Vorwahlkampf politisch instrumentalisiert werden. Es bestehe die "große Gefahr einer politischen Spezialoperation im Vorwahlkampf".Unmittelbar nach dem Mord war der Verdacht zunächst auf den von Putin ernannten Präsidenten Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gefallen. Anna Politkowskaja hatte berichtet, dass Kadyrow an Folter und Mord in Tschetschenien beteiligt war. In russischen Medien waren auch die Namen russischer Polizisten und Soldaten aufgetaucht, über die Politkowskaja in ihren Reportagen über Kriegsverbrechen berichtet hatte. Bisher erwiesen sich diese Vermutungen jedoch nicht als stichhaltig.
      
Saubermann Putin?International hat der Mord an Anna Politkowskaja dem Kreml-Chef viele Sympathien gekostet. Das hatte sich Putin durch seine kaltschnäuzige Art auch selbst eingebrockt. Unmittelbar nach dem Mord an der Journalistin hatte er bei einem Staatsbesuch in Dresden wortreich erklärt, Anna Politkowskaja habe in der russischen Gesellschaft keinen Einfluss gehabt. Worte der Trauer kamen dem Kreml-Chef zunächst nicht über die Lippen. Hohe Politiker in der EU äußerten öffentlich Zweifel, dass die Ausspähung der Journalistin durch ihren Mörder den Sicherheitsorganen verborgen geblieben sein soll. Die Zweifel, dass der Kreml an einer Aufklärung des Mordes interessiert ist, wurden auch dadurch verstärkt, dass bei der Beerdigung der Journalistin kein hochrangiger Vertreter des Kreml gekommen war.Russland Spitzenreiter bei Journalisten-Morden.Russland, das sich selbst als europäische Macht sieht, liegt bei Journalisten-Morden mit dem Irak und Kolumbien ganz Vorne. Seit dem Zerfall der Sowjetunion starben in Russland 219 Journalisten. Nur wenige dieser Todesfälle wurde aufgeklärt. In nachweislich 43 Fällen hing der Tod des Journalisten mit der journalistischen Arbeit zusammen.Ende---------------------------------------------------------------------------
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Ulrich Heyden


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