Anschlag auf Russlands wichtigste Zugverbindung
Noch keine heiße Spur nach Attentat auf "Newski Express" / 60 Verletzte
Moskau (n-ost) - Wie jeden Abend raste der Zug Nr. 166 von Moskau kommend mit 185 Stundenkilometern durch Birken- und Fichtenwälder Richtung St. Petersburg. Um 21:38 Uhr geschah das Unglück. 30 Meter vor einer Eisenbahnbrücke nahe der Ortschaft Malaja Wischera, explodierte im Gleisbett, direkt unter der tschechischen E-Lok, eine Zwei-Kilogramm-Bombe. Mehrere Waggons des weiß-blauen "Newski-Express" entgleisten und kippten um. Die Zugbegleiterin Larissa Pantelejewa stand noch sichtlich unter Schock als sie dem Fernsehkanal NTW von dem Unglück erzählte und mit den Händen gestikulierte. "Zuerst gab es einen Knall. Dann gab es ein Schütteln. Dann fiel der Waggon um."
Kreml-Chef per Handy aus Sibirien
Die russische Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren wegen Terrorismus ein.
Wladimir Putin, der sich gerade in der sibirischen Region Tuwa aufhält, bemühte sich um Präsenz. Der Fernsehkanal ORT zeigte, wie der Kreml-Chef dem russischen Transportminister Igor Lewitin Anweisungen per Handy gab.
In Moskau gab es hektische Reaktionen. Auf einer Sitzung des "Antiterroristischen Komitees" ordnete Geheimdienstchef Nikolai Patruschew eine verstärkte Bewachung der "strategisch wichtigen Objekte" im Land an. Es gehe darum, "eine Destabilisierung" vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen "zu verhindern."
Passagiere kletterten aus Fenstern
Tote gab es nicht. Weil nicht gleich Retter zur Stelle waren, halfen Anwohner den Menschen aus den zerschlagenen Zugfenstern zu klettern. Von den über 200 Passagieren und 20 Besatzungsmitgliedern mussten sich 60 Menschen - einige von ihnen schwerverletzt - in Krankenhäusern behandelt lassen, unter ihnen auch ein italienischer Staatsbürger. Deutsche waren von der Katastrophe offenbar nicht betroffen. "Bisher liegen uns keine derartigen Hinweise vor", erklärte eine Sprecherin der deutschen Botschaft in Moskau Dienstagnachmittag im Gespräch mit dieser Zeitung.
Die Bombe riss einen Krater von eineinhalb Meter Durchmesser ins Gleisbett und zerstörte ein Gleis. Die Passagiere hatten Glück im Unglück. Wegen der hohen Geschwindigkeit schaffte es der "Newski-Express" noch über die Brücke. Wäre die Geschwindigkeit des Zuges geringer gewesen wäre, wären die Waggons wohl 20 Meter tief von der Brücke in einen Fluss gestürzt.
Spekulationen über Attentäter
Bisher äußerten die Behörden bei Terrorakten meist sehr schnell die Vermutung, tschetschenische Rebellen könnten hinter der Tat stehen. Diesmal gab es überhaupt keine konkreten Hinweise. Der Fernsehkanal NTW berichtete unter Berufung auf Experten, die Bombe gegen den Newski-Express sei von der Bauart ähnlich einer Bombe, die 2005 einen Zug auf der Strecke Grosny-Moskau aus den Gleisen warf. Damals wurde ein Strafverfahren gegen Rechtsradikale eingeleitet worden.
Möglicherweise wollten die Attentäter Kreml-Chef Putin und der russischen Elite wenige Monate vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen einen Schrecken einjagen. Die Strecke Moskau-St.Petersburg ist die meistbefahrenste Eisenbahnstrecke in Russland.
Der Newski-Express ist ein Nachtzug der gehobenen Preisklasse. Er wird viel von Geschäftsleuten und Politikern genutzt. Ein Sicherheitsexperte wollte gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax nicht ausschließen, dass der Anschlag womöglich einem konkreten Passagier galt.
Wiedereröffnung der Strecke
Bereits am Dienstag arbeiteten Bauarbeiter fieberhaft an der Wiederherstellung des zerstörten Gleisabschnitts. Züge nach St. Petersburg wurden weiträumig umgeleitet. Verspätungen von bis zu acht Stunden waren die Folge. Noch im Laufe des Dienstages wollte die russische Eisenbahn einen Teil der mehrspurigen Strecke Moskau- St. Petersburg wiedereröffnen.
Ende
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Ulrich Heyden