Polen

Kaczynski schickt Koalitionspartner in die Wüste

Kabinettsumbildung als Vorbereitung auf Neuwahlen in Polen / Giertych: Premier versucht totalitären Staat aufzubauen

Warschau  (n-ost) – „Der Premier versucht einen totalitären Staat aufzubauen.“ Scharf griff Bildungsminister Roman Giertych (LPR) am Montag die Politik von Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynskis als „illegal“ und „nichtmoralisch“ an. Der Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) würde mit nichtdemokratischen Methoden seine politischen Gegner „erledigen“. Kurz danach war Giertych nur noch ehemaliger Bildungsminister und die Rechtskoalition in Warschau am Ende.

Präsident Lech Kaczynski entließ am Montagmorgen vier Kabinettsmitglieder der bisherigen Koalitionspartner, der nationalistischen Liga Polnischer Familien (LPR) und der radikalen Bauerpartei Samoobrona, aus der Regierung seines Zwillingsbruders Jaroslaw. Ersetzt wurden sie durch Kandidaten der Kaczynski-Partei PiS oder der Partei nahe stehende Persönlichkeiten. Gehen mussten neben Giertych, Seewirtschaftsminister Rafal Wiechecki (LPR), die äußerst populäre Arbeits- und Sozialministerin Anna Kalata sowie Bauminister Andrzej Aumiller (beide Samoobrona).

Neuer Bildungsminister ist Ryszard Legutko (PiS), Marek Grobarczyk führt das Ministerium für Seewirtschaft. Joanna Kluzik-Rostkowska verantwortet nun das Arbeitsministerium, Miroslaw Barszcz das Bauministerium. Regierungssprecher Jan Dziedziczak unterstrich, dass die drei letzt genannten Minister parteilos seien. Auf „starrköpfige“ Minister der LPR und Selbstverteidigung würden „sachlich orientierte“ Ressortchefs folgen.

Beobachter werten die Kabinettumbildung als taktischen Zug der Kaczynski-Brüder. Bereits am Wochenende hatte Staatspräsident Lech Kaczynski die Flucht nach vorne angetreten und Neuwahlen für den 21. Oktober 2007 angekündigt. Bis dahin will sein Bruder Jaroslaw Kaczynski offenbar in der Regierung für Ruhe sorgen und mit einem Kabinett aus reinen Gefolgsleuten die Ausgangsposition der PiS für die Neuwahlen verbessern.

Die Polen sind sehr verärgert über das innenpolitische Dauerchaos, in dem ihr Land seit Wochen steckt. Derzeit liegt Kaczynskis Partei PiS in den Meinungsumfragen weit hinter der stärksten Oppositionspartei, der liberalen Bürgerplattform (PO) zurück. Danach würde letztere die vorgezogenen Wahlen mit einem Drittel der Stimmen sicher gewinnen, dagegen die PiS nur auf 22 Prozent kommen. Bei den Sejm-Wahlen 2005 war die PiS mit 27 Prozent überraschend zur stärksten Partei geworden, die PO hatte nur 24 Prozent erreicht.

Erst in der vergangenen Woche hatte Kaczynski Innenminister Janusz Kaczmarek (PiS) in Folge der so genannten Grundstücksaffäre entlassen. Diese Affäre wurde als gezielte Provokation der Zentralen Antikorruptionsbüro (CBA) gegen den Samoobrona-Parteichef und früheren Vize-Ministerpräsidenten Andrzej Lepper enttarnt. Lepper sollte offensichtlich durch fingierte Grundstücksgeschäfte der Korruption überführt werden. Die Sache flog aber auf, womöglich weil sie durch ein anderes Regierungsmitglied verraten worden war. Kaczynski vermutet in Kaczmarek das mögliche Leck in seiner Regierung. Lepper wiederum behauptet, Justizminister Zbigniew Ziobro (PiS), ein enger Vertrauter Kaczynskis, sei das „Informationsleck“ gewesen, was Ziobro energisch bestreitet. Er nannte Lepper einen „Lügner und Verleumder“. Jeden Tag kommen weitere Details in der Affäre in die Öffentlichkeit, die immer mehr an einen Agentenkrimi erinnern.

Die Rechtskoalition endet damit in Intrigen, Verdächtigungen und Bespitzelungen. Dabei waren die Kaczynski-Brüder mit dem Versprechen angetreten, „dass wir die Korruption bekämpfen, diese Superplage des öffentlichen Lebens.“

Damit es zu den von vielen ersehnten Neuwahlen kommen kann, muss das Parlament nun – voraussichtlich Anfang September – die Selbstauflösung beschließen. Es gilt als sehr sicher, dass die nötige Zweidrittel-Mehrheit von 307 der 460 Abgeordnetenstimmen zustande kommt, da der liberale Oppositionsführer Donald Tusk sein Einverständnis bekräftigt hat.

Derweil haben die Postkommunisten, Sozialdemokraten und die Linksliberalen der einstigen Bürgerrechtsbewegung angekündigt, dass sie dieses Mal gemeinsam antreten wollen. Sie haben einen Trumpf in der Hand: Als Spitzenkandidat des Bündnisses steht womöglich der populäre Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski zur Verfügung.

Ende

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Christina Hebel

 


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